
„Kraft der Verwandlung“ klingt als Name einer Ausstellung etwas merkwürdig: Welcher bildende Künstler wäre nicht ständig damit befasst, vorhandene Materie in neue Formen zu bringen, sie also in andere Erscheinungen zu verwandeln? Der Künstler als Demiurg, als Weltenschöpfer, der nie Dagewesenes schafft – das ist eine uralte Vorstellung.
Info
Rubens - Kraft der Verwandlung
08.02.2018 - 03.06.2018
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr, donnerstags
+ freitags bis 21 Uhr
im Städel Museum, Dürerstraße 2, Frankfurt am Main
Katalog 39,90 €;
Begleitheft 7,50 €
Sehr anschaulich vermittelt
Anhand von etwa 100 Werken; darunter 31 Gemälde und 23 Zeichnungen von Rubens selbst, ergänzt um klug ausgewählte Vergleichsarbeiten. Hängung und Vermittlung entsprechen dem vom Städel gewohnten, hohen Standard: Fast alle Exponate werden kurz und pointiert erläutert, um die Aufmerksamkeit auch des eiligen Betrachters auf die jeweils wichtigen Stilmerkmale zu lenken. Nicht ausleihbare Vorläufer, die Rubens kannte und kopierte, sind durch kleine Reproduktionen vertreten – anschaulicher geht es kaum.
Impressionen der Ausstellung
Kauernde Venus vielfach verwendet
Besonders gelungen ist die Mischung der Kunstsparten. In den Räumen sind Abgüsse von antiken Skulpturen aufgestellt, die als Vorbilder für diese oder jene Rubens-Komposition gedient haben. Im ersten Saal bäumt sich dem Besucher ein antiker Kentaur entgegen, den ein Cupido an den Haaren zieht und damit seinen Oberkörper nach hinten biegt. Von ihm fertigte Rubens eine Bleistiftzeichnung an – dazwischen hängt sein „Ecce Homo“-Gemälde aus der Petersburger Eremitage. Pilatus scheint Christus am Hinterkopf zu packen und dessen athletischen Leib nach vorn zu wölben: Aus einer Liebesleid-Szene wird eine Kraft-Demonstration des Erlösers.
So versteht diese Schau „Verwandlung“: Eingeführte Posen oder Bildformeln wurden von Rubens aufgegriffen und uminterpretiert. Ein schönes Beispiel dafür bietet die griechische Plastik einer kauernden Venus in ihrer römischen Kopie aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.. Ihre anmutige Körperhaltung griff der Maler mehrfach auf, etwa als Rückenansicht für das Gemälde „Venus Frigida“ („Frierende Venus“) von 1614. Er verwendete diese Figur aber auch auf dem Monumentalbild „Venus um Adonis trauernd“, und das gleich mehrfach: Sowohl die betrübte Göttin als auch ihre drei Grazien zeigen verschiedene Züge des Originals.
Maria bietet Brust-Milch an
Geradezu verblüffend sind die Parallelen zwischen dem berühmten antiken „Torso Belvedere“, der seit dem 16. Jahrhundert im Vatikan stand, und Rubens‘ „Auferstandenem und Triumphierenden Christus“ von 1615: Beide zeigen den gleichen nach vorn geknickten Rumpf. Auch der sich nach rechts wegbiegende Heiland in „Augustinus zwischen Christus und Maria“ hat ein antikes Vorbild – anders als seine Mutter, die bizarrerweise dem Kirchenvater die Milch ihrer Brust anbietet.
Ähnliche Parallelen lassen sich auch zwischen Bildwerken ausmachen. Nach 1539 malte der Flame Michiel Coxcie einen heute im Madrider Prado aufbewahrten „Tod Abels“. Auf diesem Bild liegt der Erschlagene nackt und kopfüber, das Haupt am unteren Rand der Leinwand. Dadurch soll Rubens zu seinem spektakulären „Prometheus“ von 1612/8 angeregt worden sein.
Überbietung durch Nachahmung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Peter Paul Rubens" - faszinierende Themenschau über den Barockmaler als politischen Künstler im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dürer, Michelangelo, Rubens - Die 100 Meisterwerke der Albertina" - große Grafik-Schau mit Werken von Rubens in der Albertina, Wien
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die entfesselte Antike: Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel" über die Wanderung antiker Kunst-Formen im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Brueghel, Rubens, Ruisdael: Schätze der Hohenbuchau Collection" - hochkarätige Privatsammlung mit Werken von Rubens in der Staatsgalerie Stuttgart.
Doch diese Gegenüberstellung von Vorgängern mit Werken, in denen Rubens vermeintlich an sie anknüpfte, überzeugt nicht durchgängig. Menschen können nur eine begrenzte Zahl von Körperhaltungen einnehmen, vor allem im Schlaf: Nicht jede unbekleidete, hingegossene Schönheit hat Nachahmer zu zahlreichen Variationen inspiriert. Eher dürftig erscheint die Beweislage im Raum, der Rubens‘ Beziehung zu Adam Elsheimer (1578-1610) gewidmet ist: Er wirkt wie ein willkommener Vorwand, um ein Prunkstück der Städel-Sammlung wieder einmal ins Rampenlicht zu rücken – Elsheimers auf Kupfertäfelchen gemalten „Kreuzaltar“ von 1603/5.
Nix Neues in Rubens‘ Reich
Dass Rubens abkupferte, wo er konnte, wird überdeutlich – darüber hinaus vermisst man weitergehende Einsichten. So gleicht der Rundgang einem großen Memory-Spiel oder den Rätsel-Grafiken, die Zeitungen früher häufig abdruckten: Finden Sie die versteckten Unterschiede? Denn Bilder entstehen stets aus Bildern: Seit jeher lassen sich Künstler von der Kunstgeschichte und ihren Zeitgenossen inspirieren. Ständig werden Formen abgewandelt und mit anderen Inhalten besetzt; diese „Wanderung der Formen“ wies der Kunsthistoriker Aby Warburg schon 1905 mustergültig nach.
Rubens mag sich besonders kraftvoll aus dem Repertoire seiner Epoche bedient haben, aber was folgt daraus? Wer derart viel produziert, muss eben Ideen überall zusammenkratzen, wo er sie finden kann. Das gilt auch für den heutigen Ausstellungsbetrieb: Wenn ein Alter Meister und sein Werk mittlerweile hinreichend erforscht sind, kann man das nur mixen und neu aufkochen. Nach dem Motto: Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.