Kaum zu glauben: Diese Schau mit rund 100 Werken aus 700 Jahren sei die erste, die ausschließlich der Schwarz-Weiß-Malerei gewidmet ist, versichern die Londoner National Gallery und das Museum Kunstpalast als Veranstalter. Obwohl doch jeder Ausstellungssaal mit monochromen Gemälden deren Attraktivität demonstriert: Ringsum überbieten sich andere Leinwände mit Farbschlachten in allen Varianten, eine bunter als die andere – aber vor Bildern Ton in Ton halten die Betrachter inne. Ihre Farben-Reduktion zieht sie in den Bann.
Info
Black & White - Von Dürer bis Eliasson
22.03.2018 - 15.07.2018
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf
Katalog 39,90 €
Schwarz-Weiß für grauen Alltag
Ebenso die so genannte Steinmalerei von Heiligen-Skulpturen auf den Außenflügeln geschlossener Altäre: Sie diente als Kontrastmittel zur bunten Pracht im Inneren, wenn die Altäre an Feiertagen geöffnet wurden. Schwarz-Weiß-Figuren symbolisierten also grauen Alltag. Oder die profane Vorgeschichte der Heilserzählung, die im Rahmen oder Fuß eines Altarbildes von farblosen Gestalten aufgeführt wurde.
Feature über die Ausstellung; © Museum Kunstpalast
Steinmalerei im Paragone-Streit
Bald wurden solche Ansichten auch auf mehr oder weniger weltliche Motive übertragen. Damit konnten Künstler die Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemente lenken und ihre Virtuosität vorführen. Als frühestes Beispiel für ein so genanntes Grisaille-Tafelbild gilt Jan van Eycks „Hl. Barbara“ von 1437, das nur bei der ersten Station in der National Gallery gezeigt wurde; hinter der Heiligen erhebt sich ein mächtiger gotischer Turm. Dafür hat der Maler mit Silberstift feinste Linien und Schraffuren angelegt; mit Tusche und Ölfarbe setzte er dezent farbige Akzente.
Wenig später entstand in der italienischen Renaissance der Paragone-Streit um die Rangfolge der Künste: Ist die Malerei der Bildhauerei überlegen oder umgekehrt? In dieser Debatte bedienten sich Künstler oft der Steinmalerei, um vorzuführen, wie Bilder die Eigenschaften von Skulpturen aufweisen und zugleich übertreffen können.
Goltzius erfindet Federmalerei
Ein herausragendes Beispiel ist die „Einführung des Kultes der Kybele in Rom“ (1505/6) von Andrea Mantegna; er starb kurz nach Vollendung. Auf dem fast drei Meter langen Tempera-Gemälde sind 18 Personen in teils lebhafter Bewegung aufgereiht; die Illusion eines antiken Reliefs erscheint fast perfekt. Den Hintergrund gestaltete Mantegna wie Buntmarmor; für eine solche Kombination verschiedener Gesteine ist jedoch kein antiker Beleg überliefert.
Ein ähnlich eindrucksvolles Kabinettstück monochromer Malerei erfand Hendrick Goltzius, Schöpfer detailreicher Kupferstiche. Beim mehr als zwei Meter hohen Bild „Ohne Bacchus und Ceres erfriert Venus“ (1606) hielt er das Götter-Trio nur mit brauner Tinte und roter Kreide in penibler Linienführung auf der Leinwand fest. Er nannte diese Mischform aus Zeichnung, Stich und Gemälde „Federmalerei“ – sie war indes so zeitaufwändig, dass Goltzius kaum Nachfolger gefunden hat.
Hans Op de Beeck über seine Installation "The Collector's House"; © IKS Medienarchiv
Zersplitterte Glasplatte mitgemalt
Dagegen wurden monochrome Ölskizzen im Barock sehr populär: Allein von Peter Paul Rubens sind rund 450 solcher Arbeiten erhalten. Oft dienten sie als Vorstudien für großformatige Gemälde; wegen ihrer schwungvoll abstrahierenden Darstellung wurden sie zunehmend auch als Kunstwerke sui generis geschätzt. Zudem waren Schwarz-Weiß-Drucke als günstige Kopien berühmter Bilder für weite Kreise erschwinglich; sie fanden weite Verbreitung.
