George Ovashvili

Vor dem Frühling

Die Getreuen des Präsidenten durchqueren einen Fluss. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 29.3.) Requiem für einen Westentaschen-Tyrannen: Georgiens erster Präsident Swiad Gamsachurdia verspielte als dilettantischer Diktator die Macht. Seinem Ende widmet Regisseur Ovashvili ein bizarres Biopic – in schöner Kaukasus-Kulisse.

Erinnert sich noch jemand an Swiad Gamsachurdia (1939-1993)? Er wurde nach dem Zerfall der Sowjetunion der erste Präsident Georgiens: im Mai 1991 mit einer haushohen Mehrheit von 86 Prozent der Stimmen gewählt. Wie viele Wortführer in den gerade unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken zeichnete er sich durch eine stramm nationalistische Gesinnung aus.

 

Info

 

Vor dem Frühling

 

Regie: George Ovashvili,

99 Min., Georgien/ Deutschland/ Frankreich 2017;

mit: Hossein Mahjoob, Kishvard Manvelishvili, Nodar Dzidziguri

 

Weitere Informationen

 

Sein 1975 gestorbener Vater Konstantine war ein berühmter georgischer Schriftsteller. Sohn Swiad wurde Anhänger der Anthroposophie-Lehre von Rudolf Steiner und dichtete populäre patriotische Poeme. 1976 zählte er zu den Gründern der Helsinki-Gruppe in Georgien, im Folgejahr wurde er verurteilt und saß zwei Jahre in Haft. Während der Perestroika stellte er sich 1989 an die Spitze der Unabhängigkeits-Bewegung und wetterte gegen ethnische Minderheiten.

 

2000 Tote bei Putsch

 

Als Staatschef ließ er seinem National-Chauvinismus freien Lauf; rasch mutierte er zum autoritär regierenden Diktator. Der Ex-Oppositionelle duldete selbst keinerlei Opposition. Durch seinen so harten wie erratischen Kurs verspielte er in wenigen Monaten jeden politischen Kredit. Im Dezember 1991 putschte die Nationalgarde; bei Straßenkämpfen in der Hauptstadt Tiflis starben rund 2000 Menschen. Gamsachurdia floh im Januar mit rund 200 Anhängern außer Landes; sein Amtsnachfolger wurde der frühere SU-Außenminister Eduard Schewardnadse.

Offizieller Filmtrailer


 

Ungeklärte Todesumstände

 

Im September 1993 kehrte Gamsachurdia mit seinen Parteigängern zurück; sie konnten sich in Westgeorgien festsetzen. Die Regierung in Tiflis rief russische Truppen zu Hilfe, die diese Rebellion niederschlugen. Abermals flüchtete der gestürzte Ex-Präsident, diesmal nur noch von wenigen Getreuen begleitet. Wochenlang irrten sie durch eine unwegsame Bergregion.

 

In dieser aussichtslosen Lage setzt „Vor dem Frühling“ ein. Der Klarname fällt kein einziges Mal, Hauptdarsteller Hossein Mahjoob wird stets nur „der Präsident“ genannt, doch die Parallelen sind eindeutig. Regisseur George Ovashvili möchte nach eigenen Worten ergründen, was mit Gamsachurdia in seinen letzten Lebenswochen geschah. Was ihn beschäftigt und bewegt hat, bevor er am 31. Dezember einen mysteriösen Tod starb – die genauen Umstände sind bis heute nicht aufgeklärt

 

Wildes Weingelage mit Männertanz

 

Leider fällt dem Regisseur dazu wenig ein. Außer eine Schar bärbeißiger Gestalten mit Anoraks und Flinten durch den winterlichen Kaukasus zu scheuchen: über Schneefelder, Geröllhänge und reißende Flussläufe, von links nach rechts und von rechts nach links. Unterschlupf finden sie in namenlosen Bergdörfern bei bitterarmen Bauern. Sie erstarren beim Anblick des leibhaftigen „Präsidenten“ vor Ehrfurcht – und räumen für seine Entourage sofort ihre Speisekammer aus.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Maisinsel" – idyllische Aussteiger-Robinsonade in Georgien von George Ovashvili

 

und hier einen Bericht über den Film "Die langen hellen Tage" – Coming of Age von zwei Freundinnen im Georgien der chaotischen 1990er Jahre von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Loneliest Planet" - Globetrotter-Drama in Georgien von Julia Loktev mit Gael García Bernal

 

und hier einen Bericht über den Film "Anduni - Fremde Heimat" - Porträts armenischer Emigranten in Deutschland von Samira Radsi.

 

Natürlich darf auch ein wildes georgisches Weingelage mit ausgelassen tanzenden Männern nicht fehlen. Solche Folklore-Szenen kommen zumindest ohne Worte aus. Dagegen sind die Dialoge, wenn des Präsidenten Führungszirkel über das weitere Vorgehen berät, von unheiliger Einfalt: eine monotone Litanei aus inbrünstigen Treueschwüren und Freischärler-Fachsimpelei. Von der Mechanik der Macht haben Ovashvili und sein niederländischer Drehbuch-Koautor Roelof Jan Minneboo offenbar keine Ahnung.

 

Ultranationalisten-Phantomschmerz

 

Damit bleibt sich das Duo treu: Schon im Vorgänger-Film „Die Maisinsel“ (2014) waren die wenigen Wortwechsel zum Weghören banal. Dafür entschädigte der Regisseur mit einem malerischen Bilderbogen aus dichten Wäldern voller dunkelgrüner Baumwipfel über einem unberührten Flusstal, in dem die Protagonisten auf einer Sandbank hausten. Diesmal wagt er sich ins Hochgebirge vor; hier fängt er scharfkantige Grate und zerzaustes Buschwerk ein.

 

Solche Schauwerte dürften auch beim deutschen Publikum ankommen. Das Thema vermutlich kaum: Wen kümmert hierzulande der Phantomschmerz georgischer Ultranationalisten, die das schmähliche Ende eines Westentaschen-Tyrannen beklagen? Das hat Regisseur Ovashvili gar nicht nötig: Er ist sichtlich ein begabter Naturfilmer. Nachdem er schon die üppige Hügellandschaft von Abchasien und erhabene Kaukasus-Gipfel abgegrast hat, sollte er seinen nächsten Film am besten an Georgiens idyllischer Schwarzmeerküste ansiedeln.