Guillermo del Toro

Reale Monster sind im Menschenherz

Regisseur Guillermo del Toro. Foto: © 2017 Twentieth Century Fox
Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro hat mit "Shape of Water" einen Fantasy-Historienfilm gedreht, der für 13 Oscars nominiert wurde. Das Monster in seinem Film spiegele immer auch das Monster im Menschen, betont er im Interview.

Sie sind nicht nur Regisseur von „Shape of Water“, sondern haben auch die Story erdacht. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen? 

 

Mit sechs Jahren habe ich „Der Schrecken des Amazonas“ von 1954 gesehen, aber noch mehr war ich von „Das Ungeheuer ist unter uns“ (1956) inspiriert, dem dritten Teil dieser Saga um einen Amphibienmenschen. Ich hatte schon immer die Idee, wie es wäre, ihn sanfter und zärtlicher zu zeigen – und ihm eine Liebesgeschichte zuzugestehen. Aber wie sollte das funktionieren? Auf eine Lösung kam ich erst, als der Produzent Daniel Kraus 2011 die Idee hatte, eine Putzfrau könne das fremdartige Lebewesen mit nach Hause nehmen. Das war für mich der Schlüssel. 

 

Info

 

Shape of Water - Das Flüstern des Wassers

 

Regie: Guillermo del Toro,

123 Min., USA 2017;

mit: Sally Hawkins, Octavia Spencer, Michael Shannon

 

Weitere Informationen

 

Inwiefern?

 

Ich fing Anfang 2012 sofort damit an, die Idee umzusetzen. Ich wusste, es wäre der perfekte Weg, wenn man die Geschichte aus der Sicht einer quasi unsichtbaren Person erlebt. Eine Person ohne Stimme und ohne Namen, wie die Putzfrau Elisa, von der im Geheimlabor kaum Notiz genommen wird. Das machte es einfach, dieses Märchen zu strukturieren. 

 

Ihr Amphibienwesen hat große Ähnlichkeit mit der Kreatur aus „Der Schrecken des Amazonas“ – warum?

 

Es hat diesen Anschein, aber wenn man beide Seite an Seite stellt, sind nur noch sehr wenige Übereinstimmungen erkennbar. Man kann keinen neuen Gorilla kreieren, ohne außer Acht zu lassen, dass „King Kong“ zuerst da war.

Offizieller Filmtrailer


 

Echte Menschen sind wichtig

 

Wie wichtig war Ihnen, dass der Amphibienmann von einem echten Schauspieler gespielt wird? Heutzutage werden Ungetüme ja meist am Computer animiert.

 

Es war sehr wichtig, denn ich glaube an die Körperlichkeit im Kino. Ich arbeite lieber in echten Kulissen, mit echten Effekten und mit Kreaturen, für die ein Schauspieler in einen Anzug steigen muss. Für die Erschaffung unserer Kreatur brauchten wir drei Jahre. Zwei Jahre, um sie zu designen, und ein Jahr für die Umsetzung mit Farben und Plastikteilen, damit sie lebendig wird. Wir haben sie immer wieder getestet, und das hat sich gelohnt, denn so konnten die Schauspieler eine Beziehung zu ihr aufbauen und auf sie reagieren.  

 

Fast alle Ihre Filme handeln von Monstern. Warum sind Sie so fasziniert davon?

 

Ich glaube, dass das wirkliche Monstrum im Herzen eines Menschen existiert. Die Schönheit von Film-Monstern besteht für mich hingegen darin, dass sie etwas repräsentieren können, das über das Menschliche hinausgeht. Sie können freundlich und zerbrechlich sein wie das von Frankenstein erschaffene Monster oder mächtig und majestätisch wie das Naturgeschöpf Godzilla. Sie können Fragilität genauso zum Ausdruck bringen wie Chaos und Zerstörung. Die wahren Monster in meinen Filmen sind aber immer Menschen. Ob nun der Hauptmann aus „Pans Labyrinth“ oder die Figur von Jessica Chastain aus „Crimson Peak“ – sie alle tragen die Scheußlichkeit in ihren Herzen.

 

Vergangenheit vermeidet soziale Medien

 

Mit Blick auf die momentane Weltlage scheint es, als würden wir derzeit von zahlreichen menschlichen Monstern beherrscht.

 

In der Geschichte gab es immer Zeiten, in denen menschliche Monster ihr Unwesen trieben. Die Gefahr heutzutage ist, dass diese Monster die digitalen Medien wie Internet nutzen können, um ihre Botschaften zu verbreiten. Sie erreichen damit den Geist und die Herzen der Menschen sehr viel überzeugender und durchdringender als je zuvor. Sie können eine Wahrheit für sich beanspruchen, indem sie einfach eine neue Wahrheit erfinden – und können damit ihre eigenen Überzeugungen negieren oder bestätigen, wie es ihnen gefällt. Wir leben in einer gefährlichen Zeit, denn wir verraten unseres Fähigkeit als Menschen, das Gute vom Bösen und das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Das ist auch einer der Gründe, warum ich „Shape of Water“ unbedingt machen wollte. 

