Woody Allen

Wonder Wheel

Humptys Tochter Carolina (Juno Temple) hat sich auf üble Leute eingelassen. Foto: © 2017 Warner Bros. Pictures
(Kinostart: 11.1.) Ein Altmeister recycelt sich selbst: Mit einer Ex-Schauspielerin, die ihr Glück bei einem Bademeister sucht, erzählt Woody Allen einmal mehr von den Fallstricken der Liebe. Belanglose Tragikomödie in farbenprächtiger Retro-Ästhetik.

Ach, dieser Woody Allen! Einerseits möchte man vor ihm den Hut ziehen – allein dafür, dass der 82-Jährige weiterhin unermüdlich einen Film pro Jahr dreht. Doch andererseits sind wegen seiner überschaubaren Themen-Palette nach fünf Jahrzehnten Wiederholungen vorprogrammiert. Irgendwann hat sich das, was der Regisseur zu sagen hatte, offenbar erschöpft. Man hat den Eindruck, dass Allen beim Filmemachen inzwischen auf Autopilot schaltet; Details scheinen ihn kaum noch zu interessieren. 

 

Info

 

Wonder Wheel

 

Regie: Woody Allen,

101 Min., USA 2017;

mit: Kate Winslet, Justin Timberlake, Jim Belushi, Juno Temple

 

Weitere Informationen

 

Trotzdem gab es auch in Allens Alterswerk noch Highlights, etwa den vom Werk des Dramatikers Tennessee Williams inspirierten Film „Blue Jasmine“ (2013). Auch mit „Wonder Wheel“ erlaubt Allen sich ein Kopfnicken in Richtung des Klassikers „Endstation Sehnsucht“; Williams‘ Theaterstück von 1948 wurde drei Jahre später von Elia Kazan mit Marlon Brando kongenial verfilmt. Die tragische Heldin von „Wonder Wheel“, Ginny (Kate Winslet), ist eine working class-Version der high society-Frau Jasmine.

 

Schöne Retro-Kulisse

 

Nachdem Allen sich in den letzten Jahren immer wieder mit nostalgischem Blick dem alten Europa zugewandt hatte, nimmt er sich nun erstmals seit „Whatever Works“ (2011) wieder seiner Heimatstadt New York an. Vor einer Retro-Kulisse der 1950er Jahre, dem Vergnügungspark Coney Island im Süden von Brooklyn, erzählt Allen von amourösen Wirren, schmucken Bademeistern, gescheiterten Lebensentwürfen und sinistren Mafiosi. Im Mittelpunkt steht Ginny: Sie ist unglücklich verheiratet mit dem Karussellbetreiber und Ex-Alkoholiker Humpty (Jim Belushi).

Offizieller Filmtrailer


 

Ein pyromanischer Sohn

 

Einst lebte sie in einer glücklichen Beziehung, glaubte an ihre künstlerische Berufung und spielte Theater. Nun schuftet sie in einem Fisch-Imbiss und trauert ihrer großen Liebe nach, die sie durch einen Seitensprung vergrault hat. Von damals geblieben ist ihr nur ihr pyromanisch veranlagter Sohn; der zündet alles an, was er auf seinen Streifzügen durch Coney Island findet. Auch Gatte Humpty hat Kummer mit seinem Kind aus erster Ehe. Tochter Carolina (Juno Temple) hat ihm das Herz gebrochen, als sie einen Gangster heiratete.

 

Mittlerweile hat sie von ihrem Gauner-Gatten zwar genug. Doch der Mafia gefällt nicht, dass sie beim FBI ausgepackt hat. In ihrer Not steht sie bei Daddy vor der Tür – was Ginny nicht gefällt. Deren einziger Lichtblick ist Mickey (Justin Timberlake), der mit Ginny anbändelt. Der Bademeister und Rettungsschwimmer hält sich für einen Feingeist und künftigen Bühnenautor – und reagiert willfährig auf die Ambitionen seiner Affäre. Kurzum: Er soll die Dinge für Ginny wieder ins Lot bringen. Doch dann verguckt sich Mickey in deren Stieftochter Carolina.

 

Belangloser Humor

 

Mit dieser Geschichte zitiert Woody Allen große Melodramen der 1950er Jahre, aber leider zündet der Plot nicht; was vor allem an den ziemlich schwachen Dialogen liegt. Über eine erste Fassung scheint Allen mit dem Drehbuch nicht hinausgekommen zu sein – und die enthält reichlich banales Pathos, Humor dagegen nur in Spurenelementen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Café Society" - romantische Komödie über Hollywood + Jazz-Clubs der 1930er Jahre von Woody Allen

 

und hier einen Bericht über den Film "Magic in the Moonlight" - 1920er-Jahre-Komödie von Woody Allen mit Colin Firth + Emma Stone

 

und hier eine Besprechung des Films "Blue Jasmine" – tiefgründige Finanzkrisen-Tragikomödie von Woody Allen mit Cate Blanchett

 

und hier einen Bericht über den Film "To Rome with Love" – klischeelastige Rom-Komödie von Woody Allen mit Penélope Cruz.

 

Zudem fühlt man sich von der unrealistischen Handlung verschaukelt: Wer sich vor der New Yorker Mafia verstecken will, der heuert in einem Ausflugslokal in Brooklyn an? Auch der vielversprechende Cast enttäuscht: Justin Timberlake, der als Möchtegern-Dramatiker die Rolle ausfüllt, die Allen in jüngeren Jahren vermutlich selbst gespielt hätte, bleibt leblos. Den Bademeister nimmt man ihm zwar ab, den ambitionierten Autor hingegen nicht. Seine Figur ist allerdings so eindimensional angelegt, dass auch ein anderer Schauspieler wohl wenig daraus gemacht hätte.

Boulevard statt große Bühne

 

Einzig Kate Winslet haucht ihrer Ginny Leben ein; auf eine sehr eindringliche, theatralische Art; das wirkt so, als wolle Winslet mit ihrem Auftritt auf einer Sprechbühne bis zu den hinteren Rängen durchdringen. Überhaupt strahlt „Wonder Wheel“ etwas theaterhaftes aus – was nicht schlecht sein muss. Nur ist es hier leider eben eher der Boulevard als die große Bühne. Schon bald wird dem Zuschauer ziemlich egal, wie es mit den Protagonisten weitergeht. 

 

Das ist bedauerlich, weil diese Tragikomödie wirklich toll aussieht. Kameramann Vittorio Storaro, der schon die Klassiker „Apocalypse Now“ (1978) von Francis Ford Coppola und „Der letzte Kaiser“ (1985) von Bernardo Bertolucci gedreht hat, schafft mit geschickten Farbakzenten eine wunderbar leuchtende, keineswegs grelle Retro-Ästhetik – etwa, wenn er das brüchige Licht auf den Vergnügungspark scheinen lässt. Deshalb schmerzt es, von diesem Film abzuraten. Vielleicht sind Ohrenstöpsel eine Lösung: Dann könnte man sich die Dialoge ausdenken.