Harry Dean Stanton

Lucky

Lucky (Harry Dean Stanton) lebt in einem verschlafenen Wüstenstädtchen im amerikanischen Nirgendwo. Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart 8.3.) Eine Legende spielt sich selbst: Mit seinem Porträt des greisen Alltagsrebellen gelingt Regisseur John Carroll Lynch ein witziger, melancholischer Blick auf das Altwerden – berührende Hommage an den jüngst verstorbenen Schauspieler Harry Dean Stanton.

Feinripp-Unterwäsche, ein kariertes Hemd, eine Jeans, ein Paar Stiefel und ein Cowboyhut, dann ist Lucky (Harry Dean Stanton) bereit für einen weiteren Tag. Der ledige 90-Jährige wirkt, als hätte er nie etwas anderes getragen. Lucky hat sich in einem Leben der Gewohnheiten eingerichtet: Jeden Tag steht er zur gleichen Zeit auf, macht Frühsport und spaziert mit staksigem Gang durch den kleinen sonnigen Ort im Südwesten der USA. Ebenfalls dazu gehören: ein Kaffee mit viel Milch und Zucker im Diner, Kreuzworträtsel, der Kauf von Milch im Supermarkt, den die Mexikanerin Bibi führt, und Game-Shows ohne Ton.

 

Info

 

Lucky

 

Regie: John Carroll Lynch,

88 Min., USA 2017;

mit: Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston

 

Website zum Film

 

Ein Tag verläuft wie der andere, so hat es Lucky am liebsten. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf ein Minimum. Die Leute schätzen ihn offenbar, doch Lucky blockt ab: Für ihn gebe es einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Doch als er eines Morgens stürzt und der Arzt ihm erklärt, es liege an seinem fortgeschrittenen Alter, beschließt er, wenn auch behutsam, sein Leben zu ändern.

 

Ängste aus der Vergangenheit

 

Das stellt seinen Alltag zwar nicht gleich auf den Kopf, aber Lucky denkt nun über das unausweichliche Ende nach, gesteht sich und anderen seine Ängste ein. Die liegen manchmal in der fernen Vergangenheit: Seine Angst vor der Dunkelheit etwa geht auf eine Panikattacke zurück, die er als 13-Jähriger hatte. Lucky sitzt auf seinem Bett und raucht, dazu singt der späte Johnny Cash: „I See a Darkness“.

Offizieller Filmtrailer


 

Endlich Kaffeemaschinen-Uhr stellen

 

Doch auch wenn der Atheist und Nonkonformist Lucky streitlustig über das Nichts philosophiert oder sein Kumpel Howard (David Lynch) abends in der Bar bitterlich die Flucht seiner 100-jährigen Schildkröte Mr. Roosevelt beklagt, ist „Lucky“ kein deprimierender Film. Das Regiedebüt des Schauspielers John Carroll Lynch überzeugt mit witzigen Dialogen und skurillen, aber nicht niedlichen Szenen. Zudem verströmt der Film, obwohl er das Thema Alter nicht verharmlost, einen optimistischen Realismus: Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind. Die seit Jahren nicht eingestellte Uhr der Kaffeemaschine stellt Lucky nun doch ein. Offenbar hat er noch etwas vor.

 

Hintergrund

 

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Überrascht stellt er fest, dass es Menschen gibt, die ihn mögen und sich um ihn sorgen – und dass diese Kontakte auch Freude machen. Die Kellnerin Loretta schaut bei ihm vorbei, als er nicht wie immer im Diner erscheint. Gemeinsam rauchen sie einen Joint und schauen sich eine alte TV-Show an. Eine der schönsten Szenen des Films ist die große Familienfeier, zu dem die Mexikanerin Bibi Lucky eingeladen hat: Ein Fest in gelöster Atmosphäre, an dessen Höhepunkt Lucky aufsteht und den spanischen Schlager „Volver, volver“ singt.  

 

Hommage an einen Charakterkopf

 

„Lucky“ ist ein Fest mit und für Harry Dean Stanton: Regisseur John Carroll Lynch und die Drehbuchautoren Logan Sparks und Drago Sumonja haben die Rolle dem Schauspieler, den es in seiner langen Karriere nie ins Rampenlicht gedrängt hat, auf den Leib geschrieben. Die Rolle des Travis in Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ (1984) war seine einzige echte Hauptrolle, doch das US-Kino ist ohne seinen Charakterkopf fast nicht denkbar.

 

Viele von Stantons Interessen und Erlebnissen sind hier verarbeitet, etwa die Liebe zur Musik – Stanton spielte lange Jahre in einer Band – und zu Kreuzworträtseln. Oder die Erfahrungen im Pazifik während des Zweiten Weltkriegs als Koch in der Navy, die er mit einem Ex-Marine im Diner bespricht. Im Vorspann steht: „Harry Dean Stanton ist Lucky“.

 

Mr. Roosevelt hat das letzte Wort

 

Dass Stanton im September 2017 im Alter von 91 Jahren starb, macht seinen letzten Film zu einem berührenden Vermächtnis. Die letzte Einstellung zeigt ihn, wie er noch einmal ganz direkt in die Kamera schaut und langsam davon geht. Das letzte Wort hat er trotzdem nicht. Kurz nachdem Lucky weg ist, kriecht die Schildkröte Mr. Roosevelt ins Bild.