Hamburg

Thomas Gainsborough – Die moderne Landschaft

Thomas Gainsborough: Robert und Frances Andrews (»Mr. und Mrs. Andrews«), um 1750; © The National Gallery, London. Fotoquelle: Hamburger Kunsthalle
Bilderschau gegen den Brexit: Daheim gilt Thomas Gainsborough als einer der drei größten englischen Maler des 18. Jahrhunderts. Nun stellt ihn die Kunsthalle erstmals in Deutschland ausführlich vor – als Meister von Harmonie und Experimentierfreude.

Ein unbekannter Berühmter: Neben William Hogarth und Joshua Reynolds gilt Thomas Gainsborough (1727-1788) als einer der drei bedeutendsten englischen Maler des 18. Jahrhunderts. Im Vereinigten Königreich wird er vor allem für seine lebendigen und zugleich idealisierenden Ganzfigur-Porträts bewundert. Hierzulande ist sein Ruhm – trotz einzelner Hauptwerke in großen Museen – nie so recht angekommen; das Interesse an der Selbstdarstellung der britischen Oberschicht scheint eher begrenzt.

 

Info

 

Thomas Gainsborough - Die moderne Landschaft

 

02.03.2018 - 27.05.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

donnerstags bis 21 Uhr

in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Hamburg

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen

 

Gainsborough glänzte aber auch in der Landschaftsmalerei. Dieses Genre war ihm lieber; darin konnte er sich anders als bei Porträtaufträgen seine Sujets aussuchen. Passenderweise widmet die Hamburger Kunsthalle seine erste große Werkschau in Deutschland den Landschaftsbildern. Genauer: ihrer Modernität – mit etlichen Neuerungen trieb Gainsborough den Aufschwung dieser Sparte in England weit voran.

 

Ungelenke Landhaus-Porträts

 

Nach der Bilderfeindlichkeit von Oliver Cromwells Puritanern war die englische Kunst Anfang des 18. Jahrhunderts noch rückständig und provinziell. Ihre Vertreter ahmten die niederländischen und italienischen Schulen nach, ohne deren handwerkliches Niveau zu erreichen. Zwar hatten sie ein eigenes Subgenre herausgebildet, die so genannten „Country House Portraits“ von Landsitzen und deren Ländereien, doch die fielen oft schematisch und etwas ungelenk aus.

Impressionen der Ausstellung


 

Gegenüberstellung mit fremden Vorbildern

 

Auch Gainsborough studierte eifrig ausländische Vorbilder, insbesondere holländische und flämische Meister. Dafür musste er gar nicht den Kontinent bereisen: Ihre Werke wurden in großer Zahl eingeführt und von Adligen oder begüterten Bürgern gesammelt. Anders als viele Kollegen kopierte er diese Importware nicht, sondern entwickelte daraus seine eigene Handschrift. Das zeigt die Schau sehr anschaulich, indem sie vielen der 40 gezeigten Gemälde samt ebenso vielen Grafiken fremde Vorläufer gegenüberstellt: Gainsboroughs Bildkonstruktionen waren ähnlich, doch in der Ausführung neuartig.

 

Beispielsweise im Vergleich zur Malerei eines Jacob van Ruisdael (1628/9-1682): Von ihm übernimmt Gainsborough die unspektakulären Motive, denen flache Diagonalen – als Weg, Wasserlauf oder Baumreihe – räumliche Tiefe verleihen. Darin fügt er kleine Staffage-Figuren mit alltäglichen Handlungen so ein, dass der Eindruck idyllischer Harmonie entsteht: Sie agieren im Einklang mit ihrer Umwelt.

 

„Feines Gefühl“ als Ziel

 

Anders als Ruisdael oder dessen Zeitgenossen benutzt Gainsborough jedoch eine dramatische Lichtregie: mit expressiv aufgetürmten Wolken und starken Kontrasten zwischen hellen und schattigen Zonen. Manche Details erhellt er wie mit Spots. Zugleich überzieht die meisten Leinwände ein goldener Schimmer, den er vom französischen Klassizisten Claude Lorrain (1600-1682) übernahm: Diese warme Beleuchtung sorgt ebenfalls für atmosphärische Ausgewogenheit.

