Berlin

Fahrelnissa Zeid: Pionierin der Moderne

Fahrelnissa Zeid: Fight against Abstraction, 1947, Istanbul Museum of Modern Art Collection/ Eczacibaşi Group Donation, Foto: © Istanbul Museum of Modern Art/ Raad Zeid Al- Hussein. Fotoquelle: Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin
Abstrakter Expressionismus mit Orient-Ornamenten: Fahrelnissa Zeid war eine Wandlerin zwischen den Welten. Als Diplomatengattin verkehrte sie mit Chagall und Henry Moore, ihre Riesen-Bilder sprengten alles Geläufige – die Deutsche Bank KunstHalle stellt sie vor.

Mit voller Wucht prallen geballte Hände auf scharfkantige Formgeometrien in intensiven Farben: „Fight against abstraction“ hat Fahrelnissa Zeid (1901-1991) ihr Schlüsselwerk von 1947 genannt. Es ist das energiegeladene Dokument eines Ringens, dem sich die Künstlerin selbst mit aller Kraft stellte. Wie der Konflikt auf ihren Bildern zwischen figürlichem Erzählen und gegenstandsloser Rhythmik ausging, lässt sich in der Retrospektive in der Deutsche Bank (DB) KunstHalle verfolgen.

 

Info

 

Fahrelnissa Zeid: Pionierin der Moderne

 

20.10.2017 - 09.04.2018

täglich 10 bis 20 Uhr

in der Deutsche Bank KunstHalle, Unter den Linden 13/15, Berlin

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

Ihr mehr als fünf Meter breites Querformat mit dem Titel „My Hell“ von 1951 dominiert den größten Saal der Ausstellung: Das ist tatsächlich eine Hölle, ein Albtraum des horror vacui. Wer näher tritt, wird von dem kleinteilig strudelnden Gewimmel aus zersplitterten Elementar-Formen regelrecht aufgesogen. Man kann sich daran aber auch mit Energie aufladen wie an einer Starkstromquelle. Was hier stroboskopartig pulsiert, ist emotional aufgewühlt, aber graphisch gebändigt.

 

Kurven, Nadeln + schwarzes Loch

 

Zugleich für seine Zeit absolut modern – und trotzdem in der Tradition orientalischer Ornamentik verwurzelt. Opulente Kurven greifen dynamisch über die Fläche; Dreiecksformen erproben Variationen und Wiederholung. Nadelspitze Strukturen verdichten sich zu Reihen wie gebleckte Zähne. Und im Zentrum der gewaltigen abstrakten Komposition droht ein schwarzes Loch alle Formen zu verschlingen.

Impressionen der Ausstellung


 

Beim Tee mit Hitler über Kunst plaudern

 

Fahrelnissa Zeid selbst sprach von einem Vulkan, um ihren eruptiven Schaffensprozess zu beschreiben. Sie präsentierte dieses großformatige Meisterwerk seinerzeit im Musée des Beaux-Arts der Stadt Paris. Auch in London war sie nach dem Zweiten Weltkrieg in wichtigen Galerien vertreten.

 

Die exzentrische Künstlerin war eine Ausnahmeerscheinung im Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts: eigensinnig, erfolgreich, kosmopolitisch – und später vergessen. In der Türkei wird ihr Werk seit den 1990er Jahren wiederentdeckt. Im Westen, wo ihre Karriere begann und sie ihren Durchbruch erlebte, geschieht das erst jetzt. Diese Retrospektive aus der „Tate Modern“ bringt die Künstlerin nun zurück nach Berlin, hier hat sie ab 1935 drei Jahre lang gelebt. Als Diplomatengattin kam sie damals zwar kaum zum Malen, soll aber mit Hitler persönlich beim Tee über Kunst geplaudert haben.

 

Mit irakischem Prinzen verheiratet

 

Um möglichst viele Aspekte ihres Schaffens zeigen zu können, wurde in der DB Kunsthalle extra eine Zwischenetage eingezogen. Vom frühen Porträt ihrer Großmutter, das die 14-Jährige zeichnete, über farbintensive Figurenszenen der 1930er Jahre bis zu späten Porträts lässt sich die gesamte Spanne überblicken. Nichts jedoch ist so spannend wie Fahrelnissa Zeids abstrakte Arbeiten – und ihre Lebensgeschichte.

 

Die Adelstochter kommt in einer sehr wohlhabenden osmanischen Familie zur Welt. 1919 kann sie als eine der ersten Türkinnen in Istanbul Kunst studieren und erlebt Atatürks Modernisierungspolitik. In Paris setzt sie ihr Studium fort. Als elegante, moderne Frau heiratet sie zuerst einen Schriftsteller und Geschäftsmann, dann in zweiter Ehe den Prinzen Zeid Al-Hussein, einen Bruder des irakischen Königs. Fortan ist sie selbst Mitglied des Königshauses. Als ihr Mann 1934 zum ersten Botschafter des Königreichs Irak nach Berlin berufen wird, übernimmt sie weltgewandt die Rolle der Diplomatengattin.

 

Putschisten ermorden 1958 gesamte Familie

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965" – enzyklopädischer Epochen-Überblick mit Werken von Fahrelnissa Zeid im Haus der Kunst, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Art et Liberté" über "Umbruch, Krieg und Surrealismus in Ägypten (1938-1948)" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 20, Düsseldorf

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Ara Güler - Das Auge Istanbuls: Retrospektive von 1950 bis 2005" im Willy-Brandt-Haus, Berlin.

 

Der Zweite Weltkrieg beendet die Berliner Episode. Zurück in Bagdad kämpft die Künstlerin mit Depressionen. Erst ab 1946 in London, der nächsten Diplomatenstation ihres Mannes, blüht Zeid wirklich auf. Sie richtet sich im Botschaftsgebäude ein Atelier ein und verkehrt mit Künstlern wie Henry Moore, Marc Chagall und Giorgio de Chirico. Inspiration sucht sie in ihrer Lieblingsstadt Paris, wo sich regelmäßig aufhält: In ihrem dortigen Studio erlebt sie ihren künstlerischen Durchbruch: „Resolved Problems“ heißt ein Titel 1948. Von nun an malt Fahrelnissa Zeid abstrakt; ihre Leinwände werden größer und ihr Stil unverwechselbar.

 

1958 wird beim irakischen Staatsstreich die gesamte Familie ihres Mannes in Bagdad ermordet. Erst Mitte der 1960er Jahre malt Zeid wieder: Erinnerungsporträts vom Vater und Freunden. Parallel fertigt sie Assemblagen aus bemalten Hühnerknochen in Kunstharz an, aber keine abstrakten Bilder mehr.

 

Jordanisches Kunstinstitut aufgebaut

 

In einem späten Selbstbildnis imaginiert sich Fahrelnissa Zeid als „Someone from the Past“: eine schöne, junge Prinzessin mit großen melancholischen Augen und einem schwarz-goldenen Kleid, dessen Extravaganz zwischen Barock und Byzanz changiert. Zuletzt ließ sich die Künstlerin in Jordanien nieder und baute ein „Königliches Nationales Kunstinstitut“ in der Hauptstadt Amman auf; dort starb sie 1991.

 

In ihrer Malerei erfand sich Fahrelnissa Zeid neu; dabei löste sich völlig aus den festen Traditionen und Rollenbildern ihrer Herkunft. Aber sie schrieb diese zugleich weiter fort: mit Werken, die aus der freien Gestik des Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock und der Formstrenge orientalischer Ornamentik eine ganz eigene Synthese bilden.