Schon das Original von 1932 war ein großer Erfolg – ein halbes Jahrhundert später wurde das Remake weltberühmt. Das Vorbild von Howard Hawks interpretierte Regisseur Brian De Palma 1983 recht frei mithilfe eines Drehbuchs von Oliver Stone: Sein Regisseurs-Kollege gab ihm Spannung und dramatische Dichte. Diese Story setzte De Palma stilvoll und provokant in Szene: mit knallig bunten Bildern und überladenen Tableaus, auf denen Gewalt das Geschehen dominiert.
Info
Scarface
Regie: Brian De Palma,
170 Min., USA 1983;
mit: Al Pacino, Michelle Pfeiffer, Steven Bauer
Vorführung im Filmuseum Düsseldorf am 24.4.
Sich an die Spitze schießen
Bald steigt er ins Drogengeschäft ein; dort macht er völlig skrupel- und rücksichtslos Karriere. Der kubanische Immigrant schießt sich eiskalt als Kleinkrimineller seinen Weg an die Spitze eines Kokain-Imperiums frei. Dabei gelingt es ihm auch, seine Konkurrenten durch Cleverness und Geschick auszustechen. Doch mit Tonys Macht steigt auch die Anzahl der Feinde und die eigene Kokain-Abhängigkeit.
Englischer Original-Filmtrailer von 1983
Zwischen Opern-Opulenz + Realismus
Kein Gangsterfilm ohne Gewalt – aber in dieser extremen Form mit total überheblichen und abgebrüht zynischen Akteuren führte sie erst Brian De Palmas „Scarface“ in dieses Kinogenre ein; daher stand die ungekürzte US-Fassung in Deutschland bis 2011 auf dem Index. Bereits 1932 hatte sich Howard Hawks gegen den Vorwurf verteidigen müssen, Gewalt exzessiv darzustellen. Wie das Original wurde auch De Palmas Version wegweisend: Sein Film schwankt zwischen opernhafter Opulenz und hartem Realismus hin und her.
Die Hauptfigur Tony Montana gerät dabei fast zur Karikatur. Damit setzte Al Pacino ganz bewusst einen Gegenentwurf zur Coolness von Paul Muni, der in Hawks‘ Schwarzweißfilm die Hauptrolle übernommen hatte. Pacinos exaltierte Interpretation drückt der „Scarface“-Neufassung seinen Stempel auf; sie lässt viele Elemente von De Palmas Ästhetik erst so recht zur Geltung kommen.
Unheimlich aggressiv + hyperaktiv
Fast drei Stunden lang wirkt der Schauspieler unheimlich aggressiv; seine Gestik und Mimik erscheinen arg übertrieben. Dieser hyperaktive Emporkömmling bewegt sich an der Schwelle zur Glaubwürdigkeit. In erster Linie inszeniert sich Pacino selbst als radikalen Selbstdarsteller, der jede Gelegenheit bis zur Neige ausschöpft. Ob als Ganovenboss lässig und arrogant im Whirlpool liegend, als eitler Gockel auf der Tanzfläche oder in manischer Tötungswut: Als Rollenmodell hat Pacino nicht nur das Kino, sondern auch die gesamte Populärkultur maßgeblich beeinflusst.
Sein Verständnis von Tony Montana ging über sämtliche Charaktere hinaus, die Pacino bis dahin verkörpert hatte. Es war auch eine Art Gegenentwurf zur Figur des Michael Corleone in „Der Pate“ (1972) von Francis Ford Coppola: Dieser Mafioso hatte noch mit ruhiger und intelligenter, strategisch überlegter Art die kriminellen Geschäfte seine Familie gelenkt.
Kamerafahrten strukturieren Hektik
Hintergrund
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Bei der nahezu barocken Inszenierung fungiert die Kamera von Alonzo als strukturierendes Element. Sie beruhigt die hektischen und von Grausamkeit durchtränkten Szenen: etwa durch lang gezogene Schwenks mit leicht wackelnder Kamera und ruhige Kamerafahrten, die besonders spannungsgeladene Szenen mit Tiefe besetzen. Das kontrastiert scharf mit der dröhnend schrillen Filmmusik im Stile von Synthiepop der 1980er Jahre.
Subtiles ist unnötig
Brian De Palma kultivierte solche barocken und opernhaften Sinnesräusche auf der Leinwand wie auf der Tonspur; dieses typische Stilmerkmal des Regisseurs prägte schon seine vorherigen Filmen „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“ (1976), „Dressed to Kill“ (1980) und „Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren“ (1981). Anfang der 1980er Jahre erlebte er die erfolgreichste Phase seiner Karriere: Dass er dabei keinerlei Interesse an subtilen Gesten und Emotionen hatte, bewies er hier nachdrücklich – nichtsdestoweniger oder gerade deswegen wurde „Scarface“ zum unangefochtenen Gangsterfilm-Klassiker der 1980er Jahre.