Berlin

Die erste Generation: Bildhauerinnen der Berliner Moderne

Emy Roeder 1914 im Atelier bei der Arbeit an Friedel Scherber, Foto: Museum im Kulturspeicher Würzburg. Fotoquelle: Georg-Kolbe-Museum, Berlin
Hier wird nicht wie eine hingegossene Venus herumgelegen: Ab 1910 eroberten Bildhauerinnen mit eigenwillig originellen Plastiken, etwa dem Berlinale-Bären, die Kunstsparte Skulptur. Werke von zehn Pionierinnen stellt das Georg Kolbe Museum gebündelt vor.

Käthe Kollwitz lacht in die laufende Kamera: Sie zeichnet für den Filmemacher Hans Cürlis auf dem Balkon ihrer Wohnung im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Der Dokumentarist filmte auch die Bildhauerin Renée Sintenis bei der Arbeit: Schnell und sicher biegen ihre Hände dünne Drähte zu einem groben Körpergerüst, formen darauf den liegenden Tierkörper. Schon nach ein paar Minuten spitzt das stilisierte Reh aus Ton aufmerksam die Ohren.

 

Info

 

Die erste Generation: Bildhauerinnen der Berliner Moderne

 

18.02.2018 - 17.06.2018

täglich 10 bis 18 Uhr

im Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Beide Künstlerinnen gehörten 1926/27, als die Aufnahmen entstanden, zur Spitze der Berliner Kunstszene. Auch die anderen acht Frauen, die in der Ausstellung „Die erste Generation. Bildhauerinnen der Berliner Moderne“ vertreten sind, waren allesamt erfolgreich. Damit macht Georg Kolbe Museum auf ein Phänomen aufmerksam, das seinerzeit den Zeitgenossen auffiel, heute aber vergessen ist: In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg eroberten Frauen sich unerschrocken und hartnäckig das Metier der Bildhauerei.

 

18 Bildhauerinnen in einem Haus

 

Trotz schwieriger Ausbildungssituation und lästiger Widerstände aller Art waren sie Jahr für Jahr mit eigenen Arbeiten auf den Ausstellungen der Berliner Secession und anderen maßgeblichen Institutionen vertreten. Nach 1910 arbeiteten allein im Atelierhaus Siegmundshof im Bezirk Tiergarten 18 verschiedene Bildhauerinnen, darunter Kollwitz.

Impressionen der Ausstellung


 

Sammler lieben Kleinformate

 

Männliche Kunstkritiker kommentierten die Newcomerinnen teils mit Häme, teils herablassend. Doch viele Sammler zeigten sich aufgeschlossen; ihre Ankäufe verschafften den Bildhauerinnen ein oft beachtliches Einkommen. Dabei profitierte Renée Sintenis vom Engagement ihres Galeristen Alfred Flechtheim. Ihre Kollegin Milly Steger konnte, protegiert vom einflussreichen Museumsmann Karl Ernst Osthaus, in Hagen als Stadtbildhauerin überlebensgroß in Stein arbeiten.

 

Die Ausstellung zeigt aber fast durchweg handliche Kabinettformate: Statuetten, Porträtköpfe oder Tierfiguren. Das belegt nicht unbedingt eine Vorliebe der Künstlerinnen für reduzierte Dimensionen, sondern dokumentiert eher die Vorlieben ihrer Sammlern. Das Gros der rund 100 Exponate kommt aus einer einzigen Berliner Privatsammlung – in öffentlichen Museen sind Werke dieser zehn namhaften Bildhauerinnen meist unterrepräsentiert.

 

Ohne konservativen Ballast

 

Den Generations-Begriff interpretiert die Schau recht großzügig mit Künstlerinnen der Jahrgänge 1865 bis 1900. Erst seit 1919 durften Frau an einer öffentlichen Akademie studieren; davon konnten die meisten Pionierinnen noch nicht profitieren. Sie lernten ihr Handwerk an teuren Privatakademien oder Kunstgewerbeschulen; häufig suchten sie auch den Rat bekannter Bildhauer wie Georg Kolbe oder Auguste Rodin.

 

Das hatte immerhin einen Vorteil: Den Künstlerinnen blieb die konservative Linie der offiziellen Bildhauerei erspart. Ihre Arbeiten zeigen sich von Anfang an frei, modern und oft expressiv – sie reflektieren die vielfältigen Stilformen der 1920er Jahre. Statt naturalistisch Details herauszuarbeiten, formten Bildhauerinnen wie Milly Steger, Marg Moll und Emy Roeder klarlinige Körper, voll geometrischer Schärfe in den gespannten Oberflächen.

 

Renée Sintenis schuf Berlinale-Bären

 

Mit zurückschwingenden Oberkörpern, sich hebenden Füßen und grazilem Ausgreifen der Arme versetzen Milly Stegers „Tanzende“ (1918) den ganzen Raum rundum mit in Schwingung. Ihre späten Holzskulpturen aus den 1940er Jahren verharren dagegen starr und steif im Block, in Wartestellung ganz nach innen gewandt.

