Karlsruhe

Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien

Lynn Hershman Leeson: Roberta Construction Chart #1, (Detail; 1975). C-Print, © Lynn Hershman Leeson / Sammlung Verbund. Fotoquelle: ZKM
Mehr als MeToo: Vor vier Jahrzehnten kämpften Künstlerinnen für Frauen-Emanzipation – mit unglaublich originellen und fantasievollen Werken. Das ZKM zeigt eine spektakuläre Auswahl solcher Arbeiten; nie zuvor oder danach war Kunst so radikal sinnlich.

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne: Bei seiner Verszeile wird Hermann Hesse wohl kaum an Avantgarde-Kunst gedacht haben. Und doch kommt sie einem in dieser Schau sofort in den Sinn: Viele Arbeiten wirken so frisch und zeitlos, als seien sie erst gestern entstanden. Trotz der frostigen Industrie-Architektur des ZKM: In den endlos langen und hohen Hallen der früheren Waffenfabrik wirken Kunstwerke manchmal so blutleer, als seien sie im Leichenschauhaus aufgebahrt.

 

Info

 

Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung VERBUND, Wien

 

18.11.2017 - 08.04.2018

täglich außer Montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr,

samstags ab 14 Uhr,

sonntags ab 11 Uhr

im ZKM, Lorenzstraße, Karlsruhe

 

Katalog 59 €

 

Weitere Informationen

 

Doch diese Sammlung des größten österreichischen Stromerzeugers „Verbund AG“ hat sich schon an ganz anderen Orten behauptet: Seit Jahren reist sie durch Europa. Vor der Karlsruher Station war sie im Wiener MUMOK zu sehen; eine halb so umfangreiche Auswahl wurde 2015 in der Hamburger Kunsthalle gezeigt. Die Dauer-Tournee passt zu ihrem entschieden internationalen Zuschnitt mit rund 400 Werken von 50 Künstlerinnen – aus Polen über Portugal bis Peru.

 

Ähnlich kreative Gegenwehr

 

Gleichzeitig mit der zweiten Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre entstand weltweit feministisch inspirierte Kunst. Ihre Akteurinnen griffen dieselben Themen auf, benutzten die gleichen Medien und fanden oft zu ähnlichen Bildlösungen – meist ohne voneinander zu wissen. Diskriminierung und Sexismus nahmen eben überall vergleichbare Formen an; da lag nahe, dass Frauen ihre kreative Gegenwehr auch ähnlich ausdrückten. Aber wie originell das geschah, mit lustvoller Radikalität und anarchischem Witz – das wirkt noch heute atemberaubend.

Impressionen der Ausstellung


 

Alles nieder- und wegbügeln

 

Angefangen mit ihrem Aufstand gegen Entmündigung: Etliche Arbeiten, vor allem Fotos, karikieren die Reduzierung auf Nur-Hausfrau und Mutter. Birgit Jürgenssen hängte sich 1975 eine Küchenschürze in Form eines Backofens um; samt „Braten in der Röhre“. Renate Eisenegger bügelte einen ganzen Hochhaus-Flur; Karin Mack so viele Kleider, bis sie selbst auf dem Bügelbrett landete. Letícia Parente aus Brasilien ließ ein Hausmädchen ihre Dienstherrin bügeln – hier wird so lange geplättet, bis alles nieder- und weggebügelt ist.

 

Auch das Gefangensein in Zwängen wird ähnlich dargestellt; bei vollem Körpereinsatz. Annegret Soltau spann sich bis zur Unkenntlichkeit in Fäden ein. Andere Künstlerinnen wählten Seile, Wäscheklammern oder Klebeband, um sich einzuschnüren und zuzupflastern – Extrem-Bondage bis zur Selbstverstümmelung. Wofür die Dänin Kirsten Justensen 1968 gewaltfrei ein einprägsames Bild fand: Sie kauerte nackt in einer Kiste, lichtete das ab und montierte dieses Foto auf einen Pappkarton. So wurde sie zur stapelbaren Skulptur.

