Dortmund

Afro-Tech and the Future of Re-Invention

Wanuri Kahiu: „Pumzi“, 2009, Foto © Mark Wessels. Fotoquelle: HMKV im Dortmunder U
Vorsprung durch Technik: Beim Afrofuturismus deuten farbige Künstler die Gegenwart um – Afrika wird High-Tech-Zentrum, seine Bewohner erobern den Weltraum. Diesem Mix aus Allmachts- und Rachefantasien widmet der HMKV eine ambivalente Überblicks-Schau.

„Überholen ohne einzuholen“: Walter Ulbrichts Kalte-Kriegs-Parole von 1957 könnte auch als Motto des Afrofuturismus dienen. Der Begriff wurde erst 1994 geprägt, aber das Phänomen ist viel älter. Schwarze Musiker und Künstler bedienen sich des Formenrepertoires von Science Fiction und Fantasy, um Probleme wie Diskriminierung und Unterentwicklung mit ironisch ausgemalter Überlegenheit zu kontern: Vorsprung durch Technik.

 

Info

 

Afro-Tech and the Future of Re-Invention

 

21.10.2017 - 22.04.2018

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr, donnerstags

+ freitags bis 20 Uhr

im Hartware Medienkunstverein (HMKV) im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, Dortmund

 

Weitere Informationen

 

Doch zu kultureller Prominenz hat es Afrofuturismus bislang nicht gebracht: Dafür sind seine Akteure zu vereinzelt und ihre Ansätze zu unterschiedlich. Sie erstmals in Deutschland gebündelt vorzustellen, erscheint als glänzende Idee. Ihre Umsetzung im Kulturzentrum „Dortmunder U“ ist aber nur mäßig gelungen, weil die Macher vom „Hartware Medienkunstverein“ (HMKV) alles durch eine befreiungstheologische Brille betrachten: als „Erzählungen und Vorstellungen von Technologie, die nicht den dominierenden Narrativen des Westens folgen“.

 

Westdeutsche Raketen im Kongo

 

Dabei spielt der historische Futurismus in Afrika keine Rolle – zu weiß. Obwohl es diverse Zeugnisse gibt: In Asmara, der Kapitale Eritreas, errichtete die italienische Kolonialmacht in den 1930er Jahren viele Repräsentationsbauten mit futuristischen Stilmerkmalen. Ähnliche Gebäude entstanden nach 1960 etwa in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Auch der Wettlauf ins All hinterließ Spuren: Die bundesdeutsche ORTRAG testete ab 1976 Weltraumraketen in Zaire, dem heutigen Kongo. Drei Jahre später verlegte diese Firma ihre Anlagen nach Libyen.

Impressionen der Ausstellung


 

Sendungsbewusstsein + Revanchismus

 

Doch der HMKV definiert Afrofuturismus allein ethnisch-moralisch: Nur das zählt, was Schwarzen hilft. Dabei sind überraschend viele der präsentierten Akteure Weiße, und etwa ebenso viele Afroamerikaner – angefangen mit dem visionären Pionier Sun Ra (1914-1993). Der geniale Tastenmagier durchstreifte mit seiner „Arkestra“-Band nicht nur sein eigenes Cosmic-Jazz-Universum, sondern erfand auch die passende Privatmythologie: Er komme vom Planeten Saturn und werde seine schwarzen Brüder durch Auswanderung ins All erlösen.

 

Was er im Kino-Klassiker „Space is the Place“ vorführte, gewandet in ein Fantasie-Ornat mit ausladendem Kopfputz: Ra war der altägyptische Sonnengott. Damit prägte Sun Ra wichtige Denkfiguren des Afrofuturismus: parareligiöses Sendungsbewusstsein unter Berufung auf eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit mit hochfliegendem Befreiungs-Pathos. Oft ist es mit Revanchismus gekoppelt – im Sinne von Ausgleich für erlittenes Unrecht oder schlichten Rachefantasien.

 

Ebola-Erreger für alle

 

Das eindrucksvollste Beispiel in der Ausstellung liefert der Outsider-Künstler Abu Bakarr Mansaray aus Sierra Leone. Seine wandfüllende Zeichnung „Ebola Virus Missile Industry“ soll eine Fabrik für Raketen wiedergeben, die tödliche Erreger überall hin transportieren können; so detailliert ausgeführt wie die akribischen Raumfahrt-Pläne des deutschen Psychiatrie-Patienten Karl Hans Janke.

 

Realistischer wird der Revanche-Gedanke vom Briten Louis Henderson dargestellt: Im Filmessay „Lettres du Voyant“ beschreibt er den Wirtschafts-Kreislauf von Gold. Es wird in Afrika von Habenichtsen gefördert, dann im Norden für High-Tech-Produkte verbraucht – die als Elektroschrott wieder in Afrika landen, wo das Edelmetall von Habenichtsen recycelt wird. Was Henderson raunend mit Internet-Betrug via Voodoo-Magie verknüpft, um die Ausbeutung umzukehren.

