Das Reformationsjahr 2017 ist vorbei, und schon bürstet die Staatsgalerie Stuttgart mit einer fulminanten Ausstellung gegen den Strich. Sie nimmt die katholische Gegenseite in den Blick – und überrascht mit einem unbekannten Protagonisten: dem Meister von Meßkirch. Die goldgespickten Originale in der „Großen Landesausstellung Baden-Württemberg“ haben das Potential, nicht nur Fachleute zu faszinieren. Und auch wenn die Gemälde für nicht Bibelfeste auf den ersten Blick allzu still und fromm wirken mögen, verbirgt sich doch hinter ihrer malerischen Virtuosität emotionaler Sprengstoff und eine Erzählkunst, die bis heute berührt.
Info
Der Meister von Meßkirch - Katholische Pracht in der Reformationszeit
08.12.2017 - 02.04.2018
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30 - 32, Stuttgart
Der frühe Meister als copycat?
Das Frühwerk des Meisters nimmt Partei für die von Luther attackierte Papstkirche. Zeitgenossen verstanden solche Fingerzeige. Allerdings spielen die Darsteller ihre Rollen ein wenig zu routiniert. Man spürt bei solchen frühen Arbeiten des Meisters von Meßkirch, wie stark sich das aufstrebende Talent um 1520 an gängigen Vorbildern orientierte.
Impressionen der Ausstellung
Auftragswerke für Reiche
Bei wem er sein Handwerk lernte und wo oder wann er geboren wurde, ist unbekannt. Signiert hat er wie die meisten Zeitgenossen nicht, aber die Werke selbst verraten viel. Nach seinen Lehr- und Wanderjahren in Kunstzentren wie Ulm, Augsburg und Straßburg eröffnete er eine eigene Werkstatt, wohl in Sigmaringen. Zwischen 1520 und 1540 war er im Südwesten Deutschlands gut im Geschäft. Dass er mehrere Mitarbeiter beschäftigte, erklärt seine vielen Aufträge und die wechselnde Qualität der Arbeiten: Er lieferte, was die reiche Kundschaft verlangte.
Für das Hauptwerk des Meisters griff Auftraggeber Graf Gottfried Werner von Zimmern, „ein wahrlicher Catholicus“, tief in die Tasche. Er ließ die Kirche seiner Residenzstadt Meßkirch komplett mit neuen Klappaltären ausstatten: ein Großauftrag mit über 70 Heiligenfiguren und vielen Passionsszenen. Diese Investition des Grafen war ein öffentlichkeitswirksames Manifest gegen die sich ausbreitende Reformation, die die Heiligenverehrung strikt ablehnte. Um diesen heute weltweit verstreuten Bilderzyklus zu präsentieren, hat sich der große Säulensaal der Staatsgalerie in eine Kirche mit Seitenkapellen verwandelt. Staunend kann man an den realitätsnah wiedergegebenen heiligen Männern und Frauen vorbeispazieren.
Mittelalterliche splatter-Szenen
Der eine trägt seinen Kopf unterm Arm, der nächste führt einen großen Grillrost mit, auf dem er beim Martyrium geröstet wurde. Der Hl. Erasmus hält eine Darmwinde mit aufgewickelten Innereien, während der Hl. Veit im modischen Renaissance-Gewand einen Kessel siedenden Öls schleppt. Auch die Damen verziehen trotz aller Brutalität keine Miene, selbst wenn ihnen ein blutiges Schwert quer durch den Hals fährt wie etwa der Hl. Lucia.
Diese Identifikations-Figuren agieren die Ängste und Hoffnungen, Phantasien und Alltagserfahrungen der Menschen um 1500 aus. In den Passionsszenen lassen vor allem die negativen Gestalten ihren Aggressionen vollen Lauf, schneiden Grimassen, schwingen die Knüttel. Ein Folterknecht in engen Strumpfhosen hat dazu extra die Schuhe ausgezogen.
Soziale Brüche ins Bild gezwängt
Ein Dreikönigsaltar zeigt besonders anschaulich, wie virtuos der Meister von Meßkirch war. Sehr fein pinselte er die Gefühlsregungen der Akteure und die niedlich-kindliche Präsenz des neugeborenen Christus. In den Seitentafeln, wo sich die fürstlichen Auftraggeber selbst ins Spiel bringen, blitzen die sozialen Brüche der Zeit um 1500 auf: So hat der kniende Graf von Zimmern das Visier seiner silbergrauen Prunkrüstung aufgeklappt. Hinter ihm zwängt sich ein halbnackter, verkrüppelter Bettler ins Bild und zupft am Gewandsaum des Heiligen Bischofs Martin.
Doch auf derart lebensnahe Aspekte und gesellschaftliche Hintergründe mag die Ausstellung nicht näher eingehen; sie konzentriert sich voll aufs kunsthistorische Kerngeschäft. Eingehend werden Einflüsse und Motivübernahmen in Vergleichswerken aufgeblättert: Wo der Meister von Meßkirch sich aus Dürers Stichen bediente, wie er bei dessen Schüler Hans Baldung Grien schmulte, lässt sich an den gezeigten Beispielen genau ablesen.
Protestantischer Bildersturm
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Bild und Botschaft - Cranach im Dienst von Hof und Reformation" - in Gotha und Kassel
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Die Graue Passion in ihrer Zeit” - über das einzigartige Altar-Meisterwerk von Hans Holbein d.Ä. in der Staatsgalerie Stuttgart
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Meister der Dürerzeit" - über Hans Baldung, gen. Grien, in der Gemäldegalerie, Berlin
Im letzten Raum der Ausstellung ist es gerade nicht die katholische Bildkunst, die auf die Erzählmacht der Kunst setzt. Mit über 150 Szenen ging der Maler Heinrich Füllmaurer aus Herrenberg 1538 buchstäblich in die Vollen. Sein „Gothaer Tafelaltar“ stand ursprünglich im Stuttgarter Schloss und diente zum Anschauungsunterricht für den Nachwuchs des protestantischen Herzogs Ulrich. Wie eine graphic novel verpackte er den spröden religiösen Lehrstoff in saftige Bilderzählungen und knappe Texte.
Kein kunsthistorisches fastfood
Vielleicht kannten sich die beiden Maler, der Meister von Meßkirch und sein Kollege Füllmaurer. Schließlich waren beide im südwestdeutschen Raum für dieselben adeligen Auftraggeber tätig: der eine für die katholische, der andere für die protestantische Seite. Zu denken geben die Werke bis heute genug. Fastfood für den kunsthistorischen Schnellimbiss bietet diese materialreiche Schau nicht. Sie ist etwas für Genießer, die Lust haben, sich auf die manchmal bizarren, aber sinnlichen Bildwelten der Reformations-Ära einzulassen.