Potsdam

Hinter der Maske – Künstler in der DDR

Günter Firit: Selbstzerstörung, 1987, Nachlass Günter Firit, Photo: Frank Strassmann. Fotoquelle: Museum Barberini, Potsdam
Jenseits des Sozialistischen Realismus: Ostdeutsche Künstler loteten experimentierfreudig allerlei Spielräume abseits der SED-Parteilinie aus. Das zeigt das Museum Barberini anschaulich in einer großen Retrospektive dieser abgeschlossenen Kunstrichtung.

Eine Vergangenheit, die gar nicht so lange her, aber kaum noch zu sehen ist: Kunst aus der DDR wird selten ausgestellt. Zwar gibt es ostdeutsche Museen wie die Kunsthalle Rostock oder das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst mit Zweigstellen in Cottbus und Frankfurt/Oder, die beharrlich Künstler aus der Ex-DDR dokumentieren – für ein regionales Publikum, dem vieles davon vertraut ist. Aber welches Museum in der alten Bundesrepublik hätte je der DDR-Kunst eine große Überblicks-Schau gewidmet?

 

Info

 

Hinter der Maske - Künstler in der DDR

 

29.10.2017 - 04.02.2018

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5–6, Potsdam

 

Katalog 29,95 €;
Begleitband zur Galerie im Palast der Republik 14,95 €

 

Weitere Informationen

 

Diese Kunst ist sehr eigentümlich: Sie entstand unter einem Regime, das sich auf der Siegerstraße der Geschichte wähnte und von seinen Kulturschaffenden verlangte, diese in seinem Sinne auszuschmücken. Solche ideologischen Vorgaben konnte niemand ignorieren – sie bestimmten auch nach 1990 die Diskussion über den kulturellen DDR-Nachlass. Die Gretchenfrage lautete stets: Parteitreue oder Opposition – für oder gegen die SED-Machthaber?

 

Wider den Bekenntniszwang

 

„Es hat den Anschein, als wirke die Umklammerung der Künstler durch die staatlichen Institutionen auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR fort“, stellt Kurator Michael Philipp fest. Dem Bekenntniszwang will das Museum Barberini entgehen: indem es keine Ausstellung über Kunst aus der DDR und ihre Rolle im Sozialismus, sondern über „Künstler in der DDR“ und ihr Selbstverständnis ausrichtet.

Feature zur Ausstellung; © B.Z.-Video


 

Erste Schau zum eigenen Umfeld

 

Auch als Akt der Aussöhnung an heikler Stelle: Der SAP-Mitgründer und Milliardär Hasso Plattner wollte sein Museum ursprünglich am Lustgarten von Potsdam errichten und dafür ein 17-stöckiges Hotel-Hochhaus abreißen – dagegen hagelte es Proteste. Daraufhin baute Plattner den friderizianischen Palazzo Barberini, den 1945 Bomben zerstört hatten, am alten Standort wieder auf: mit originalgetreuer Fassade und moderner Innenausstattung.

 

Durch zwei opulente Sonderschauen über Impressionismus und US-Malerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das Museum nicht nur die Potsdamer für sich eingenommen: Seit der Eröffnung vor knapp einem Jahr strömte bereits eine halbe Million Besucher ins Barberini. Doch beide Schauen präsentierten nur unumstrittene Meisterwerke des westlichen Kunstkanons – nun widmet sich das Museum erstmals dem Kulturerbe im eigenen Umfeld. Mit erheblichem Aufwand: Nur ein Zehntel der 120 Werke von mehr als 80 Künstlern stammt aus Plattners privater Sammlung, alle übrigen von rund 50 Leihgebern in ganz Deutschland.

 

Zwangsverbindung durch Zweifel

 

Das Ausstellungs-Konzept bemüht sich um größtmögliche Differenzierung: Kurator Philipp unterscheidet vier Künstler-Generationen mit jeweils prägenden Erfahrungen und entsprechender Haltung zu Staat und Partei. Ihr Schaffen wird unter neun Aspekten aufgeschlüsselt: vom Gegensatz zwischen Selbst- und Gruppenporträt bis zu Rückzugsräumen wie dem Atelier oder exzentrischer Historienmalerei – und jedes gezeigte Werk ausführlich kommentiert.

 

Damit gelingt es der Schau, die leidige Dichotomie von Systemnähe oder -ferne zu umgehen: Selbst DDR-Großkünstler nahmen sich teils erstaunliche Freiheiten heraus, und renitente Nonkonformisten mussten Kompromisse eingehen, um nicht mundtot gemacht zu werden. Auch radikale Ablehnung des Bestehenden schlug sich in der Kunstpraxis nieder. „Der permanente Zweifel gegenüber dem System war eine Art Zwangsverbindung“, stellt Cornelia Schleime fest; sie wurde nach Aufsehen erregenden Körper-Performances 1981 mit Ausstellungsverbot bestraft.

 

Parteilinie war nicht durchsetzbar

 

Wobei die SED-Kulturpolitik die Künste nie wirklich in den Griff bekam, nicht einmal in ihren rigide stalinistischen Anfängen: weder mit dem Formalismus-Verdikt 1951, das jede Abstraktion verdammte, noch mit dem „Bitterfelder Weg“, der ab 1959 die Kreativen in die Fabriken und LPGs leiten sollte. Beide Vorschriften wurden, da nicht durchsetzbar, de facto nach einigen Jahren aufgegeben. So überrascht im Rückblick, wie ungemein vielfältig die Bildsprachen von Künstlern in der DDR waren, und wie wenig sie sich auf eine Linie zwingen ließen.

