
Feinripp-Unterwäsche, ein kariertes Hemd, eine Jeans, ein Paar Stiefel und ein Cowboyhut, dann ist Lucky (Harry Dean Stanton) bereit für einen weiteren Tag. Der ledige 90-Jährige wirkt, als hätte er nie etwas anderes getragen. Lucky hat sich in einem Leben der Gewohnheiten eingerichtet: Jeden Tag steht er zur gleichen Zeit auf, macht Frühsport und spaziert mit staksigem Gang durch den kleinen sonnigen Ort im Südwesten der USA. Ebenfalls dazu gehören: ein Kaffee mit viel Milch und Zucker im Diner, Kreuzworträtsel, der Kauf von Milch im Supermarkt, den die Mexikanerin Bibi führt, und Game-Shows ohne Ton.
Info
Lucky
Regie: John Carroll Lynch,
88 Min., USA 2017;
mit: Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston
Ängste aus der Vergangenheit
Das stellt seinen Alltag zwar nicht gleich auf den Kopf, aber Lucky denkt nun über das unausweichliche Ende nach, gesteht sich und anderen seine Ängste ein. Die liegen manchmal in der fernen Vergangenheit: Seine Angst vor der Dunkelheit etwa geht auf eine Panikattacke zurück, die er als 13-Jähriger hatte. Lucky sitzt auf seinem Bett und raucht, dazu singt der späte Johnny Cash: „I See a Darkness“.
Offizieller Filmtrailer
Endlich Kaffeemaschinen-Uhr stellen
Doch auch wenn der Atheist und Nonkonformist Lucky streitlustig über das Nichts philosophiert oder sein Kumpel Howard (David Lynch) abends in der Bar bitterlich die Flucht seiner 100-jährigen Schildkröte Mr. Roosevelt beklagt, ist „Lucky“ kein deprimierender Film. Das Regiedebüt des Schauspielers John Carroll Lynch überzeugt mit witzigen Dialogen und skurillen, aber nicht niedlichen Szenen. Zudem verströmt der Film, obwohl er das Thema Alter nicht verharmlost, einen optimistischen Realismus: Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind. Die seit Jahren nicht eingestellte Uhr der Kaffeemaschine stellt Lucky nun doch ein. Offenbar hat er noch etwas vor.
Hintergrund
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Hommage an einen Charakterkopf
„Lucky“ ist ein Fest mit und für Harry Dean Stanton: Regisseur John Carroll Lynch und die Drehbuchautoren Logan Sparks und Drago Sumonja haben die Rolle dem Schauspieler, den es in seiner langen Karriere nie ins Rampenlicht gedrängt hat, auf den Leib geschrieben. Die Rolle des Travis in Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ (1984) war seine einzige echte Hauptrolle, doch das US-Kino ist ohne seinen Charakterkopf fast nicht denkbar.
Viele von Stantons Interessen und Erlebnissen sind hier verarbeitet, etwa die Liebe zur Musik – Stanton spielte lange Jahre in einer Band – und zu Kreuzworträtseln. Oder die Erfahrungen im Pazifik während des Zweiten Weltkriegs als Koch in der Navy, die er mit einem Ex-Marine im Diner bespricht. Im Vorspann steht: „Harry Dean Stanton ist Lucky“.
Mr. Roosevelt hat das letzte Wort
Dass Stanton im September 2017 im Alter von 91 Jahren starb, macht seinen letzten Film zu einem berührenden Vermächtnis. Die letzte Einstellung zeigt ihn, wie er noch einmal ganz direkt in die Kamera schaut und langsam davon geht. Das letzte Wort hat er trotzdem nicht. Kurz nachdem Lucky weg ist, kriecht die Schildkröte Mr. Roosevelt ins Bild.