Mark Noonan

Kevin Roche: Der stille Architekt

"The Pyramids": Der Bürokomplex für eine Versicherung in der US-Stadt Indianapolis wurde 1972 fertiggestellt. Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 8.3.) Lob der Arbeitswut: Der 95-jährige Star-Architekt Kevin Roche hat halb Amerika mit Großbauten gepflastert. Ihn porträtiert Regisseur Mark Noonan mit Kollegen-Komplimenten und Hochglanz-Bildern – dabei legt er den Zynismus der Branche bloß.

Da steckt wohl System dahinter: Es scheint ein US-Bundesgesetz zu geben, demzufolge alle Filmporträts berühmter Persönlichkeiten mit einer halben Stunde maßloser Lobhudelei beginnen müssen. An diese Regel hält sich auch Regisseur Mark Noonan. Seine Doku ist zwar eine weitgehend irische Produktion, weil der Architekt Kevin Roche 1922 in Dublin zur Welt kam, doch gefilmt wurde vor allem in den USA. Dorthin wanderte Roche 1948 aus.

 

Info

 

Kevin Roche:
Der stille Architekt

 

Regie: Mark Noonan,

82 Min., Irland/ Frankreich/ Spanien/ USA 2017;

 

Engl. weitere Informationen

 

Also bestehen die ersten 30 Minuten aus kollegialem Schulterklopfen: Mitarbeiter, Kritiker und andere Architekten, deren Namen man erst später erfährt, überbieten sich in Lobesreden. Wie viele epochale Bauwerke Roche geschaffen habe, was für ein visionärer Meister er doch sei, und dabei stets so bescheiden, freundlich und allzeit optimistisch! Unterlegt wird dieses Kränzewinden von makellos schönen Schnittbildern in bunter Folge. Der Einzige, der diesen hohen Dauerton mit ironischen Bonmots durchbricht, ist der 95-Jährige selbst.

 

Mies van der Rohe war ihm zu kopflastig

 

Nach einer halben Stunde werden die Festreden endlich von biographischen Informationen abgelöst: Der erste Entwurf des Schweinezüchter-Sohns war für einen Schweinestall. Nach seinem Studienabschluss in Dublin ging Roche nach Chicago, um sich am „Illinois Institute of Technology“ bei Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) fortzubilden, fand aber dessen rigiden International Style zu abstrakt und kopflastig. 1951 heuerte er im Architekturbüro des Finnen Eero Saarinen in Michigan an und stieg bald zum Chef-Designer auf.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Als Saarinen 1961 starb, führte Roche das Büro mit Bauingenieur John Dinkeloo weiter. Gemeinsam vollendeten sie eine Reihe von Projekten, die ihnen weithin Aufmerksamkeit verschafften: etwa den „Dulles Airport“ (1962) in Washington, D.C., das CBS-Hochhaus (1964) in New York und vor allem den „Gateway Arch“ (1966), einen riesigen Torbogen am Mississippi als Wahrzeichen für St. Louis. Über diese frühen Großtaten, die noch auf Saarinens Plänen beruhten, geht der Film rasch hinweg.

 

Oakland-Museum als Stadtpark

 

Das erste Gebäude, dem sich Regisseur Noonan ausführlich widmet, ist die 1968 errichtete „Ford Foundation“ in New York: Für eines der ersten Atrium-Hochhäuser holte Roche durch üppige Innenraum-Bepflanzung die Natur in die Stadt. Wenig später radikalisierte er dieses Konzept im „Oakland Museum of California“ (1969): Bei diesem ausladenden Komplex von locker miteinander verbundenen Einzelbauten wurden auf den Dächern ganze Gärten angelegt – ein Museum als Stadtpark.

 

Zukunftsweisende Ideen; inwieweit Roche sie kontinuierlich weiter verfolgte, bleibt offen. Da mögen Weggefährten noch so wortreich seinen undogmatischen, nutzerorientierten Ansatz preisen: den vorgestellten Gebäuden ist das kaum anzusehen. Das „Center of the Arts“ (1973) der Wesleyan University in Connecticut wirkt wie eine Handvoll Kalkstein-Bauklötze. Was an der Unternehmens-Zentrale von „Cummins Engine“ (1985) in Indiana herausragend sein soll, erschließt sich nicht: Etliche Firmensitze sind in mäandernden Flachbauten untergebracht.

 

Neo-Versailles für Bouygues-Baukonzern

 

Roches Markenzeichen sei, dass er kein Markenzeichen habe, sondern jede Bauaufgabe individuell löse, wird betont. Mag sein; immerhin erhielt er 1982 den Pritzker-Preis, der als Nobelpreis für Architekten gilt. Doch dem Film gelingt es nie, Roches vorgeblich überraschende Problemlösungen und Liebe zum Detail zu veranschaulichen. Stattdessen schwelgt er in Oberflächenreizen: mit endlosen Kamerafahrten entlang spiegelnder Fassaden, in Zeitlupe und brillanten Farben.

 

Hintergrund

 

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und hier eine Besprechung der Ausstellung "Zoom! Architektur und Stadt im Bild" in der Pinakothek der Moderne, München.

 

Offenbar wurden Roches Bauten im Lauf der Zeit immer monumentaler: Bereits 1972 brachte er in Indiana eine Versicherung in drei Pyramiden-Kegeln unter – warum, bleibt unklar. Der 2002 bei Paris fertig gestellte Hauptsitz des französischen Baukonzerns Bouygues sieht wie eine Palastanlage aus, Neo-Versailles in Stahl und Glas; ein Prachtstück klotziger Imponier-Architektur für geltungssüchtige Industriebarone, über die sich zugleich die Interview-Partner im Film hämisch mokieren. Und ein markantes Beispiel für Architekten-Zynismus: Es liegt natürlich allein an blöden Bauherren, dass die Welt mit inhumanen Riesenkisten vollgerümpelt wird.

 

Noch mit 93 Jahren samstags ins Büro

 

Roches einziges Gebäude in seiner irischen Heimat, das Kongresszentrum von Dublin (2010), wollte er mit einem 17-stöckigen Büroturm garnieren. Er hätte die Stadtsilhouette dominiert – nach heftigen Bürgerprotesten entfiel er. Ohnehin ist der verbliebene Koloss auffällig genug: durch eine gekippte Glastrommel mit integrierten Rolltreppen als Fassade. Nachts blinkt sie grell und bunt wie ein Spielautomat; man mag das für originell halten, doch marktschreierischer kann Architektur kaum auftreten.

 

Doch alle Beteiligten beteuern, wie diskret und zurückhaltend Kevin Roche sei; nie habe er das Rampenlicht gesucht. Vermutlich war er zu beschäftigt: Erst mit 94 Jahren verzichtete er darauf, auch samstags ins Büro zu gehen. Die der Branche eigene Arbeitswut wird im Film ausgiebig mit Zitaten und Anekdoten gefeiert, die zumindest eine Erkenntnis befördern: Kein Wunder, dass unsere Städte so unwirtlich sind – wenn ihre Planer ein Leben lang von der Welt nicht mehr sehen als Schreibtische und Baustellen.