 

Das Selbstbildnis, das der KZ-Überlebende Hans Grundig 1946 schuf, hätte auch Karl Hofer malen können, der zur gleichen Zeit in Westberlin wirkte: Mit harten Helldunkel-Kontrasten und kühlen Farben gibt es die desillusionierte Skepsis eines Kriegsüberlebenden wider. 1957 malte Willi Sitte in zart pastosen Tönen eine „Sich Stützende“, die wie ein Nebenwerk von Picasso aussieht. Später übte er wortreich Selbstkritik für solche Anleihen bei westlicher Nachkriegsmoderne; als Präsident des „Verbandes Bildender Künstler“ von 1974 bis 1988 wurde Sitte zum Inbegriff eines DDR-Kulturfunktionärs.

 

Solide handwerkliche Ausbildung

 

Das überbordende Getümmel auf seinen Großformaten, die an aktualisierten Rubens erinnern, dekorierte viele öffentliche Einrichtungen. Die Ausstellung zeigt sein „Selbst mit Tube und Schutzhelm“ von 1984 als nackten Dreivierteltorso vor der Staffelei – als ironische Persiflage auf den Bestarbeiter im Kunstkombinat?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Wolfgang Mattheuer - Bilder als Botschaft" – Retrospektive eines der bekanntesten DDR-Künstler in der Kunsthalle Rostock

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Norbert Bisky – Zentrifuge" – Werkschau eines Hauptvertreters der "Neuen Leipziger Schule" in der Kunsthalle Rostock

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Via Lewandowsky – Hokuspokus" – Retrospektive des früheren Autoperforations-Artisten im Museum der bildenden Künste, Leipzig

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Das große Welttheater" mit Werken des DDR-Künstlers Bernhard Heisig im Kunst-Raum des Bundestags, Berlin

 

und hier einen Beitrag zur Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" - große Überblicks-Schau in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden

 

Wenn all diese Positionen überhaupt eine Gemeinsamkeit haben, dann am ehesten auf handwerklicher Ebene. Die Ausbildung an Kunsthochschulen war stark reglementiert, und sie stattete ihre Absolventen mit solidem Rüstzeug aus. Das erlaubte ihnen, noch in wildeste Collagen Elemente von altmeisterlicher Präzision einzubauen. Der fröhliche Dilettantismus der Dresdener Künstlergruppe „Lücke“ um A.R. Penck, die ab 1971 kollektiv malte, blieb die Ausnahme.

 

Für Pop Art fehlte Warenwelt

 

Auffallend ist, wie unterschiedlich die zeitgenössische Kunst weltweit in der DDR rezipiert wurde. Da Ungegenständliches offiziell verpönt war, blieb der konsequente Konstruktivismus des Einzelgängers Hermann Glöckner eine Ausnahme. Auch die Pop Art fand mangels bunter Warenwelt im Sozialismus auf deutschem Boden kaum statt. Dagegen wurden Impulse von Konkreter Poesie oder Konzeptkunst rasch aufgenommen. Und Hartwig Ebersbach malte bereits ab Mitte der 1960er Jahre halb gestisch, halb expressiv wie die westdeutschen „Neuen Wilden“ eine Dekade später. Mit radikalen Performance-Inszenierungen waren die Dresdener „Autoperforations-Artisten“ um Else Gabriel und Via Lewandowsky ab 1985 ganz auf der Höhe ihrer Zeit.

 

Wie viele Berührungspunkte es zwischen offiziöser und inoffizieller Kunstproduktion in der DDR gab, demonstriert eine Begleitschau über die „Galerie im Palast der Republik“. Den 1976 eröffneten Repräsentationsbau zierten 16 Monumentalbilder, die das Kulturministerium bestellt hatte: bei Staatskünstlern wie Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer oder Walter Womacka, aber auch Malern aus der zweiten Reihe wie Erhard Großmann und Arno Mohr. Lange lagerten die Riesenleinwände im Depot, jetzt sind sie wieder zu sehen.

 

Sozialistisch-naive Malerei

 

Da fällt ein verblüffender Stilpluralismus auf. Ans Thema „Dürfen Kommunisten träumen?“ hielt sich allein Womacka: mit einem komplexen Simultanbild, das etliche Einzelmotive formal elegant miteinander verschränkt. Sitte und Roland Paris lieferten grellbunte Wimmelbilder, Tübke ein Neomanierismus-Triptychon, Heisig seinen bekannten „Ikarus“ als Historien-Panorama permanenter Katastrophen: Die Arrivierten zogen alle Register ihres Individualstils.

 

Daneben befremden Ölschinken, die formal so simpel wie inhaltlich naiv geraten sind – quasi sozialistischer Rousseauismus. Am populärsten wurde aber der Beitrag von Wolfgang Mattheuer: „Guten Tag“ zeigt eine Kleinfamilie beim Spaziergang auf einer Anhöhe; darunter breitet sich eine Industriestadt im Rauch der Schlote aus. Zaghafter Optimismus vor grauem Hintergrund; darin erkannten sich 1975 offenbar viele Betrachter wieder.