 

Emy Roeder wich in der NS-Zeit nach Italien aus und gestaltete dort verstärkt Tiermotive – ein Themenfeld, das viele Bildhauerinnen anzog. Es galt in der frühen Moderne nicht als harmlos, sondern als Chance, der inhaltlich überfrachteten Tradition wilhelminischer Skulpturen zu entkommen. Renée Sintenis schätzte die herbe Schönheit von Tierkörpern mehr als die menschliche Figur: Sie schuf auch den Berlinale-Bären, der alljährlich den Festival-Gewinnern überreicht wird.

 

Nager der „Mädchen in Uniform“-Autorin

 

Ihre mannshohe, sehnig-zarte „Große Daphne“ von 1930 bleibt trotzdem unübertroffen. Die mythische Königstochter entzieht sich männlichem Zugriff durch Verwandlung ins Pflanzliche. In sich gedreht, fordert die spröde und schlanke Figur dazu auf, sie ganz zu umschreiten. Dabei wird ihr kräftig gekerbte Rückgrat sichtbar; es durchpulst wie eine dynamische Kraftlinie die ganze Gestalt.

 

Ganz anders Louise Stomps‘ „Sitzende“ von 1928: Massig ruht sie wie ein Kiesel aus grobkörnig grünem Sandstein – als hätten Wellen und Wind sie rund geschliffen. Noch abstrakter wirken die Nachkriegsarbeiten der Bildhauerin, die 1988 bei einem Motorrad-Unfall starb. Christa Winsloe wurde vorwiegend als Schriftstellerin bekannt, etwa als Autorin der Romanvorlage für den lesbischen Coming-Of-Age-Film „Mädchen in Uniform“ von 1931. Als Bildhauerin formte sie ebenfalls Tierskulpturen, etwa treffend modellierte Hamster und andere Nager; ihr lebensgroßes Schwein ist leider nicht erhalten.

 

„Entartete Kunst“-Fund von 2010

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  "«Entartete Kunst»: Der Berliner Skulpturenfund von 2010" in München, Würzburg + Halle/Saale mit Werken von Emmy Roeder + Marg Moll

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Rudolf Belling - Skulpturen und Architekturen" – gelungene Retrospektive des Erfolgskünstlers der Weimarer Republik im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier ein Bericht über den Film "Auguste Rodin" – facettenreiches Biopic über den Bildhauer als Begründer der Moderne von Jacques Doillon

 

und hier eine Besprechung des Films "Final Portrait" – originelles Künstler-Porträt des Bildhauers Alberto Giacometti von Stanley Tucci

 

Die Bildhauerin Tina Haim-Wentscher beeindruckte den Berliner Kunstmäzen James Simon derart, dass er nicht nur sein eigenes Bildnis, sondern auch eine originalgetreue Kopie der Nofretete-Büste bei ihr bestellte – Simon hatte die Grabungen finanziert, bei der sie gefunden worden war. Viele andere ihrer Arbeiten sind heute verschollen und nur noch auf Fotos zu sehen.

 

Ohnehin sind ganze Œuvres einiger Künstlerinnen verschwunden; ihre Erforschung gleicht einer Detektivarbeit. Manches taucht überraschend im Kunsthandel auf. Oder unter der Erde: Bei einem spektakulären Skulpturenfund vor dem Berliner Rathaus wurden 2010 aus dem Schutt einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg auch Plastiken von Emy Roeder und Marg Moll geborgen, die von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmt worden waren.

 

„Es gibt keine Frauenkunst“

 

Trotz der Fülle der gezeigten Arbeiten fällt es schwer, von den Persönlichkeiten der einzelnen Künstlerinnen ein prägnantes Bild zu gewinnen: Zu verschieden sind ihre Arbeiten aus diversen Werk- und Stilphasen. Vermutlich hätte den Bildhauerinnen selbst ihre gemeinsame Präsentation nicht recht behagt: „Den Begriff ‚Frauenkunst‘ möchte ich für mich ablehnen,“ äußerte Milly Steger: „Es gibt nur eine Kunst, so wie es nur eine Mathematik gibt.“

 

Allerdings fällt auf: Dem passiven Ideal klassischer Weiblichkeit verweigern sich die Frauenfiguren dieser Künstlerinnen. Hier wird nicht wie eine hingegossene Venus herumgelegen: So streckt sich etwa die Liegefigur eines jungen Mädchens von Jenny Mucchi-Wiegmann derart aktiv, dass ihr Körper kaum den Boden berührt. Meist stehen die Plastiken aufrecht, allein oder in freundschaftlicher Nähe, viele knien oder hocken. Oder sie tanzen, vom damals populären Ausdruckstanz inspiriert. Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten.