Köln

Il deserto rosso now – Photographische Reaktionen auf Antonionis Filmklassiker

Philipp Kurzhals: Ravenna revisited, 2016, © Philipp Kurzhals, 2017. Fotoquelle: Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln
Mit „Die rote Wüste“ schrieb Michelangelo Antonioni 1964 Kinogeschichte: Er zeigte Italien als düstere Mondlandschaft mit grellen Farbakzenten. Heute finden 30 Fotografen dort nur beliebige Schnappschüsse, führt eine Ausstellung der Photographischen Sammlung vor.

Eine Industrie- als Mondlandschaft: Die Unwirtlichkeit moderner Architektur und Technik hat erstmals Michelangelo Antonioni 1964 auf die Kinoleinwand geholt. Und das ausgerechnet in Italien: Das Sehnsuchts-Land, in dem einst die Zitronen blühten, sieht in „Il deserto rosso“ („Die rote Wüste“) quasi unbewohnbar aus.

 

Info

 

Il deserto rosso now – Photographische Reaktionen auf Antonionis Filmklassiker

 

01.09.2017 - 28.01.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln

 

Katalog 20 €

 

Weitere Informationen

 

Unter bleiernem Himmel reihen sich bizarre Gewerbebauten und Maschinenparks aneinander – vor allem Raffinerien und Hafenanlagen, die der staatliche Ölkonzern ENI an der Adria bei Ravenna errichten ließ. Silbergraue Rohrleitungen ziehen sich bis zum Horizont, Schlote spucken schwefelgelben Rauch aus, Menschen stapfen über braunschwarze Brachen. Durch diese apokalyptische Gegend irrt verstört Giuliana (Monica Vitti).

 

Affäre mit Auswanderer in spe

 

Nach einem leichten Verkehrsunfall hat sie jede Selbstsicherheit verloren und findet sich in ihrer bisherigen Rolle als Hausfrau und Mutter nicht mehr zurecht. Ihr Gatte, der Ingenieur Ugo, ist ihr fremd geworden; ihr kleiner Sohn scheint an einer Lähmung zu leiden. Giuliana lässt sich auf eine flüchtige Affäre mit Corrado ein, weil der Kollege ihres Mannes ihre Ängste zu verstehen scheint – und ohnehin bald auswandern wird. Doch ihre einzige Liebesnacht verläuft arg verkrampft; das lässt Giuliana noch ratloser zurück.

Impressionen der Ausstellung


 

Farben wie ein Maler verwenden

 

Es war weniger diese Geschichte einer existentiellen Entfremdung als vielmehr die innovative Farbregie, für die „Il deserto rosso“ beim Festival in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämiert wurde. Kritiker schwärmten, Antonioni habe „die Farbe in einem bisher nicht gekannten Ausmaß als dramatisches Ausdrucksmittel verwendet“. Zuvor hatte der Regisseur seine Meilensteine des italienischen Neorealismo allesamt schwarzweiß gedreht.

 

In seinem ersten Farbfilm setzte Antionioni seine Palette wie ein Maler ein: Vor dem Hintergrund einer durchweg diffus beleuchteten bis nebligen Welt springen bunte Akzente den Betrachter geradezu an. Kessel und Rohre leuchten metallisch blau und rot, ebenso Gegenstände aus Plastik – etwa ein gelber Kreisel oder ein blauer Spielzeug-Roboter im Kinderzimmer. Befreundete Paare ziehen sich für pikante Konversation in eine grellrot ausgepinselte Anglerhütte zurück. Und wenn Giuliana bei ihrem Seitensprung in einem rosa Hotelzimmer vor ihrem Tun erschrickt, halluziniert sie einen scheußlichen lila Fleck an der Wand.

 

Keinen Draht zu Antonionis Film

 

Solche Effekte mögen mittlerweile etwas plakativ erscheinen; vor einem halben Jahrhundert waren sie bahnbrechend neu. Das macht „Il deserto rosso“ zu einem Klassiker der Kinogeschichte – Anlass genug, an den Film anzuknüpfen und mit künstlerischen Mitteln ihn auf seine Bedeutung für die Gegenwart abzuklopfen. Dazu hat die Leipziger „Hochschule für Grafik und Buchkunst“ mit zwei italienischen Partner-Einrichtungen rund 30 vor allem junge Fotografen – geboren in den 1970/80er Jahren – auf Spurensuche nach Ravenna geschickt.

 

Die Ergebnisse werden nun in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln ausgestellt, nachdem sie zuvor in Italien präsentiert wurden. Mit einem gemeinsamen Nenner: Fast alle Teilnehmer können mit Antonionis neorealistischem Regie-Stil wenig bis nichts anfangen. Weder die Filmhandlung noch die Personen-Konstellation rund um die Neurotikerin Giuliana findet in den gezeigten Fotoserien und Diaprojektionen irgendeinen Widerhall.

 

Schauplatz für skurriles Augenfutter

 

Diejenigen, die überhaupt den Kinoklassiker berücksichtigen, klauben sich daraus Bruchstücke heraus und kombinieren sie erratisch. So etwa Christoph Brückner mit „Adaption / Disorder“: Auf einem klobigen Kontroll-Monitor sind kurze, entfärbte Filmsequenzen zu sehen, daneben projiziert Brückner irgendwelche Dialog-Zitate – womit er wahrlich eine „Atmosphäre der Verwirrung und Krise“ reproduziert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Blow Up - Antonionis Filmklassiker und die Fotografie" - in der Galerie C/O Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pasolini Roma" - exzellente Retrospektive über Leben + Werk von Pier Paolo Pasolini im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “Martin Scorsese” erste Retrospektive des US-Regisseurs weltweit im Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

 

Die meisten Beiträge betrachten aber das setting bei Ravenna nur als skurrilen Schauplatz: Noch heute baden dort alljährlich Zehntausende von Strandurlaubern direkt neben Industriekomplexen, während im Meer Hochseefrachter vorüberziehen. Das bietet genug Augenfutter für mehr oder weniger nahe liegende Aufnahmen: von sonnengebräunten Frührentnern im Tanga-Slip oder Kleinbürger-Familien am Freiluftgrill, und natürlich jede Menge bröckelndem Beton.

 

McDonalds-Becher + Zootiere

 

Wobei die Künstler noch die fadesten und nichtssagendsten Schnappschüsse zu prägnanten Symbolen für Orientierungslosigkeit und Sinnverlust verklären. Das dürfen auch visuelle Kalauer sein: Dana Lorenz und Jakob Argauer verdecken mit „McDonalds“-Bechern Kühltürme, die im Film prominent hervortreten. Daniele Ansidei lichtet Fahrgeschäfte und Tiere in einem nahen Vergnügungspark samt Zoo ab.

 

Dana Lorenz filmt einfach 22 Minuten lang die Äthiopierin Muna Mussie – als Protest gegen Antonionis Sicht auf eine Frauenfigur: „So werden der (weiße) männliche Blick als auch unsere eigenen eurozentristischen (Medien-)Bilder und Assoziationen, die immer Projektionsflächen sind, entlarvt.“ In Zeiten von #metoo-Debatten sind solche Phrasen stets auf der richtigen Seite. Sie entlarven allerdings auch, dass diese Nachwuchs-Fotografen sich mit willkürlichen und beliebigen Spielereien begnügen.