Daniel Brühl

7 Tage in Entebbe

Wilfried Böse (Daniel Brühl) und Brigitte Kuhlmann (Rosamund Pike) bewachen das entführte Flugzeug. Foto: © 2018 eOne Germany
(Kinostart: 3.5.) Bomben ins Bewusstsein werfen: Das Terroristen-Geiseldrama 1976 war die spektakulärste Flugzeugentführung der Epoche. Regisseur José Padilha zeigt sie virtuos multiperspektivisch – und erklärt, warum Benjamin Netanjahu heute Israel regiert.

Wie man mit wenigen Leuten ein Flugzeug kidnappt: Einfach Feuerwaffen auseinanderschrauben und die Einzelteile im Handgepäck verstauen. So machen es Wilfried Böse (Daniel Brühl) und Brigitte Kuhlmann (Rosamund Pike) von den bundesdeutschen „Revolutionären Zellen“ mit ihren palästinensischen PLFP-Kampfgenossen. Beim Zwischenstopp in Athen steigen sie am 27. Juni 1976 in eine Linienmaschine der „Air France“ von Tel Aviv nach Paris. Wer das heutzutage versuchte, käme nicht weit.

 

Info

 

7 Tage in Entebbe

 

Regie: José Padilha,

107 Min., Großbritannien/ USA  2018;

mit: Daniel Brühl, Rosamund Pike, Lior Ashkenazi

 

Website zum Film

 

Mitte der 1970er Jahre waren die Sicherheitskontrollen offenbar noch lax – obwohl in den Vorjahren Aufsehen erregende Flugzeugentführungen durch Terroristen die Welt in Atem gehalten hatten. Jedenfalls hat das Quartett leichtes Spiel. Kaum in der Luft, übernimmt es das Kommando und dirigiert die Maschine ins libysche Bengasi um. Dort wird aufgetankt und eine vermeintlich Schwangere freigelassen. Danach fliegen die zwölfköpfige Besatzung und 258 Passagieren an Bord weiter nach Entebbe in Uganda. Also ins Schattenreich des erratischen und blutrünstigen Diktators Idi Amin.

 

Vom Tyrannen persönlich begrüßt

 

Der lässt es sich nicht nehmen, die unerwarteten Gäste am Flughafen persönlich zu begrüßen. Ob er in die Pläne der Kidnapper eingeweiht war oder nur spontan reagierte, ist bis heute umstritten; dass er plötzlich im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stand, dürfte der bullige Narziss jedoch genossen haben. Die Geiseln werden im alten, still gelegten Terminal zusammengepfercht; trotz tropischer Hitze versorgt man sie nur notdürftig mit Essen und Wasser.

Offizieller Filmtrailer


 

Deutsche selektieren Juden

 

Nun beginnt ein tagelanger Nervenkrieg: Die Terroristen verlangen die Freilassung von 53 Häftlingen in Europa und Israel. Unter den Geiseln sondern sie israelische Staatsbürger und Personen aus, die sie für jüdisch halten; alle übrigen Passagiere werden freigelassen. Dass solche ‚Selektion‘ von Juden durch Deutsche an mörderische Praktiken vor 1945 erinnert, fällt auch Böse und Kuhlmann auf.

 

Für die Regierung in Jerusalem gibt es den Ausschlag zum Handeln. Tagelang haben Premierminister Yitzchak Rabin (Lior Ashkenazi) und Verteidigungs-Minister Shimon Peres (Eddie Marsan) gestritten, ob sie militärisch eingreifen sollen. Rabin neigt zu Verhandlungen, Peres lehnt das strikt ab. Schließlich gibt Rabin nach: Peres schickt eine Eliteeinheit unter dem Kommando von Jonathan Netanjahu los, der beim Einsatz getötet wird. Als einziger israelischer Uniformierter; überdies sterben 20 ugandische Soldaten und alle Terroristen. Die erfolgreiche Befreiungsaktion beschert Israel internationalen Beifall.

 

Spin-off von „Carlos – Der Schakal“

 

Das spektakuläre Geiseldrama ist schon mehrfach für Kino und TV verfilmt worden. Dennoch lohnt diese Version von Regisseur José Padilha, der 2008 mit „Tropa de Elite“ über den schmutzigen Drogenkrieg in Brasilien den Goldenen Bären gewann. Er zeigt die Entebbe-Affäre schnörkellos naturalistisch. Diese Machart erinnert an „Carlos – Der Schakal“ von 2010: In seinem famosen fünfstündigen Epos porträtierte Regisseur Olivier Assayas den venezolanischen Top-Terroristen, der 1975 im Auftrag der PFLP das OPEC-Hauptquartier in Wien überfiel. Weil er sich dabei mit PFLP-Führer Wadi Haddad überwarf, beauftragte jener Böse und Kuhlmann, die Air-France-Maschine zu entführen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Norman" – feinsinnige Hochstapler-Sittenkomödie von Joseph Cedar mit Lior Ashkenazi + Richard Gere

 

und hier eine Besprechung des Films "In the Darkroom" – fesselnde Doku über die Ex-Ehefrau des Terroristen Carlos von Nadav Schirman

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Wochenende" – subtiles Kammerspiel über ein Ex-RAF-Mitglied heute von Nina Grosse

 

und hier einen Beitrag über den Film "Bethlehem" – brillanter Spionage-Thriller im Nahostkonflikt von Yuval Adler.

 

Padilhas Variante unterscheidet sich wohltuend von anderen Terrorismus-Filmen durch seinen multiperspektivischen Ansatz. Die Attentäter bewegen sich nicht nur in ihrer Sekten-Blase aus ideologischem Größenwahn; sie reiben sich an der Wirklichkeit auf. Zumindest Böse, der zuvor für einen linken Buchverlag arbeitete: Seinen Hang zu wohlklingenden Phrasen ohne Rücksicht auf Realisierbarkeit lässt Daniel Brühl stets durchscheinen – und seine aufkeimenden Zweifel. Er wolle „Bomben ins Bewusstsein der Menschen werfen“, sagt er. Das reiche nicht, um echte Bomben zu zünden, entgegnet ein palästinensischer Mitstreiter kühl.

 

Grandioser Tanz-Kommentar

 

Auf der Gegenseite ficht der famose Lior Ashkenazi, der schon 2016 in der Tragikomödie „Norman“ als israelischer Ministerpräsident glänzte, mit dem schlitzohrigen Eddie Marsan einen Grundsatzstreit aus, der Israels Politik bis heute bestimmt: Kompromisse eingehen oder dreinschlagen? Und wenn die Tsahal-Armee ihre Feuerkraft rücksichtslos ausnutzt – mutiert sie dadurch nicht zum Ebenbild ihrer Feinde? Den Konflikt zwischen Tauben und Falken spielen weitere Nebenfiguren durch, etwa ein französischer Flugingenieur und ein Tsahal-Soldat.

 

Dessen Schwester tanzt in der berühmten „Bathseva Dance Company“. Ihren Auftritt in einer Choreographie von Ohad Naharin schneidet der Regisseur mehrfach zwischen die Kidnapping-Szenen: ein grandioser wortloser Kommentar zum Geschehen. Nicht nur dieses Stück wird immer noch aufgeführt: Der Heldentod von Oberstleutnant Netanjahu bewog seinen Bruder, in die Politik zu gehen. Benjamin Netanjahu war 1996/99 und ist seit 2009 wieder Regierungschef des jüdischen Staates.