Stuttgart

Hawai’i – Königliche Inseln im Pazifik

Hula-Tänzerinnen auf Hawai'i. Foto: © pixabay.com. Fotoquelle: Linden-Museum, Stuttgart
Aus den Federn kommen: Früher lieferten Vögel auf den Pazifik-Inseln das Material für kostbare Prestige-Kleidung. Nach James Cooks Ankunft 1778 wurde das Königreich rasch verwestlicht – seine traditionelle Kultur stellt das Linden-Museum anschaulich und attraktiv vor.

Blumenketten zur Begrüßung, Wellenreiten, Hula-Tänze und süße Glissandi-Melodien der Hawaii-Gitarre: Solche Klischees dürften den Meisten einfallen, wenn der Name des Archipels fällt. Umso erstaunlicher, dass ihm noch nie eine Ausstellung in Deutschland gewidmet war. Das holt das Linden-Museum glänzend nach; es stellt die wechselvolle Geschichte und einzigartige Kultur der Inselkette im Nordpazifik sehr anschaulich und attraktiv inszeniert vor.

 

Info

 

Hawai'i - Königliche Inseln im Pazifik

 

14.10.2017 - 13.05.2018

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr,

sonn- und feiertags bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr

im Linden-Museum, Hegelplatz 1, Stuttgart

 

Katalog 24,90 €

 

Weitere Informationen

 

Hawai’i sehen und sterben – dieses Schicksal ereilte den berühmten Entdecker James Cook. Am 18. Januar 1778 erreichte er als erster Europäer das Archipel, das bereits 1500 Jahren zuvor von polynesischen Seefahrern besiedelt worden war. Cook und seine Mannschaften auf zwei Schiffen wurden ehrenvoll aufgenommen – man hielt sie für die Reinkarnation mythischer Ahnen.

 

Beim dritten Aufenthalt getötet

 

Im Sommer suchte Cook im Polarmeer erfolglos nach der Nordwestpassage, im Januar 1779 kehrte er nach Hawai’i zurück: genau zu Beginn eines wichtigen Festes, bei dem die Fremden mit wertvollen Geschenken überhäuft wurden. Als sie wegen Mastbruchs auf einem Schiff wenige Wochen später abermals zurückkamen, war der Empfang jedoch abweisend: Bei einem Scharmützel starben Cook, vier seiner Leute und zahlreiche Hawaiier. Dennoch zählen die aufwändigen Artefakte, die seine Schiffe nach Europa brachten, bis heute zu den Prunkstücken ethnologischer Museen.

Impressionen der Ausstellung


 

Boom + Crash mit Fellen + Sandelholz

 

Dabei waren die Insulaner keineswegs fremdenfeindlich gestimmt, im Gegenteil: Wie die Maori in Neuseeland lernten sie eifrig von den Eindringlingen aus Übersee. Nur drei Jahre vor Cooks Ankunft hatte Kamehameha I. alle Eilande seiner Herrschaft militärisch unterworfen. Damit begründete er das Königreich Hawai’i; es hatte fast 100 Jahre lang Bestand. Der König interessierte sich für alle Neuerungen, engagierte ausländische Berater und kaufte etliche Schiffe. Der hawaiische Adel (ali’i) tat es ihm nach, handelte lebhaft mit Fellen oder Sandelholz und importierte Luxusgüter – bis dieser Boom 1829 wegen Raubbaus abrupt endete und viele Adlige verschuldet zurückließ.

 

Nach des Königs Tod 1819 brachen seine Witwe und sein Sohn bewusst das Tabu (kapu), dass Männer und Frauen nicht gemeinsam essen durften. Mit enormen Auswirkungen: Dieser Tabubruch hob die herkömmliche spirituelle und soziale Ordnung aus den Angeln, so dass die hawaiische Religion zerfiel. Viele Tempelanlagen mit überlebensgroßen Holzstatuen wurden zerstört. Man wüsste gern, was Witwe und Sohn zu diesem radikalen Schritt motivierte; leider wird er weder in der Schau selbst noch im ansonsten sehr informativen Katalog erläutert.