 

Afronauten in Sambia

 

Noch eindeutiger dreht der Deutsche Simon Rittmeier die Gegenwart um. Im Kurzfilm „Drexciya“, betitelt nach einem Techno-Duo, schickt er europäische Flüchtlinge nach Afrika, wo sie von bizarr gekleideten Schwarzen gnädig aufgenommen werden. Für vorgeblich heroischen Entdeckergeist in der Vergangenheit steht hingegen Edward Makuka Nkoloso (1919-1989).

 

Er gründete 1960 in Sambia eine „Weltraumagentur“, wollte mit „Afronauten“ den Mars ansteuern und die dort vermuteten Bewohner christianisieren. Dazu beantragte er sieben Millionen britischer Pfund bei der UNESCO; solcher Größenwahn kam während der ersten Entkolonialisierungs-Euphorie öfter vor. Ihm widmet die spanische Fotografin Cristina de Middel eine Bilderserie; Frances Bodomo aus Ghana hat über den erhofften „Afronauten“-Raketenstart eine Pseudo-Doku gedreht.

 

Angolas Reise zur Sonne

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Solch ungeahnte Tiefen - This undreamt descent" – beeindruckende Werkschau der kenianischen Künstlerin Wangechi Mutu in der Kunsthalle Baden-Baden

 

und hier einen Beitrag über den Film "Space is the Place" - psychedelisches Meisterwerk des Afrofuturismus von John Coney mit Cosmic-Jazz-Legende Sun Ra

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Things to Come - Science · Fiction · Film" – opulent inszenierter Überblick über das Kino-Genre im Museum für Film und Fernsehen, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Die Göttliche Komödie" über "Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler" - gute Themen-Schau im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/ Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Der Welt-Menschheit größte Erfindung!" mit Entwürfen des Weltraum-Fantasten Karl Hans Janke im Stadthaus Ulm.

 

Sie macht deutlich, worauf es Afrofuturismus ankommt: nicht auf Verständnis für oder Beherrschung von Technologie, sondern auf schimmernden Look. Poseure mit Star-Wars-Faible wollen durch Blendwerk beeindrucken. Dafür bietet die Schau etliche Beispiele: vom Graffiti-Künstler Rammellzee (1960-2010), der in 70 Kilo schweren Schrott-Kostümen auftrat, über DJs in einer Doku des Ghanaers John Akomfrah, die ihren Detroit-Techno allen Ernstes für eine akustische Vorbereitung auf künftige Lebenswelten halten, bis zu zahlreichen R&B-Videoclips.

 

Das Missverhältnis zwischen schicker Illusion und trister Realität wird zuweilen zynisch. Kiluanji Kia Henda hat Prachtbauten in Angolas Hauptstadt Luanda abgelichtet. Er deutet etwa das nadelspitze Mausoleum für Staatsgründer Agostinho Neto (1922-1979) zum Beweis für „die erste Reise zur Sonne“ um. „Angola hat in den letzten Jahren einen Ölboom erlebt, der das Land zu Höhenflügen veranlassen könnte, die es (zu nah) zur Sonne führen und es wie Ikarus abstürzen lassen könnten“, erläutert HMKV-Direktorin Inke Arns lyrisch.

 

Schluss mit Alles Aufessen

 

Ihr Kommentar ist völlig spaced out: In Angola herrscht eine brutale Kleptokratie. Die regierende Clique stopft sich die Ölexport-Erlöse in die Taschen; sie lässt skrupellos Infrastruktur und übrige Bevölkerung verkommen. Angesichts solchen Elends ahnungslos über „Höhenflüge“ zu fabulieren, kann einem wohl nur auf kuschlig gepolsterten Spielplätzen der hiesigen Subventionskultur einfallen.

 

Weniger frivol geraten die Foto-Inszenierungen von Fabrice Monteiro: Fantastisch ausstaffierte Geisterwesen in opulent apokalyptischen Landschaften führen Umweltzerstörung in Afrika drastisch vor Augen. Ähnlich eindrucksvoll wirkt die Video-Animation „The End of Eating Everything“ der Kenianerin Wangechi Mutu: Sie schickt die US-Musikerin Santigold durch eine irrwitzige Bildercollage aus Verfall und Zerstörung.

 

Beratungs-App für Schwangere

 

So deprimierend will die Schau nicht enden: Also hängt sie den verspielten Allmachtsträumen des Afrofuturismus ein paar Beispiele für reale Nutzung digitaler Technologie im heutigen Afrika an. Etwa Geldüberweisungen per Mobilfunk, Schwangeren-Beratung als Smartphone-App oder LED-Lichter für Motorradfahrer zum Schutz vor Unfällen. Alles sehr praktisch, bloß: Wie immer bietet Science Fiction mehr Schauwert als die schnöde Wirklichkeit.