Willem Dafoe

The Florida Project

Das Dreamteam: Halley (Bria Vinaite) und ihre Tochter Moonee (Brooklynn Prince) wohnen nur ein paar Steinwürfe von Disneyworld entfernt. Foto: © 2017 PROKINO Filmverleih GmbH
(Kinostart: 15.3.) Sozialrealismus in Lila und Pink: Regisseur Sean Baker porträtiert eine Teenager-Mutter mit ihrer Tochter, die im Motel nahe Disneyland hausen – als quicklebendige Alltagsbeobachtung aus Kinder-Perspektive mit tollen Laiendarstellern.

Es sind Sommerferien in Florida unweit von Disneyland. Doch die sechsjährige Moonee (Brooklynn Kimberly Prince) und ihre Freunde werden keinen Fuß in den Freizeitpark setzen: Er ist für sie so unerrreichbar wie der Mond. Moonee kümmert das aber nicht. Abenteuer gibt es auch so genug zu erleben, zumal ihre junge Mutter Halley (Bria Vinaite) sie den ganzen Tag allein umherstreifen lässt.

 

Also drehen Moonee und ihre kleinen Freunde Scooty und Jancey schon mal dem Motel, in dem sie leben, den Strom ab, spielen mit Feuer in verlassenen Häusern oder stauben irgendwo ein Eis ab. Auf Vorhaltungen der Nachbarn oder des Motelmanagers Bobby (Willem Dafoe) wegen der Streiche ihrer Tochter reagiert Mutter Halley tiefenentspannt.

 

Teenie-Mutter als große Schwester

 

Info

 

The Florida Project

 

Regie: Sean Baker,

115 Min., USA 2017;

mit: Willem Dafoe, Brooklynn Prince, Bria Vinaite

 

Weitere Informationen

 

Mit etlichen Tattoos, blaugefärbten Haaren und knapper Kleidung um den dünnen Leib ist Halley im Grunde selbst noch ein Kind. Jedes zweite Wort aus ihrem Mund ist „fuck“, ihr kann keiner was, und die wöchentlich fällige Zimmermiete kratzt sie irgendwie zusammen − oft auf halblegale Weise. Für ihre Tochter ist Halley eine Art große Schwester; sie ist nie aufbrausend, sondern macht jeden Quatsch mit. Diese Unbekümmertheit steht auf Dauer in Kontrast zu ihrer elterlichen Verantwortung. Moonees Vater wird hingegen im Film nie erwähnt.

 

Ein derart eigenwilliges, höchst charmantes Mutter-Tochter-Gespann jenseits aller Schubladen, wie es Regisseur Sean Baker in „The Florida Project“ vorführt, taucht im Kino selten auf. Angesiedelt ist der Film in der Welt der Billig-Motels, die für viele US-Amerikaner die letzte Station vor der Obdachlosigkeit sind. Offenbar ist es für sie leichter, rund 40 Dollar pro Nacht für ein einfaches Zimmer mit Bad und Kochnische zu zahlen, als die Monatsmiete für eine Wohnung aufzubringen − obwohl die insgesamt auch kaum mehr kosten dürfte. Diesem prekären Dasein entkommen nur wenige Motelbewohner.

Offizieller Filmtrailer OV


Arm, aber keine loser

 

Regisseur Baker, dessen Film mehr einer Alltagsbeobachtung ähnelt, erkundet dieses Milieu an realen Schauplätzen. Bis auf Willem Dafoe sind alle Darsteller Laien, die mehr oder weniger sich selbst verkörpern. Das macht „The Florida Project“ höchst authentisch. Die porträtierten Leute sind keine bedauernswerte Loser, sondern selbstbewusste, kämpfende Menschen. Da der Film aus der Perspektive der Kinder erzählt wird, bekommt die Realität einen märchenhaften Touch.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Wonder Wheel" - Tragikomödie im Vergnügungspark Coney Island bei New York von Woody Allen mit Kate Winslet + Justin Timberlake

 

und hier eine Rezension des Films "Schloss aus Glas" - anschauliche Prekariats-Studie über eine Nomaden-Familie von Destin Daniel Cretton mit Naomi Watts + Woody Harrelson

 

und hier einen Beitrag über den Film "Beasts Of The Southern Wild" - bezaubernd surreale Kinder-Fantasie über Hurrikan "Katrina" im Mississippi-Delta von Benh Zeitlin

 

und hier einen Bericht über den Film "For Ellen" - anrührendes Kammerspiel um ein Scheidungskind von So Yong Kim.

 

Die Kinder wirken dabei völlig natürlich vor der Kamera, sie spielen im eigentlichen Wortsinne. Die mitunter unerträgliche, aber nie bösartige Moonee steckt voller Energie. Sie ist eine Schwester im Geiste von Hushpuppy Doucet, dem kleinen starken Mädchen aus dem wunderbaren Drama „Beasts of the Southern Wild“ (2012) von Benh Zeitlin, der dafür ebenfalls Laien engagierte. Sowohl Hushpuppy als auch Moonee behaupten sich in einer unwirtlichen Umgebung.  

 

Faszinierende Lebenswelt

 

Newcomerin Bria Vinaite als Halley, die vom Regisseur durch ihr flippiges „Instagram“-Profil entdeckt wurde, besteht problemlos gegen dem brillanten und erfahrenen Schauspieler Willem Dafoe. Als Bobby mimt er den guten Geist des Hauses. Er ist eine Art Vaterfigur für all die vaterlosen Kinder des Motels; trotzdem muss er von den Gästen − insbesondere von Halley − einiges einstecken.

 

Neben den Darstellern spielen Setting und Architektur im Film eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Diese Unorte im Nirgendwo am Rande des Highways sind so hässlich, dass sie fast schon wieder pittoresk wirken. Ob das „Magic Castle Motel“ in schrillem Lila, in dem Halley und Moonee leben, der Geschenkeladen mit einer riesigen Zauberer-Figur auf dem Dach oder das Geschäft in Form einer halben Orange: Die Kamera verleiht ihnen eine ganz eigentümliche Alltagspoesie. Damit bietet „The Florida Project“, was Kino im besten Fall vermag: eine andere, faszinierende Lebenswelt zu zeigen.