Berlin

Eduardo Paolozzi: Lots of Pictures – Lots of Fun

Eduardo Paolozzi: "Bunk": Evadne in Green Dimension, (Detailansicht), 1952−1972, © Trustees of the Paolozzi Foundation, Licensed by/VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Fotoquelle: Berlinische Galerie, Berlin
Das große Sampeln, Mixen und Schreddern: Der britische Pop-Art-Pionier Eduardo Paolozzi bediente sich als einer der ersten Künstler in den Bilderwelten der Konsumkultur. Seine Werkschau der Berlinischen Galerie fällt überraschend spröde aus.

„Pop!“ In einer Rauchwolke verpufft das knallrote Wort 1947 auf einer Collage von Eduardo Paolozzi (1924-2005). Was da als lautmalerischer Knalleffekt aus einem Pistolenlauf aufsteigt und ein lächelndes Pin-Up-Girl bedroht, ist nichts weniger als die Geburtsstunde eines schillernden Begriffs, der zum Signum einer ganzen Ära werden sollte. Eduardo Paolozzi klebte noch eine Coca-Cola-Flasche, einen US-Bomber und das Qualitätssiegel „Real Gold“ dazu: fertig war der Cocktail aus Sex, Crime und Konsumwelt.

 

Info

 

Eduardo Paolozzi: Lots of Pictures - Lots of Fun

 

09.02.2018 - 28.05.2018

täglich außer dienstags

10 bis 18 Uhr

in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Berlin

 

Katalog 29,80 €

 

Weitere Informationen

 

Erst Jahre später wurde die Pop Art, vor allem in Amerika, zur Massenbewegung im Kunstbetrieb. Dass Paolozzi, in Schottland aufgewachsener Sohn italienischer Einwanderer, ein Pionier war, vor allem für ihre britische Spielart, hat er später selbst gern betont. Dabei war diese Kunst der Konsumkultur für den wandlungsfähigen und gerne Haken schlagenden Künstler eigentlich nur eine Episode in seinem Schaffen.

 

Diese Kunst ist kein reiner Spaß

 

Das führt diese Werkschau in der Berlinischen Galerie vor Augen. Respektlos zerschredderte und amalgamierte Eduardo Paolozzi, was ihm vor die Augen und unter die Finger geriet. Aber purer Spaß, wie der Titel dieser aus Londoner Whitechapel Gallery übernommenen Ausstellung verspricht, wird hier nicht geboten. Paolozzis Kunst ist oft spröde und beantwortet keine Fragen.

Impressionen der Ausstellung; © Berlinische Galerie


 

Bodybuilder + Blondinen wirken surreal

 

Von Anfang an arbeitete Paolozzi dreidimensional, am liebsten auch multimedial. Als der Kunststudent 1946 zum ersten Mal nach Paris kam, verschaffte er seiner Bewunderung für Pablo Picasso, Jean Dubuffet und Alberto Giacometti in Tuschpinsel-Zeichnungen und roh geformten Zementplastiken Ausdruck. In Form von Figuren und Tieren wie Fisch, Stier, Pferdekopf und Möwe: Solche Versuche, an klassische Kunsttraditionen mit absichtlich archaischem Stil anzuknüpfen, gab er bald auf.

 

Eigene frühe Siebdrucke zerschnipselte er und klebte daraus neue Flächenstrukturen zusammen. Allerdings scheiterte sein Versuch, sich damit als Textilmuster-Gestalter zu etablieren. Vor allem aber entdeckte Paolozzi in Paris US-Magazine, die GIs in die Stadt gebracht hatten. Darin waren knallbunte Cocktails, topmoderne Toaster, muskelbepackte Bodybuilder und Staubsauger schwingende Blondinen zu sehen, die dem Künstler im grauen Nachkriegseuropa völlig surreal vorkamen.

 

Technoide Roboter-Ruinen

 

Da brauchte es nur wenige Schnitte, um in bester dadaistischer Manier die Kombinatorik auf die Spitze zu treiben: Fertig waren die ersten Pop-Art-Collagen. Als Paolozzi, zurück in London, sie bei einem legendären Vortrag 1952 mit einem Tageslichtprojektor an die Wand warf, erntete er Ratlosigkeit und befremdetes Kichern. So verschwand dieses Material vorerst in der Schublade; 20 Jahre später machte Paolozzi daraus seine berühmte Siebdruckfolge „Bunk!“, die komplett gezeigt wird.

