
Mit Superlativen anfangen und dann langsam steigern: Diese alte Maxime der Werbebranche reizt die Schirn Kunsthalle für ihre aktuelle Ausstellung voll aus. „Jean-Michel Basquiat zählt zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts“, heißt es zum Auftakt. Er steht also in einer Reihe mit Kirchner, Picasso, Dalì, Pollock, Andy Warhol, Joseph Beuys e tutti quanti – mindestens, wenn nicht über ihnen. Falls Sie noch nie von ihm gehört haben: Ihr Problem! Dann leisten Sie Abbitte und nähern sich seinem Werk entsprechend ehrfürchtig.
Info
Basquiat: Boom for Real
16.02.2018 - 27.05.2018
täglich außer montags
10 bis 19 Uhr, mittwochs
+ donnerstags bis 22 Uhr
in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, Frankfurt am Main
Katalog 35 €
Erste Bilder als Film-Requisiten
Durch Graffiti-Sprüche unter dem Pseudonym „SAMO“ machte er gezielt die Kunstszene auf sich aufmerksam. 1980 hatte er seinen ersten großen Auftritt: Im Low-Budget-Spielfilm „New York Beat“, später „Downtown 81“ betitelt, übernahm er die Hauptrolle des armen Künstlers – also quasi seines Wunsch-Selbst. Dafür malte er seine ersten Bilder als Requisiten. 1981 wurden seine Beiträge zur Mammutschau „New York/ New Wave“ unter 1600 Exponaten prominent platziert.
Feature über die Ausstellung; © Schirn Kunsthalle
100 Millionen Dollar für Club-27-Mitglied
1982 sprach er Andy Warhol in einem Lokal an und verhökerte ihm für einen Dollar eine selbst gemachte Postkarte: der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Bald waren beide unzertrennlich; Warhol öffnete ihm die Türen zu Großgaleristen und -sammlern. Basquiat ließ sich schrankenlos vermarkten. In wenigen Jahren fertigte er mehr als 1000 Gemälde und Objekte sowie 2000 Zeichnungen an; oft wurden sie verkauft, bevor sie fertig waren. Als Warhol 1987 starb, traf ihn das schwer; im August 1988 nahm er eine Überdosis.
Damit trat Basquiat dem so genannten „Club 27“ von Idolen der Pop-Kultur bei, die mit 27 Jahren verblichen; wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Kurt Cobain und Amy Winehouse. Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben: Der Mythos vom Frühvollendeten jagte Basquiats Marktwert in astronomische Höhen. 2008 versteigerte Christie’s sein „Untitled (Boxer)“ für 13,5 Millionen US-Dollar; 2016 wurden für ein Selbstporträt schon 57,3 Millionen kassiert. Im Mai 2017 schlug Sotheby’s ein Gemälde von ihm für 110,5 Millionen zu – erstmals brachte ein nach 1980 entstandenes Werk einen dreistelligen Millionenbetrag ein.
Alibi-Neger des Kunstbetriebs
Solche Fabelsummen faszinieren – vor allem Parvenüs, die wenig von Kunst verstehen. Wie konnte es soweit kommen? Der Schulabbrecher war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und traf die richtigen Leute. Ende der 1970er Jahre hatten Minimalisten wie Carl Andre und Donald Judd sowie Aktions- und Konzeptkünstler wie Allan Kaprow und Joseph Beuys den Kunstbegriff erfolgreich entgrenzt. Derweil verlangte das schnelle Geld der Reagonomics-Ära nach plakativen Zeitgeist-Bildern: Die lieferten „Neoexpressionisten“ wie Julian Schnabel, der Basquiat 1996 ein anrührendes Biopic gewidmet hat, die „Transavanguardia“ um Francesco Clemente oder die westdeutschen „Neuen Wilden“.
Dabei wurde deutlich, dass die Nachkriegs-Moderne ein Auslaufmodell war: ein System, in dem ein enger Zirkel alter weißer Männer als Museumsdirektoren und Galeristen festgelegt hatte, was bedeutende zeitgenössische Kunst sei – die junge weiße Männer in wenigen Metropolen produzierten. Frauen und ethnische Minderheiten drängten nach vorn. Unter Pop-Bands wurde es Mode, einen schwarzen Musiker zu rekrutieren; man sprach spöttisch vom „Alibi-Neger“. Jean-Michel Basquiat wurde zum Alibi-Neger des Kunstbetriebs.
