Josef Bierbichler

Zwei Herren im Anzug

Kammersängerin Krauss (Margarita Broich) und Pankraz (Josef Bierbichler) beim Faschingsfest. Foto: © X Verleih AG
(Kinostart: 22.3.) Jagdszenen aus Oberbayern: In der Verfilmung seines Romans "Mittelreich" lässt Schauspieler Josef Bierbichler das Pandämonium des 20. Jahrhunderts wieder auferstehen: Starnberg als Schreckensort, untermalt von Kofelgschroa-Musik.

Der Begriff  Heimat ist wieder aktuell, und mit ihm das Unbehagen darüber; nicht zuletzt dank des neuen „Bundesheimatministeriums“ und des entsprechenden Rauschens im Blätterwald. Dieses Unbehagen repräsentiert Josef Bierbichler, tief im Bayrischen verwurzelter und recht gescheiter Schauspieler und Autor, wie kaum ein anderer.

 

Info

 

Zwei Herren im Anzug

 

Regie: Josef Bierbichler,

139 Min., Deutschland 2018;

mit: Josef Bierbichler, Martina Gedeck, Simon Donatz

 

Weitere Informationen

 

Der Erbe eines Gasthauses am Starnberger See hat mit Filmregisseuren wie Werner Herzog, Herbert Achternbusch und Michael Haneke zusammengearbeitet, die alle in ihrem Werk den Heimat-Begriff ambivalent behandelt haben. Bierbichler hält es in seinem ersten Roman „Mittelreich“ von 2011 ebenso; nun führt er bei der Kino-Adaption des Stoffes erstmals Regie. Dabei ist „Zwei Herren im Anzug“ keine werkgetreue Verfilmung, bedient sich aber der Motive des Buches.

 

Seewirt-und-Sohn-Showdown

 

Wie in der Vorlage ist das Gasthaus am See der Mittelpunkt der Handlung; dabei liegt Bierbichler nichts an einer Autobiographie. Er will vielmehr anhand eigener Erlebnisse eine exemplarische Geschichte erzählen, die über die eigene Person hinausweist. Furchtlos hat er sich dennoch in der Hauptrolle des alten Seewirts Pankraz selbst besetzt;  die Rolle des jungen Pankraz sowie dessen Sohnes Semi übernimmt Simon Donatz.

Offizieller Filmtrailer


 

Auf Kruzifix in Kirche feuern

 

Die beiden – der alte Seewirt und seine junger, mit ihm hadernder Sohn – fechten es nach dem Begräbnis von Pankraz‘ Frau Theres (Martina Gedeck) miteinander aus. Im leeren Schankraums liegt langes Schweigen zwischen beiden in der Luft; dann stellt der Sohn bei Bier und Zigaretten seinen Vater zur Rede.

 

Semi geht es vor allem um die eigenen Verletzungen. Die in Rückblenden erzählte Geschichte geht aber weit darüber hinaus; sie setzt im Jahr 1914 ein. Pankraz ist ein Kind, als die Soldaten singend in den Ersten Weltkrieg marschieren, ebenso sein Bruder. Der kommt zwar zurück, allerdings scheint er nicht mehr ganz richtig im Kopf zu sein: In der Kirche eröffnet er das Feuer auf den am Kreuz hängenden Christus, weil der ja ein Jude war. Man sperrt ihn weg.

 

Zaungäste + „Kofelgschroa“-Musik

 

Doch kurze Zeit später wird des Bruders Irrsinn bayrische Realität. Nun geht auch Pankraz in den Zweiten Weltkrieg – aber alles, woran er sich später erinnert, ist die Weite des verschneiten Russlands. Kurz darauf sitzen auf den Bierbänken vor dem Gasthaus US-Soldaten und Flüchtlinge aus dem Osten. Das Leben geht weiter: In einer langen, burlesken Kostümfest-Szene lässt Bierbichler seiner Abscheu vor dieser Art der Vergangenheits-Bewältigung freien Lauf: Antisemitismus, Obrigkeitshörigkeit, latente Gewalt – alles ist noch da, und die Musik spielt fröhlich weiter.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Kofelgschroa. Frei. Sein.Wollen." - feinsinnige Doku über die bayerische Neo-Volksmusik-Gruppe von Barbara Weber

 

und hier eine Besprechung des Films "Die große Passion" - anschaulich informative Doku über die Passionsspiele von Oberammergau von Jörg Adolph

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht" - brillanter Historienfilm über Deutschland um 1850 als Auswanderer-Armenhaus von Edgar Reitz

 

und hier einen Bericht über den Film "Happy End" - beklemmendes Intergenerationen-Familiendrama von Michael Haneke.

 

Immer wieder schließen sich knallend die Türen im Haus, beenden ein Kapitel, verbergen das zu Verdrängende und werfen den Betrachter zurück in die Gegenwart. Eine Konstante des Films bilden die beiden Herren im Titel, die zwar immer andere Namen haben, aber niemals altern. Genauer: Sie sind immer schon alt und begleiten das Geschehen wie Zaungäste. Eine weitere Konstante ist eine Schar immerjunger Musiker, die von der Kapelle „Kofelgschroa“ aus Oberammergau dargestellt wird. Dieses Quartett, das den überwiegenden Teil der Filmmusik beisteuert, pflegt seit zehn Jahren die Tradition regionaler Blasmusik, ohne ihr reaktionäres Erbe zu übernehmen.

 

Ätzender Anti-Heimatfilm

 

Live-Musik oder aus dem Radio erweist sich im Film als Schlüssel zu den verschütteten Erinnerungen von Vater und Sohn: In ihrem qualvollen Gespräch bahnen sie sich einen Weg durch die Jahrzehnte und eine verkorkste, erdrückende und doch niemals abzuschüttelnde Heimat. Am Ende platzt Verborgenes hervor wie Eiter aus dem Furunkel: Missbrauch, Verrat, Mord und ödipales Begehren brechen sich Bahn in Bildern, deren Wucht sich der deutsche Film normalerweise verkneift. Man verlässt den Film geplättet.

 

Ätzende Anti-Heimatfilme sind nichts neues; Herbert Achternbusch hat es mit seinen Grotesken wie „Die Gespenster“ (1982) vorgemacht. Dabei beziehen sich die Regisseure auf die Folie des herkömmlichen Heimatfilms; diese Nachkriegstradition ist im TV immer noch zu besichtigen.

 

Nazi sein oder nicht sein

 

Darin werden Nationalismus und Faschismus entweder völlig ausgeklammert oder als Unheil inszeniert, das von außen, etwa aus der Stadt, über die Heimat hereinbricht. Wie Naturkatastrophen gehen auch Krieg und „Hitlerei“ wieder vorbei. So kann man es sich in der Heimat gemütlich machen; Bierbichler bietet mit diesem Film ein Gegengift an.