 

Sie zählt zum Besten, Pointiertesten und Witzigsten, das in der Ausstellung zu sehen ist. Andere Siebdruckserien zeigen, wie der Künstler die Collage-Methode systematisch zur Grundlage seines Schaffens machte. Auf Schwarzweißfotos italienischer Sehenswürdigkeiten pfropfte er Maschinenteile. Unfalltest-Puppen regten ihn zu Roboter-Phantasien an. Er drückte auch Zahnräder, Schraubenmuttern und Klaviertasten in weiche Tonbatzen und formte daraus meterhohe, ungeschlachte Skulpturen in Bronze: Technoiden Roboter-Ruinen gleich stehen sie auf staksigen Beinen im Raum.

 

Monströse Maschine läuft meist leer

 

Nebenan rattert ein Zwölf-Minuten-Film von Paolozzi vor sich hin. Darin erweckt der technikverliebte Künstler Maschinen-Elemente zu holprigem Leben. Sein ganzes Schaffen gleicht – ähnlich wie bei seinem Schweizer Kollegen Jean Tinguely – einer monströsen Maschinerie, die unablässig Bilder, Plastiken, Titel und Farbstrukturen auswirft, aber meist leerläuft.

 

1974 lud der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) Paolozzi als Stipendiaten nach Westberlin ein. Dort bezog er eine riesige, leere Fabriketage in Kreuzberg; damals eine preiswerte Gegend mit viel Raum zum Arbeiten und Experimentieren. Nachdem er sich im Kunstbetrieb mit sperrigen Bronzeskulpturen, hochglanzpolierten Chromstahl-Gebilden und seinen Siebdruckserien einen Namen gemacht hatte, orientierte er sich nun um.

 

Musik in Liniengewimmel umgesetzt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hockney" - Doku-Hommage an den Pop-Art-Künstler von Randall Wright

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das nackte Leben: Bacon, Freud, Hockney und andere" über Malerei in London von 1950 bis 1980 im LWL- Museum , Münster

 

und hier einen Bericht über die Doku "Jean Tinguely" – gelungenes Porträt des schweizerischen Maschinen-Künstlers von Thomas Thümena

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Ludwig goes Pop" - große Überblicks-Schau mit Highlights der Pop-Art in Köln + Wien

 

Sein Atelier füllt sich mit Gipselementen, die er wie ein Baukastensystem zu variablen Reliefstrukturen zusammensetzt. Motive aus türkischer Musik verarbeitet er zu abstrakten Flächengeometrien; dasselbe Verfahren wendet er auch auf E-Musik von Maurice Ravel und den US-Komponisten Charles Ives an. Der Zusammenhang zwischen musikalischen Strukturen und Paolozzis gegenstandslosem Liniengewimmel ist für den Betrachter allerdings kaum nachvollziehbar.

 

1977 gestaltete er die Brandmauer eines Mietshauses in der Kurfürstenstraße; dieses schon verloren geglaubte Kunstwerk ist jüngst überraschend durch den Abriss eines davorstehenden Hauses wieder aufgetaucht. In der Ausstellung lassen eine wandgroße Reproduktion und ein Modell die Kreisbahnen, Wellenbänder und Parallelspuren erkennen, die dem Schaltplan einer funktionslosen Maschine ähneln. Hier drückt sich wie oft im Spätwerk eine Ordnungsliebe aus, die die Experimentierfreude früher Arbeiten mehr und mehr erstarren lässt.

 

Warhols Suppendose ist leer

 

Seinen Abschied von der Pop Art hatte der Künstler schon 1971 mit einem bissigem Seitenhieb auf seine US-Kollegen gewürzt: Auf dem knallbunten Siebdruck „Pop Art Redefined“ pinselt ein grinsender Comic-Elefant fleißig US-Flaggen ab wie Jasper Johns, während Andy Warhols Lieblingsobjekt, eine „Campbell“-Suppendose als Pinselbecher herhalten muss – buchstäblich inhaltsleer. „Lots of Pictures – Lots of Fun“ kommentiert die sarkastische Bildunterschrift.

 

Doch der Untertitel dieser Schau führt in die Irre. Die zügige Enfilade der Werkphasen kommt streckenweise ziemlich spröde daher; häufig will der Funke von Paolozzis Arbeiten überspringen. Gerade seine Plastiken – teils ruinenartig zerfurcht, teils hochglanzpoliert – wirken vielgestaltig, aber wenig einprägsam. In der Skulptur „100% F*ART“ stapelte er blitzblanke Aluminiumbarren, als ironische Paraphrase der Arbeiten des Minimalisten Carl Andre auf, der damals im Kunstbetrieb hoch gehandelt wurde: ein besonders drastisches Beispiel von Kollegen-Bashing.