Zu dieser Zirkulation von Motiven inszenierte Étienne Moulinneuf um 1770 ein raffiniertes Spiel. Das Original-Gemälde „Zurück vom Markt“ schuf Jean-Siméon Chardin 1739: Eine Magd legt eingekaufte Lebensmittel in der Küche ab. Dieses Motiv übernahm drei Jahre später Bernard Lépicié seitenverkehrt für seinen gleichnamigen Kupferstich. Den malte Moulinneuf wiederum in Öl ab; samt einer scheinbar zersplitterten Deckplatte aus bläulichem Glas. Als meisterhaften Trompe-l´œil-Effekt; man bemerkt die Täuschung nur bei genauem Hinsehen.
Ausstellungs-Titel mit + ohne Malerei
Durch das Aufkommen der Fotografie entstand der Malerei einerseits Konkurrenz, andererseits ein neues Hilfsmittel. Ende des 19. Jahrhunderts näherten sich beide Disziplinen an: Salon-Maler strebten nach fotorealistischer Präzision, während die Piktorialisten mit ihren Kameras möglichst malerische Aufnahmen machen wollten. Für zeitgenössische Künstler wie Gerhard Richter sind Fotos eine von vielen denkbaren Inspirationsquellen. Als er in den 1960er Jahren Illustrierten-Bilder abmalte, verwischte er bewusst die Konturen: um scheinbar banale Motive zu verfremden und damit ihre symbolische Bedeutung zu steigern.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hans Op de Beeck: The Silent Castle + Out of the Ordinary" - zwei Retrospektiven mit vielen monochromen Werken des belgischen Künstlers in Leverkusen + Wolfsburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Olafur Eliasson: Werke aus der Sammlung Boros 1994–2015" - Werkschau des isländischen Op-Art-Künstlers in der Langen Foundation, Neuss
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "ZERO – Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre" mit zahlreichen mono- und achromen Werken im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Artikel über die Ausstellung "Die Graue Passion in ihrer Zeit" über den Altar von Hans Holbein d.Ä. und frühneuzeitliche Grisaille-Malerei in der Staatsgalerie Stuttgart
und hier ein Bericht über die Ausstellung "Gerhard Richter: Bilder einer Epoche" - gelungene Retrospektive des monochromen Frühwerks im Bucerius Kunstforum, Hamburg.
Verzicht + Zwang wird vermengt
In der bildenden Kunst war und ist die Beschränkung auf Schwarz-Weiß oder Monochromie ein bewusster Verzicht, der die Wahrnehmung des Dargestellten verändert. In Fotografie und Film war Schwarz-Weiß lange allein technisch bedingt; Macher und Zuschauer hatten keine Wahl. Beide Sparten miteinander zu vergleichen, fördert wenig Erhellendes zutage.
Daher franst diese Präsentation beim Blick auf die Moderne ins Beliebige aus. Etwa mit Klassikern neusachlicher Fotografie wie den Pflanzen-Porträts von Karl Blossfeldt oder 120 Selbstporträts von Katharina Sieverding; man könnte auch jede andere Fotoserie aus den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts aufbieten.
Als Paradiesvogel im Einheitsgrau
Ebenso wenig überzeugt die Gemälde-Auswahl: Abstrakten Expressionisten wie Jackson Pollock und Cy Twombly, Informellen wie Karl Otto Götz oder Op-Art-Künstlern wie der ZERO-Gruppe um Heinz Mack ging es um formale Verfahren und Phänomene – gleichviel ob in Farbe oder Schwarz-Weiß. Wie sehr dessen Bedeutung vom jeweiligen Kontext abhängt, zeigen zum Abschluss zwei Rauminstallationen.
Den „Room for one Colour“ taucht Olafur Eliasson in grellgelbes Licht: Dadurch werden alle anderen Farben überdeckt. Sie erscheinen als gräulich mit gelber Firnis; Besucher erleben sich als optisch ausgemergelt. Nebenan in „The Collector’s House“ von Hans Op de Beeck verhält es sich genau umgekehrt: Er hat einen üppig ausgestatteten Salon samt Staffage-Figuren in stumpfem Einheitsgrau gestrichen. Wer hier eintritt, ist der einzige Farbtupfer in einer reiz- und farblosen Welt; da wird jeder zum Paradiesvogel.