 

Durch Krankheiten entvölkert

 

Vielleicht gab die rasche Entvölkerung der Inselgruppe den Ausschlag? Hier lebten bei Cooks Ankunft etwa 300.000 Menschen; durch eingeschleppte Krankheiten verringerte sich ihre Zahl bis 1800 auf rund die Hälfte. Trotz Zuwanderung sank sie weiter: Mitte des 19. Jahrhunderts waren es nur noch 72.000 Personen. Zugleich schritt die Verwestlichung von Hawai’i rapide voran.

 

1820 kamen christliche Missionare aus den USA; sie wurden vom Königshaus gefördert. 1834 erschien die erste Zeitung in hawaiischer Sprache; Mitte des Jahrhunderts waren die meisten Einwohner alphabetisiert. 1839/40 führte eine schriftliche Verfassung die konstitutionelle Monarchie ein – früher als in den meisten Ländern Europas, etwa Preußen.

 

Völkerrechtswidrige Annexion

 

Drei Jahre später wurde Hawai’i von England und Frankreich als souveräner Staat anerkannt; fast alle europäischen Staaten zogen nach. Ende des 19. Jahrhunderts versuchte König Kalākaua (reg. 1874-1891), die heimische Kultur traditioneller Legenden und Tänze zu erhalten – oder sie mit westlichen Einflüssen zu verbinden, etwa beim Bau des ‚Iolani-Palastes in der Hauptstadt Honolulu 1882.

 

Vergeblich: Eine mächtige Gruppe US-stämmiger Plantagenbesitzer und Geschäftsleute putschte 1893 und setzte die letzte Monarchin Lili’uokalani ab. Nach einigem Hin und Her samt einer Massen-Petition von 21.000 Insulanern annektierte der US-Kongress 1898 das Archipel – völkerrechtswidrig, denn es war ein anerkannter Staat. 61 Jahre lang als so genanntes Territorium verwaltet, wurde Hawai’i nach einem umstrittenen Referendum 1959 zum 50. US-Bundesstaat erklärt.

 

Erstes Surfboard-Bild von 1784

 

Hintergrund

 

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Heute leben dort knapp 1,4 Millionen Menschen; fast die Hälfte sind Nachfahren asiatischer Einwanderer, dagegen nur etwa 16 Prozent hawaiischer Abstammung. Doch sie bemühen sich seit den 1970er Jahren erfolgreich um eine Renaissance ihrer Sprache, die zwischenzeitlich praktisch ausgestorben war, und lokaler Traditionen. Als Kontrastprogramm zur „Surferparadies mit Blumenmädchen“-Kulisse der Tourismus-Industrie: Alljährlich fliegen mehr als sieben Millionen Urlauber ein und darauf herein.

 

Diese Stereotypen ruft auch die Ausstellung am Anfang verschmitzt auf, um sie dann genüsslich zu demontieren. In der Tat wurde das Surfen im Stehen auf Hawai’i erfunden; ein Kupferstich von 1784 zur Ankunft von Cook zeigt die erste europäische Darstellung eines Surfboards. Solche taugten aber nur für Normalsterbliche; adlige ali’i surften auf speziellen olo-Wellenbrettern. Sie waren bis zu sieben Meter lang und 70 Kilo schwer.

 

Brustschmuck aus Menschenhaar

 

Natürlich spielen Blumen im tropischen Alltag und Kunsthandwerk eine große Rolle. Doch ein wesentlich begehrteres Material waren Vogelfedern: Sie wurden zehntausendfach zu prestigeträchtigen Federfiguren, -helmen, -mänteln und Halsschmuck verarbeitet. Die schönsten Stücke in leuchtendem Rot und Gelb waren hochrangigen Adligen vorbehalten; dunklere Töne durfte auch der niedere Adel tragen. Ihre Farbenpracht breitet die Schau in verschwenderischer Fülle aus.

 

Wie andere bizarr anmutende Objekte: etwa kapa-Stoffe aus breit geklopftem und geriffeltem Baumrindenbast. Oder Brustschmuck aus Bündeln feiner schwarzer Schnüre – geflochten aus echtem Menschenhaar und zusammengehalten von einem geschliffenen Walzahn. Oder schlichte Holzbecher in verschiedenen Formen mit charakteristischem Griff: Da für gewöhnliche Menschen die spirituelle Kraft mana der adligen ali’i gefährlich werden konnte, musste man sogar ihre Ausscheidungen gesondert entsorgen. Dafür dienten diese Gefäße – exotischer geht es wohl kaum.