Material-Skizzen eines Malerei-Messies
Das war ihm bewusst, und er nahm diese Rolle bereitwillig an. Damalige Bekannte berichten übereinstimmend, dass er ständig an seinem Look feilte und sorgsam auf sein Image als exotisches Wunderkind bedacht war. Zugleich begriff er visionär, dass im heraufziehenden Informations-Überfluss sich kaum jemand mehr intensiv in Kunstwerke vertiefen werde. Gefragt waren grelle Hingucker, die sich rasch konsumieren ließen – aber zugleich mit einer Fülle verschiedener Reize inhaltliche Tiefe suggerierten. Sozusagen Pop-Art 2.0: Basquiat produzierte sie en gros.
Indem er alles auf den Bildgrund warf, was ihm durch die Rübe rauschte: Symbole, Namen und Begriffe, manisch aufgelistet oder wild durcheinander gewürfelt. „Stop making sense“, sang die New-Wave-Band „Talking Heads“, postmoderne Philosophen wie Jean Baudrillard raunten vom „Aufstand der Zeichen“, und Basquiat machte Ernst damit. Seine ‚Bilder‘ sehen aus wie flüchtige Material-Skizzen eines Malerei-Messies; ihnen fehlt meist jeder kompositorische Zusammenhang.
Fließbandproduktion zur Profitmaximierung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Keith Haring - Gegen den Strich" – umfassende Retrospektive des Graffiti-Künstlers in der Hypo-Kunsthalle, München
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Yes!Yes!Yes! Warholmania in Munich" – große Werkschau von Andy Warhol im Museum Brandhorst, München
und hier einen Beitrag über den Film "Julian Schnabel - A Private Portrait" – temporeiche Doku über den Maler und Basquiat-Biographen von Pappi Corsicato
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Francesco Clemente: Palimpsest" – Werkschau des Transavanguardia-Künstlers in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt
und hier eine Rezension der Doku "Blank City" über die Kunst- + Musik-Szene in New York um 1980 von Céline Danhier.
Wem das nützt, lässt sich an den Leihgebern dieser Schau ablesen: prominenten Sammlern und Kunsthändlern wie Thaddeus Ropac und Bruno Bischofberger. Der Schweizer Galerist vertrat Warhol und Clemente; er brachte sie dazu, gemeinsam mit Basquiat zu malen. Dabei sollen wie im Rausch Hunderte von Arbeiten entstanden sein; Fließbandproduktion zur Profitmaximierung. Und die Schirn spielt mit: Jede Ausstellung in einer renommierten Institution treibt das Preisniveau höher, lautet ein ehernes Gesetz des Kunstgeschäfts.
Kreuzung aus Katakomben + Mausoleum
Das Spektakel der Extraklasse beginnt schon am Eingang. Alle Schließfächer sind gesperrt; an der Garderobe muss jede noch so kleine Tasche abgegeben werden, damit sie bloß nicht die rund 100 immens hoch versicherten Meisterwerke beschädigt. Die könnten kaum feierlicher inszeniert werden: an dunkel anthrazitfarbenen oder blendend weißen Wänden, von Punktstrahlern erleuchtet und mit ellenlangen Erklärtexten garniert. Eine Kreuzung aus Katakomben und Mausoleum als angemessener Rahmen für einen „der bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts“.
Womöglich ist er das sogar: nicht durch seine Werke, sondern durch seine historische Stellung. Mit ihm ließ ein Segment des Kunstbetriebs erstmals jeden inhaltlichen Anspruch fallen. Offenkundig belangloses Gekritzel wurde geltungssüchtigen Neureichen als state of the art aufgeschwatzt; mit anhaltendem Erfolg. Erst in dieser Zusammenschau von rund 100 Arbeiten wird richtig deutlich, wie beliebig und willkürlich Basquiat das Meiste hingepfuscht hat; zumindest das ist ein Verdienst dieser ersten Werkschau in Deutschland seit mehr als 30 Jahren.
Kunsthalle von Mainhattan
Man könnte dieses Phänomen für ein frivoles Langzeit-Experiment neodadaistischer Konzeptkünstler halten, würden damit nicht riesige Vermögen umverteilt. Darüber sollte die Schirn besser eine Ausstellung machen: Welcher Akteur hat mit welchem Schachzug Basquiats Kurswert gesteigert? Doch die Kunsthalle spielt das Spiel lieber mit – das passt im Mainhattan der Broker und Zocker.