 

„Mit Details hatte er nichts zu tun; sein Ziel war es, ein feines Gefühl zu vermitteln, und das hat er vollkommen erreicht“, notierte 1834 sein Bewunderer John Constable (1776-1837), Großbritanniens wichtigster Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert nach William Turner. Trotz aller Empfindsamkeit betrieb Gainsborough aber keine romantische Weltflucht, wie die Ausstellung betont: Auf seinen Gemälden treten die ökonomischen und sozialen Umbrüche der Epoche sichtbar hervor – wenn man hintergründige Zeichen zu lesen versteht.

 

Teich-Kette als Brauerei-Reservoir

 

Etwa auf einem der originellsten Bildern der Schau: „Hoywells Park“ von 1748/50. Unter einem wild bewegten Wolkenhimmel zieht sich eine Kette kleiner Teiche vom rechten an den linken Bildrand, von Bäumen gesäumt und vorn durch einen kleinen Buschwerk-Hügel begrenzt. Das anmutig glitzernde, vermeintliche Naturschauspiel ist tatsächlich ein Freiluft-Lagerraum zur Produktion: Die Teiche bilden das Wasserreservoir einer Brauerei.

 

Auch das Aushängeschild der Ausstellung, „Mr. und Mrs. Andrews“ von 1750, wirkt doppelsinnig. Das Prunkstück der Londoner National Gallery zeigt links ein frisch vermähltes Paar: Sie sitzt sittsam im blauen Kleid auf einer Parkbank, gegen die er sich lässig in Jägerkluft lehnt. Was den beiden ihre selbstzufriedene Seelenruhe verleiht, ist rechts zu sehen: Weizenfelder mit ordentlich gebundenen Garben, im Hintergrund eine Schafherde auf der abgezäunten Weide. Die Andrews sind Großgrundbesitzer, ihre Landwirtschaft floriert.

 

Prototyp eines Dia-Projektors

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "John Constable – Maler der Natur" – erste deutsche Werkschau des britischen Landschaftsmalers in der Staatsgalerie Stuttgart

 

und hier einen Bericht über den Film "Mr. Turner - Meister des Lichts" – brillantes Biopic über den britischen Proto-Impressionisten William Turner von Mike Leigh

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Claude Lorrain - Die verzauberte Landschaft" – opulente Retrospektive des bedeutendsten Landschaftsmalers des 17. Jahrhunderts im Städel Museum, Frankfurt.

 

Das andere Ende der Einkommens-Skala taucht gleichfalls auf: Familien, die in einfachen Waldhütten hausen, oder mit Sack und Pack durch die Lande ziehen. Es könnte sich um Armutsmigranten auf der Suche nach Arbeit handeln: Damals wurden viele Bauern enteignet, sie bildeten das künftige Industrieproletariat. Allerdings ergreift der Maler nicht Partei für sie, sondern stellt sie gemäß der Konventionen herkömmlicher Genrebilder dar.

 

Revolutionäre Impulse lebte Gainsborough eher auf technischem Gebiet aus. Er war enorm experimentierfreudig; manche seiner Zeichnungen gerieten fast abstrakt. Bei anderen versuchte er, durch geschickte Kombinationen den optischen Eindruck von Gemälden zu erzeugen. Er mischte Magermilch und Glassplitter in seine Farben oder baute im Atelier aus Gräsern, kleinen Zweigen und Scherben Modell-Szenarien für seine Landschaftsbilder auf. Er bemalte auch Glasscheiben und fertigte für sie einen Guckkasten an, bei dem sie von hinten beleuchtet wurden – quasi als Prototyp eines Dia-Projektors.

 

All das breitet die Ausstellung in drei Abteilungen aus, ausführlich und kundig kommentiert. Womit sie ein spannendes und abwechslungsreiches Œuvre zugänglich macht, dass südöstlich des Ärmelkanals bislang viel zu wenig beachtet worden ist.