Potsdam

Max Beckmann – Welttheater

Max Beckmann: Schauspieler. Triptychon (Detail) 1941/42, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Photo: Imaging Department, © President and Fellows of Harvard, Fotoquelle: Museum Barberini
Die ganze Welt ist eine Bühne, und wir sind alle Schauspieler: Kaum ein Maler hat Theater-Metaphern so konsequent ausgereizt wie Max Beckmann. Das führt eine glänzend bestückte Werkschau im Museum Barberini vor – ohne inszenatorischen Schnickschnack.

Das ganze Leben als Bühnenspektakel zwischen Comedy und Tragödie: Diesen Gedanken hat Max Beckmann (1884-1950) in zahllosen Variationen gemalt – in grellen Farben, exaltierten Posen und wechselnden Kostümen. Der Klassiker der Moderne inszenierte sich und seine Zeitgenossen mit Vorliebe als Artisten und Karnevalisten auf den Bretterbühnen seiner Leinwände.

 

Info

 

Max Beckmann - Welttheater

 

24.02.2018 - 10.06.2018
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr
im Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstraße 5–6, Potsdam

 

Weitere Informationen

 

Beckmanns Coolness paart sich dabei mit Vieldeutigkeit: Seine Kompositionen bringen die rasende Gegenwart für komprimierte Momente zum Stillstand. Dieses „Welttheater“ beleuchtet das Museum Barberini ohne inszenatorischen Schnickschnack. Damit gelingt dem vom Milliardär Hasso Plattner großzügig finanzierten Haus eine weitere kunsthistorisch fundierte Blockbuster-Ausstellung, die den klammen öffentlichen Museumsbetrieb im nahen Berlin blass aussehen lässt. Zuvor wurde die Schau beim Kooperationspartner Kunsthalle Bremen gezeigt.

 

Geläufige Welttheater-These

 

Oft agieren Beckmanns Komparsen als seine Wiedergänger, die wechselnde Identifikationsmodelle anbieten. Wer führt da wessen Drehbuch auf, und für wen? Die Ausstellung schlägt anhand etlicher Meisterwerke eine thematische Schneise durch sein Œuvre: mit Varieté-, Bühnen- und Schauspieler-Motiven, aber auch theatralischen Strategien Beckmanns. Sehr originell ist dieser Ansatz nicht. Fast jede Beckmann-Retrospektive der vergangenen Jahre verfolgte die These, dass er seine Figurenbilder als Welttheater auffasste.

"Kultur 21"-Feature über drei Beckmann-Ausstellungen 2011; © Deutsche Welle


 

Von Platon bis Picasso

 

Das probate Deutungsmodell stammt vom Kunsthistoriker Stephan Lackner, der mit Beckmann befreundet war. Bei einer Ausstellung in London 1938 stellte er den Künstler als „Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber“ vor und nannte seine Kunst ein „Welttheater“. Beckmann griff den Gedanken auf und notierte zwei Jahre später: „Wenn man dies alles – den ganzen Krieg, oder auch das ganze Leben – nur als eine Szene im Theater der Unendlichkeit auffasst, ist vieles leichter zu ertragen.“

 

Die Idee, die Welt sei eine Bühne und menschliches Handeln nur ein Schauspiel, beschäftigte schon antike Denker wie Platon und Epiktet. Über Shakespeare und das barocke Drama bis zu heutigen digitalen Avataren hat sich dieser Topos gehalten. Ab dem 18. Jahrhundert kam ein Rollenfach dazu: Der Künstler als Harlekin, als Zirkusclown und Narr erlebte häufige Gastspiele bei Watteau, Goya und Picasso – ebenso auf Beckmanns Bilderbühnen.

 

Hereinspaziert in „Zirkus Beckmann“

 

Das beginnt nach dem Ersten Weltkrieg: Als der Künstler sich mit seinem neuen, kompakt-expressiven Malstil dem Publikum vorstellte, nahm er die Pose eines Harlekins ein. Sein berühmtes „Selbstbildnis als Clown“ mit Narrenpritsche von 1921 steht im Kontext mit diversen anderen Maskeraden. Beckmanns zweite Ehefrau Quappi tritt zur „Fastnacht“ an der Seite ihres violett kostümierten Gatten in einem verblüffenden Kostüm gar als Ross und Reiterin gleichzeitig auf. Ausgelassene Fröhlichkeit kommt trotzdem nicht auf.

