Der 17-jährige Elio verbringt den Sommer 1983, wie schon in den Vorjahren, mit seinen Eltern im norditalienischen Landhaus der Familie. Auch der US-Doktorand Oliver kommt hier ein paar Wochen unter, um an seiner Dissertation zu arbeiten und Elios Vater, einem emeritierten Archäologieprofessor, zur Hand zu gehen. Oliver fragt Elio, was man denn hier den ganzen Tag so treibe. Der will dem für seine Geschmack zu cool auftretenden Amerikaner ein bisschen Coolness entgegensetzen und erklärt nonchalant: Warten, dass der Sommer vorbei ist. Und im Winter? Naja, da warte man dann auf den Sommer.
Info
Call me by your Name
Regie: Luca Guadagnino,
132 Min., Italien/ Frankreich/ Brasilien/ USA 2017;
mit: Timothée Chalamet, Esther Garrel, Armie Hammer
Wie ein träger Nachmittag am Pool
Dieser Film schenkt einem mehr als zwei Stunden lang ein solches Luxus-Gefühl, das ansonsten verloren gegangen ist – als würde man einen heißen Nachmittag im Kreis von Elios Familie schön träge am Pool verbringen. Dabei wirkt die Liebesgeschichte zwischen Elio und Oliver im Nachhinein wie ein Traum, an den man sich nur halb erinnert, der aber dennoch ein klares Gefühl hinterlässt. Etwa so wie ein verblichenes Farbfoto aus Jugendtagen, das Erinnerungen heraufbeschwört, obwohl man diesen besonderen Sommer gar nicht selbst erlebt hat.
Offizieller Filmtrailer
Wie Film von Italiens Tourismuswerbung
Erst einmal wird man jedoch in die Irre geführt. Es brodelt ein wenig unter der perfekten Oberfläche, so dass man zunächst vermutet, das latent Dräuende könne auf Thriller-Terrain führen. Schließlich ist die Sommerfrische, in dem sich Abgründe auftun, ein etablierter Genre-Topos – wie auch in „A Bigger Splash“ (2016), dem letzten Film von Luca Guadagnino. Damit hatte sich der italienische Regisseur an einem Remake von Jacques Derays Klassiker „La Piscine“ (1969) versucht, bei dem leider vieles nicht richtig zusammenpasste.
Ganz anders dagegen diese Adaption des gleichnamigen Romans von André Aciman: Hier ergänzen sich Handlung und Atmosphäre fast perfekt. Bisweilen wirkt das Ganze wie ein Werbefilm der italienischen Tourismusbehörde, doch das möchte man Regisseur Guadagnino gar nicht vorwerfen – so gut passen alle Elemente zusammen.
Wie junger Gott + Surflehrer
Jedenfalls kristallisiert sich langsam heraus, dass beim unterschwelligen Brodeln nichts Sinistres mitschwingt; es ist allein der besonderen Chemie zwischen dem vor sich hin pubertierenden Elio und dem sieben Jahre älteren Oliver geschuldet. Der wirkt wie eine Mischung aus jungen griechischem Gott und all american boy: attraktiv wie ein Surflehrer und mit für Elio irritierendem Selbstvertrauen ausgestattet.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "God's Own Country" – herb-romantisches Homosexuellen-Drama von Francis Lee
und hier eine Besprechung des Films "A Bigger Splash" – luxuriöser Lebemann-Krimi am Urlaubs-Pool von Luca Guadagnino mit Ralph Fiennes + Tilda Swinton
und hier einen Bericht über den Film "La belle saison – Eine Sommerliebe" – lesbisches Liebesdrama in den 1970er Jahren von Catherine Corsini mit Cécile de France
und hier einen Beitrag über den Film "Der Fremde am See" – fesselnder schwuler Kammerspiel-Thriller von Alain Guiraudie
Sog durch luftige Zerfaserung
Das bei aller sinnlichen Opulenz subtile Drama erzählt vom Suchen und von einem Begehren, in dem auch immer Zweifel mitschwingen. Nicht nur, weil die Welt vielleicht noch nicht reif ist für diese Liebe – auch in diesem Punkt hält der Film eine schöne Überraschung bereit. Sondern vor allem, weil es nie leicht ist, sich wirklich zu öffnen. An vordergründiger Handlung passiert dabei recht wenig. Doch ein Film wie dieser bereitet wohl am meisten Freude, wenn man sich möglichst unvoreingenommen von ihm einwickeln lässt.
Allerdings muss man etwas Geduld aufbringen. Eine ganze Weile mäandert die Erzählung scheinbar ziellos vor sich hin – was durchaus eine dramaturgische Funktion erfüllt. Regisseur Guadagnino lässt sich Zeit und erwartet das auch vom Zuschauer. Auf luftig zerfaserte Weise entwickeln die atmosphärischen Bilder ihren ganz eigenen Sog. Für den lohnt sich am Ende sehr, diese Geschichte einer sympathisch klischeefreien schwulen Liebe mitzuverfolgen.