 

Metaphorischer Mittelfinger fürs Schönheits-Diktat

 

Als Gegenstrategie gegen eindimensionale Existenzen waren Rollenspiele populär. Die Ausstellung dokumentiert sie mit ausgedehnten Fotoserien vielleicht etwas zu üppig; da gehen ironische Maskerade und subversive Parodie fließend in narzisstische Selbstbespiegelung über. Vor allem bei Cindy Sherman, die mit verspielt ausstaffierten Kostümorgien zur höchstbezahlten zeitgenössischen Künstlerin aufstieg; dabei weiß sie laut eigener Aussage selbst nicht mehr, mit welchen Verkleidungen sie noch verblüffen soll.

 

Überraschender ist jedenfalls die Abteilung zum Schönheits-Diktat: Kaum zu glauben, mit welch souveräner Verachtung Künstlerinnen ihm metaphorisch den Mittelfinger entgegenstreckten. Ebenfalls mit vollem Körpereinsatz und so simplen wie effektvollen Mitteln: Die Kubano-Amerikanerin Ana Mendieta quetschte 1972 einfach ihr Gesicht gegen eine Glasscheibe, um es in eine Fratze zu verwandeln. Sechs Jahre später tat die Ungarin Katalin Ladik das Gleiche in Jugoslawien.

 

Faltenwurf als Parallele zur Vulva

 

Die Polin Ewa Partum plakatierte 1978 im öffentlichen Raum ihr Antlitz, das halbseitig als alt retuschiert war; im Folgejahr ließ sie in einer Galerie die Hälfte ihres nackten Leibes auf alt schminken – unter dem Motto: „My problem is a problem of a woman“. Martha Wilson aus New York stellte ein Foto-Mosaik verschiedener weiblicher Brüste zusammen; mit dem galligen Kommentar, der ideale Busen läge genau in der gedachten Mitte.

 

Der Körper ist ein Kontinuum: In unseren neoprüden Zeiten erstaunt, wie ungezwungen alle seine Glieder in die Kunstpraxis einbezogen wurden. Gegen die Phallokratie sollte das weibliche Geschlecht aufgewertet und sichtbarer werden: Die US-Amerikanerin Judy Chicago zeichnete primäre und sekundäre Merkmale als anmutige Vignetten, oder sie kolorierte das Foto eines gebrauchten Tampons bei Entnahme als „Red Flag“. Suzanne Santoro suchte nach visuellen Parallelen von Vulven in der Kunstgeschichte, etwa im Faltenwurf antiker Gewänder. Noch 2010 wurden ihre Werke in der Papst-Stadt Rom zensiert.

 

„Aktionshose: Genitalpanik“ mit MG

 

Das weibliche Genital bleibt ein Skandalon, das männliche ist allgegenwärtig. Judith Bernstein zeichnete in den USA kohleschwarze, wandhohe Schrauben, samt Behaarung und Einkerbung: „to screw“ („schrauben“) ist ein Slang-Synonym für Geschlechtsverkehr. Vieldeutiger waren die Performances und Fotomontagen von Renate Bertlmann: In „Zärtliche Pantomime“ posiert sie in mit Schnullern besetzter Reizwäsche wie ein verwirrtes Alien. In „Zärtliche Berührung“ ließ sie dagegen zwei aufgeblasene Kondome einander umschmeicheln – bis zur Penetration.

 

Solche Ambivalenzen spielten viele Künstlerinnen aus. Mit ihrem berühmten „Tapp- und Tastkino“ mokierte sich die Österreicherin Valie Export über Voyeurismus und Berührungsängste. Über ihrem nackten Busen trug sie eine Pappschachtel in TV-Größe; Passanten durften ihre Hände hineinstecken und sie befühlen. Hingegen persiflierte ihre „Aktionshose: Genitalpanik“ Machotum: Mit Lackbluse, einer Jeans mit großem Loch im Schritt und Maschinengewehr im Arm posierte sie wie ein ganz harter Macker.