 

Auch ohne Maske fällt keiner aus seiner gesellschaftlichen Rolle. Das zeigen in Beckmanns Grafikzyklen die blasierten Intellektuellen, kriegsversehrten Soldaten und arroganten Anzugträger der Weimarer Zeit. Sogar in Beckmanns Wohnzimmer geht es zu wie auf einer Guckkastenbühne mit expressiv verkanteten Kulissen und übergroßen Requisiten. Sich selbst gefällt der Künstler als Beobachter – oder als Ausrufer, der auf dem Titel einer Grafikmappe den „Zirkus Beckmann“ ankündigt.

 

Oben und unten sind austauschbar

 

Dann folgen nächtliche Streifzüge durch Varietébühnen, Schmierentheater und Kaschemmen. Schiffschaukeln sausen, ein Schießbudengirl lädt die Waffe durch; hinten in der Garderobe wird noch gepudert. Zwei Luftakrobaten steigen mit einem Fesselballon auf: Die hochformatige Komposition wirkt, als könne man sie wie eine Spielkarte ebenso gut kopfüber betrachten. Oben und unten sind austauschbar; nirgends ein Halt.

 

Seine Inspirationen bezog Beckmann aus dem Nachtleben etwa in Paris oder Amsterdam, wie Programmhefte, Postkarten und Notizbuch-Einträge belegen. In Berlin regte ihn das Avantgarde-Theater von Erwin Piscator an, in seinen Bildern die Einheit von Ort und Zeit aufzubrechen: Er experimentierte mit verwirrenden Simultanszenen und mehrstöckigen Bildarchitekturen. Sogar einen Besuch in den Babelsberger Filmstudios 1933 verarbeitete er zu einem Gemälde.

 

Verrätselung zur Verweigerung

 

Auf dem großen „Schauspieler“-Triptychon von 1941/2 stößt sich der König einen Dolch ins Herz. Neben und unterhalb der Hauptbühne laufen weitere Figurenszenen ab, ohne dass sich eine klare Handlung herauskristallisiert. Nach der Emigration 1947 in die USA perfektionierte Beckmanns seine Verrätselungs-Strategie, die zugleich eine Verweigerungs-Haltung ist: Wer entschlüsselbare Bildinhalte sucht, hat Beckmanns Welttheater nicht verstanden. Hier kennt niemand die Regeln; auch der Regisseur gibt es nur vor.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Max Beckmann und Berlin" - interessante Werkschau seiner Hauptstadt-Jahre in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" - Vergleich der beiden Starkünstler der Weimarer Republik in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München

 

und hier ein Beitrag über den Dokumentarfilm "Max Beckmann – Departure" - erhellende Analyse seines gleichnamigen Hauptwerk-Triptychons von Michael Trabitzsch.

 

Umso trefflicher lässt sich über die Sinnschichten sinnieren. So verschifft etwa das späte Triptychon „Argonauten“ von 1950 antikes Personal in die Gegenwart. Die Mitteltafel inszeniert in den Hauptrollen zwei splitternackte Muskelhelden; eventuell Argonauten-Anführer Jason und sein Reisegefährte Orpheus, der antike Sänger. Sie suchen nach dem Goldenen Vlies. Aber was sucht der Greis dahinter auf seiner Leiter?

 

Sich zeigen, um sich zu verbergen

 

Auch die linke Tafel wirkt doppelbödig. Hier hantiert ein verbissener Künstler an der Leinwand, daneben ein vollbusiges Aktmodell. Die junge Frau hält ein riesiges Schwert; sie könnte Medea sein, Jasons Gattin und spätere Kindsmörderin. Auf der rechten Seite konzertieren vier Damen in zeitgenössischen Kleidung – vielleicht ein Sinnbild der Musik als Gegenstück zur bildenden Kunst, die der Maler zur Linken verkörpert.

 

Eines der furiosesten Gemälde der Ausstellung ist der großformatige „Apachentanz“ von 1938. Darauf schleudert ein grobschlächtiger Macho seine elastische Bühnenpartnerin so brachial herum, als sei sie eine Gummipuppe. Den blasierten Zuschauern ist das gleichgültig.

 

Im letzten Kabinett fühlt man sich selbst im Zentrum des Angesehenwerdens: Auf den Porträts rundum an den Wänden sitzen Varietégäste, Logenpublikum und Maler-Modelle. Als Salonlöwin dominiert Beckmanns Freundin Naila im Pelzkragen mit Sphinxblick – sich zeigen bedeutet immer auch: sich verbergen.