Mit voller Wucht prallen geballte Hände auf scharfkantige Formgeometrien in intensiven Farben: „Fight against abstraction“ hat Fahrelnissa Zeid (1901-1991) ihr Schlüsselwerk von 1947 genannt. Es ist das energiegeladene Dokument eines Ringens, dem sich die Künstlerin selbst mit aller Kraft stellte. Wie der Konflikt auf ihren Bildern zwischen figürlichem Erzählen und gegenstandsloser Rhythmik ausging, lässt sich in der Retrospektive in der Deutsche Bank (DB) KunstHalle verfolgen.
Info
Fahrelnissa Zeid: Pionierin der Moderne
20.10.2017 - 09.04.2018
täglich 10 bis 20 Uhr
in der Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13/15, Berlin
Katalog 25 €
Kurven, Nadeln + schwarzes Loch
Zugleich für seine Zeit absolut modern – und trotzdem in der Tradition orientalischer Ornamentik verwurzelt. Opulente Kurven greifen dynamisch über die Fläche; Dreiecksformen erproben Variationen und Wiederholung. Nadelspitze Strukturen verdichten sich zu Reihen wie gebleckte Zähne. Und im Zentrum der gewaltigen abstrakten Komposition droht ein schwarzes Loch alle Formen zu verschlingen.
Impressionen der Ausstellung
Beim Tee mit Hitler über Kunst plaudern
Fahrelnissa Zeid selbst sprach von einem Vulkan, um ihren eruptiven Schaffensprozess zu beschreiben. Sie präsentierte dieses großformatige Meisterwerk seinerzeit im Musée des Beaux-Arts der Stadt Paris. Auch in London war sie nach dem Zweiten Weltkrieg in wichtigen Galerien vertreten.
Die exzentrische Künstlerin war eine Ausnahmeerscheinung im Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts: eigensinnig, erfolgreich, kosmopolitisch – und später vergessen. In der Türkei wird ihr Werk seit den 1990er Jahren wiederentdeckt. Im Westen, wo ihre Karriere begann und sie ihren Durchbruch erlebte, geschieht das erst jetzt. Diese Retrospektive aus der „Tate Modern“ bringt die Künstlerin nun zurück nach Berlin, hier hat sie ab 1935 drei Jahre lang gelebt. Als Diplomatengattin kam sie damals zwar kaum zum Malen, soll aber mit Hitler persönlich beim Tee über Kunst geplaudert haben.
Mit irakischem Prinzen verheiratet
Um möglichst viele Aspekte ihres Schaffens zeigen zu können, wurde in der DB Kunsthalle extra eine Zwischenetage eingezogen. Vom frühen Porträt ihrer Großmutter, das die 14-Jährige zeichnete, über farbintensive Figurenszenen der 1930er Jahre bis zu späten Porträts lässt sich die gesamte Spanne überblicken. Nichts jedoch ist so spannend wie Fahrelnissa Zeids abstrakte Arbeiten – und ihre Lebensgeschichte.
Die Adelstochter kommt in einer sehr wohlhabenden osmanischen Familie zur Welt. 1919 kann sie als eine der ersten Türkinnen in Istanbul Kunst studieren und erlebt Atatürks Modernisierungspolitik. In Paris setzt sie ihr Studium fort. Als elegante, moderne Frau heiratet sie zuerst einen Schriftsteller und Geschäftsmann, dann in zweiter Ehe den Prinzen Zeid Al-Hussein, einen Bruder des irakischen Königs. Fortan ist sie selbst Mitglied des Königshauses. Als ihr Mann 1934 zum ersten Botschafter des Königreichs Irak nach Berlin berufen wird, übernimmt sie weltgewandt die Rolle der Diplomatengattin.
Putschisten ermorden 1958 gesamte Familie
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965" – enzyklopädischer Epochen-Überblick mit Werken von Fahrelnissa Zeid im Haus der Kunst, München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Art et Liberté" über "Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 20, Düsseldorf
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Ara Güler - Das Auge Istanbuls: Retrospektive von 1950 bis 2005" im Willy-Brandt-Haus, Berlin.
1958 wird beim irakischen Staatsstreich die gesamte Familie ihres Mannes in Bagdad ermordet. Erst Mitte der 1960er Jahre malt Zeid wieder: Erinnerungsporträts vom Vater und Freunden. Parallel fertigt sie Assemblagen aus bemalten Hühnerknochen in Kunstharz an, aber keine abstrakten Bilder mehr.
Jordanisches Kunstinstitut aufgebaut
In einem späten Selbstbildnis imaginiert sich Fahrelnissa Zeid als „Someone from the Past“: eine schöne, junge Prinzessin mit großen melancholischen Augen und einem schwarz-goldenen Kleid, dessen Extravaganz zwischen Barock und Byzanz changiert. Zuletzt ließ sich die Künstlerin in Jordanien nieder und baute ein „Königliches Nationales Kunstinstitut“ in der Hauptstadt Amman auf; dort starb sie 1991.
In ihrer Malerei erfand sich Fahrelnissa Zeid neu; dabei löste sich völlig aus den festen Traditionen und Rollenbildern ihrer Herkunft. Aber sie schrieb diese zugleich weiter fort: mit Werken, die aus der freien Gestik des Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock und der Formstrenge orientalischer Ornamentik eine ganz eigene Synthese bilden.