 

Nackt mit Dildo auf  Foto-Anzeige

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection" über weibliche Weltwahrnehmung im me Collectors Room, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "POWER UP - Female Pop Art" mit expliziten Werken von Dorothy Iannone in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Cindy Sherman: Works from the Olbricht Collection" mit Foto-Rollenspielen im me Collectors Room, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die Zellen"– große Retrospektive der franko-amerikanischen Bildhauerin im Haus der Kunst, München

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Bettina Rheims: Bonkers – A Fortnight in London" mit Inszenierungen weiblicher Erotik in der Galerie Camera Work, Berlin.

 

Dass Sex oft nur die herrschenden Verhältnisse unter der Bettdecke fortsetzt, wurde oft thematisiert. Die Französin Orlan bot ihre Körperteile auf dem Wochenmarkt zum Verkauf an, und ihre Liebesdienste 1977 auf der Pariser Kunstmesse FIAC: Zum Preis von fünf Francs bekam jeder einen Kuss. Noch drastischer agierte die US-Amerikanerin Lynda Benglis. Für 3000 Dollar schaltete sie im Magazin „Artforum“ eine doppelseitige Foto-Anzeige: Nackt hielt sie in Rodeo-Pose einen riesigen Dildo zwischen ihren Beinen.

 

Alle gelungenen Provokationen kann man nur einmal machen – jede Wiederholung erschiene als billige Effekthascherei. Daher versteht sich von selbst, warum manche dieser Arbeiten überholt wirken: Ihr Anliegen hat sich erschöpft. Zumindest in westlichen Industriestaaten wird fast keine Frau mehr in Kinder, Küche, Kirche eingesperrt. Völlige Gleichberechtigung der Geschlechter ist keineswegs erreicht, doch über das Ziel besteht mehrheitlich Konsens.

 

Quoten für „Germany’s Topmodel“

 

Andererseits verstand sich der Feminismus der 1970er Jahre als echte Emanzipations-Bewegung: Die Befreiung von Frauen sollte auch die gesamtgesellschaftlichen Zustände ändern – für eine friedlichere und lebenswertere Welt. Diesen Anspruch hat die Gegenwart längst verabschiedet. Angesichts totaler Ökonomisierung des Daseins vollzieht sich Gleichberechtigung durch optimale Anpassung an bestehende Machtstrukturen: als Forderung nach garantierten Quoten für „Germany’s Next Topmodel“.

 

Da mutet Protest gegen Äußerlichkeits-Wahn recht antiquiert an; besser investiert man in Aktien von Mode- und Kosmetik-Konzernen. Ähnlich zwiespältig hat sich die Unterleibs-Sphäre verändert: Einerseits werden alle Varianten und Minderheiten toleriert; zugleich wird sexuelle Gewalt immer stärker geächtet. Andererseits führen Leistungsdruck und Reizüberflutung zu fortschreitender Ermattung; fürs Übrige gibt es Dating-Portale, Pornoindustrie und Prostitution. Ob es genügt, SexarbeiterInnen faire Job-Bedingungen in diesen Boom-Branchen zu verschaffen, oder das eher einem erotischen Offenbarungseid gleichkommt – diese Frage stellt keiner mehr.

 

Utopisch im besten Sinne

 

Solche Fragen haben feministische Künstlerinnen vor vier Jahrzehnten offensiv gestellt und auf ihre Weise beantwortet: furios, fantasievoll, spektakulär und sinnlich. Ihre Werke sind utopisch im besten Sinne: Sie erinnern daran, das alles ganz anders sein könnte – auch wenn niemand zu sagen weiß, an welchem Ort. Allein schon deshalb ist dieses Kulturerbe unschätzbar wertvoll.