 

Ihr Film ist mehr als ein Märchen, wenn Sie Themen wie etwa Rassendiskriminierung ansprechen. Aber warum spielt „Shape of Water“ in den 1960er Jahren? 

 

Mit einer Geschichte, die in unserer Gegenwart spielt, hätte sehr schnell eine Debatte auf Twitter und Facebook entstehen können. In solchen Diskussionen werden oft ausgeklügelte Argumente hervorgeholt, mit der sich die Wahrheit zerstören und relativieren lässt. Beginnt eine Geschichte aber mit „Es war einmal im Jahre 1962“, lässt sich eine Diskussion ohne aufrührerische Wortgefechte führen. Themen lassen sich effektiver angehen, wenn man sie in eine Parabel verpackt, anstatt sie mit Nachrichten von heute zu füttern. 

 

Das echte Monster Trump

 

Sie sind Mexikaner; Donald Trump will eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Entspricht der amtierende US-Präsident Ihrem Bild von einem menschlichen Monster?

 

Alles, was in dieser Regierung gerade maßgeblich ist, würde ich als unglaublich unmenschlich bezeichnen. Das beschränkt sich nicht nur auf eine Person, sondern das Geschwür liegt sehr viel tiefer. Aber es ist diese Person, die den Diskurs auf eine Weise degenerieren lässt, wie es in der modernen Geschichte der USA noch nicht geschehen ist. Er repräsentiert eine tiefgehende Grobheit und schürt damit das Misstrauen und die Angst gegen alle, die anders sind. Das empfinde ich als sehr rückwärtsgewandt.  

 

Nebenbei erzählen Sie in „Shape of Water“, wie das Kino durch das Aufkommen des Fernsehens Anfang der 1960er Jahre zurückgedrängt wurde.  

 

Ja, da gibt es im Film dieses Kino, in dem kaum noch Zuschauer sitzen. Es steht für die Liebe zum klassischen Kino, wie ich es in meiner Kindheit erlebt hatte. Für mich war es ein exotischer Rückzugsort, in dem keine großen Klassiker wie „Citizen Kane“ liefen, sondern kleine Komödien und B-Movies, die nicht diese Bedeutung hatten. Aber als Kind fühlte ich mich diesen Filmen verbunden. Nach der Kirche ging es stets ins Kino – beides waren spirituelle Orte für mich. In dieser Tradition drehte ich auch „Shape of Water“, etwa so wie ein Musical in Technicolor. 

 

Das Kino wird überleben

 

Damals bedrohte das Fernsehen das Kino, heute sind es die digitalen Medien. Zugkräftig sind fast nur noch Superheldenfilme. Welche Zukunft prophezeien Sie dem heutigen Kino? 

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Shape of Water - Das Flüstern des Wassers" von Guillermo del Toro

 

und hier eine Besprechung des Films "The Untamed" - eindrucksvolles Sozialdrama über Sex mit Außerirdischem von Amat Escalante

 

und hier einen Bericht über den Film "Sieben Minuten nach Mitternacht" - bewegendes Melodram über Freundschaft zwischen Jungem und Monster von  Juan Antonio Bayona

 

und hier eine Besprechung des Films "Maudie" - anrührende Biographie einer kanadischen Folk-Art-Malerin von Aisling Malsh mit Sally Hawkins

 

Einst war die Malerei die bestmögliche Kunstform, bis die Fotografie entstand. Das führte wiederum in der Malerei zu neuen Bewegungen wie dem Expressionismus und den Symbolismus. Zugleich herrschten auch Angst und der Wunsch, wieder zurück in die Vergangenheit zu gehen. Nun haben wir wieder eine Veränderung mit digitalen Geräten wie Computer und Smartphones. Damit werden sich auch unsere Erfahrungen mit Kinobesuchen verändern, aber ich glaube dennoch, dass das Kino – in welcher Form auch immer – bestehen bleiben wird.  

 

Was macht Sie da so sicher? 

 

Nun ja, wir leben im 21. Jahrhundert und gehen trotzdem noch in die Oper, um Werke von Mozart oder Puccini zu erleben. Oper besteht immer noch aus Schauspielern, Sängern und einem Orchester, aber wir tun nicht mehr so, als wäre Oper die wichtigste Unterhaltungsstätte, um die Massen anzuziehen.  Ich weiß nicht, wie sich das Kino verändern wird, aber ich bin mir sicher, dass es eine Wandlung geben wird. Es wird aber bestimmt auch in Zukunft existieren. 

 

„Shape of Water“ wird mit Lob überschüttet und wurde für 13 Oscars nominiert. Wie nehmen Sie diesen Hype wahr? 

 

Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich damit verbracht, Filme zu drehen. Ich weiß, dass Filme manchmal richtig gut ankommen können, wofür man dankbar und glücklich sein sollte. So empfinde ich auch gerade. Aber ich kenne ebenso, dass ich einen guten Film gemacht habe, der kaum ankommt. Auch damit muss man sich abfinden. Ich glaube, man muss wissen, dass der eigentliche Zweck des Filmmachens darin besteht, seine Geschichten zu erzählen.