Margot Robbie

I, Tonya

Tonya Harding (Margot Robbie) wird Mittelpunkt des ersten großen Medienskandals der modernen 24-Stunden-Nachrichtenwelt. Foto: © DCM
(Kinostart: 22.3.) Hollywood on Ice: Auf Schlittschuh-Kufen sprang Tonya Harding aus kaputten Verhältnissen ganz nach oben – bis ein Attentat ihre Karriere zerstörte. Aufstieg und Fall der Eisprinzessin zeichnet Regisseur Craig Gillespie packend ambivalent nach.

Anfang der 1990er Jahre war Tonya Harding die zweitbekannteste US-Bürgerin der Welt – nach Präsident Bill Clinton. Die Eisprinzessin aus der weißen Unterschicht hatte sich mit hartem Training zur Weltspitze hochgearbeitet. Dann zerschlug ein dilettantisches Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan 1994 ihre Karriere: Fortan war Harding als „Eishexe“ verschrien.

 

Info

 

I, Tonya

 

Regie: Craig Gillespie,

120 Min., USA 2017;

mit: Margot Robbie, Allison Janney, Sebastian Stan

 

Website zum Film

 

Wie es dazu kam, rollt Regisseur Craig Gillespie in „I, Tonya“ noch einmal auf. Sein ungewöhnliches Biopic reicht aber darüber hinaus; es wird zu einem Sittenbild über die lausigen Lebensumstände des poor white trash in den Vereinigten Staaten.

 

Alki-Sado-Mutter

 

Die kleine Tonya ist auf Schlittschuhen ein Naturtalent; bereits mit fünf Jahren sticht sie ältere Eisläuferinnen aus. Das athletische Mädchen hat jedoch nichts mit dem Klischee einer grazilen Eisprinzessin zu tun: Sie stammt aus einer völlig kaputten Familie. Ihr Vater ist arbeitsunfähig; die alkoholkranke Mutter Lavona (überragend: Allison Janney, die dafür einen Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt) kellnert, um das Eislauf-Training zu bezahlen. Mit sadistischer Härte treibt sie ihre Tochter zu eiserner Disziplin an.

Offizieller Filmtrailer


 

Eislauf-Vizeweltmeisterin 1991

 

Tonya lernt früh, dass sie für sich selbst sorgen muss: Sie näht sich etwa eine Pelzjacke aus Fellen von selbst geschossenen Kaninchen. Ihre Mutter motiviert sie mit Ohrfeigen und Beleidigungen; mit 15 Jahren muss Tonya die Schule verlassen, um sich allein auf ihr Training zu konzentrieren. 1986 nimmt sie erstmals an US-Meisterschaften teil; im Folgejahr springt sie erstmals zwei dreifache Axelsprünge in einer Eislaufkür.

 

Lauftechnisch ist sie auf dem Eis allen Kolleginnen überlegen. Doch ihre aggressiven Auftritte in selbst geschneiderten Kostümen zu harter Rockmusik finden bei konservativen Preisrichtern wenig Gegenliebe: Tonya fühlt sich von ihnen systematisch unterbewertet. Bei ihrer ersten Weltmeisterschaft 1991 schafft sie es dennoch auf den zweiten Platz.

 

Lebenslänglich-Urteil nach Attentat

 

Plötzlich wurde sie zum Medien-Liebling; als Verkörperung des amerikanischen Traums, dass jeder es ganz nach oben schaffen kann. Ihre Familie beeindruckt das wenig: Mutter Lavona erniedrigt sie ohne Unterlass, während Ehemann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) – ihre Jugendliebe – sie häufig schlägt. Ihm macht ihre zunehmende Unabhängigkeit zu schaffen.

 

Der gewalttätige Gatte plant auch das stümperhafte Attentat auf ihre US-Konkurrentin Nancy Kerrigan vor den Olympischen Spielen 1994. Es geht gründlich schief, mit maximalem Kollateralschaden: Tonya darf noch bei den Spielen antreten, doch kurz darauf endet ihre Karriere. Obwohl sie jedes Mitwissen leugnet, wird sie rechtskräftig verurteilt – und lebenslänglich von allen Eislauf-Wettbewerben ausgeschlossen. Erst kürzlich räumte sie ein, die kriminellen Pläne ihres Ex-Mannes zumindest geahnt zu haben.

 

Verständnis für brutale Hinterwäldler

 

Hintergrund

 

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Aus dieser ungewöhnlichen Laufbahn macht Regisseur Craig Gillespie einen ebenso ungewöhnlichen Film; oberflächlich betrachtet, wirkt sein Personal wie ein überzeichnetes Unterschichten-Panoptikum. Trotz des Titels kommen nicht nur die Heldin, sondern auch Ex-Mann Jeff und Mutter Lavona in nachgestellten Interview-Passagen ausführlich zu Wort. Sie gehen nahtlos in Spielszenen und echtes Archiv-Material über.

 

Manchmal wendet sich Tonya mitten im Geschehen direkt an die Zuschauer. Ihr Durchbrechen der Handlungsillusion schafft Distanz und erzeugt mitunter grimmigen Humor, der das brutale Geschehen erträglich macht. Dabei kann man sich mit keiner Figur wirklich identifizieren; sie sind allesamt geistig unterbelichtete Hinterwäldler mit Neigung zur Brutalität. Dennoch gelingt es Regisseur Gillespie, mit seinem filmischen Patchwork durchaus Verständnis und Bedauern für die Akteure zu wecken – selbst für die abgrundtiefe seelische Grausamkeit der Mutter.

 

Am Pranger für die Einschaltquote

 

Das liegt auch an Hauptdarstellerin Margot Robbie: Sie absolvierte für ihre Rolle ein hartes Training, um die meisten der mitreißenden Eislaufszenen selbst laufen zu können. Neben der Spitzensport-Milieustudie beleuchtet Regisseur Gillespie auch das Verhalten der Medien; allerdings nur in Ansätzen. Der Harding-Skandal wurde zum ersten Gegenstand von TV-Dauerberichterstattung – weil neue US-Kabelsender Hingucker für ihre Einschaltquoten brauchten.

 

Jahrelang als herzloses Monster an den Pranger gestellt zu werden, war für die reale Tonya Harding nach eigener Aussage der schlimmste Missbrauch; schwerwiegender als die Misshandlungen durch ihre Angehörigen. Das deutet der Film nur in wenigen kurzen Szenen an. Verständlich: Auch seine Macher nutzen ihr trauriges Schicksal als Rohstoff für ein Produkt der Unterhaltungsindustrie.