Tom Volf

Maria by Callas

Maria Callas auf einer privaten Super-Acht-Aufnahme. Foto: © 2018 PROKINO Filmverleih GmbH
(Kinostart: 17.5.) Diva-Kosmos aus der Innenansicht: 40 Jahre nach dem Tod der weltberühmten Opernsängerin schildert Regisseur Volt ihr Leben in ihren eigenen Worten. Ein Augen- und Ohrenschmaus für Fans – doch der damalige Kontext bleibt in dieser Doku außen vor.

Ihr Name dürfte Millionen Menschen ein Begriff sein, die noch nie ein Opernhaus betreten haben: Maria Callas (1923-1977) ist die berühmteste Opernsängerin der Welt. Selbst diejenigen, denen klassische Musik wenig bedeutet, kamen in den 1960/70er Jahren kaum an ihr vorbei: Neues über ihre langjährige On-Off-Beziehung mit dem griechischen Reeder und Milliardär Aristoteles Onassis (1906-1975), der seit 1968 mit Jackie Kennedy verheiratet war, füllte die Schlagzeilen der Klatschblätter.

 

Info

 

Maria by Callas

 

Regie: Tom Volf,

113 Min., Frankreich 2017;

mit: Maria Callas, Aristoteles Onassis, Elvira de Hidalgo

 

Website zum Film

 

Auch 40 Jahre nach ihrem frühen Tod durch eine Lungenembolie hat die Callas noch zahllose Fans: Eine Remastered-Version ihrer berühmtesten Live-Mitschnitte kam 2017 in die deutschen Charts. Zu ihren posthumen Anhängern zählt der Franzose Tom Volf: Als 28-Jähriger stieß er nach einem Opernbesuch bei Youtube auf den Videoclip eines Callas-Auftritts, war hingerissen – und verbrachte die nächsten fünf Jahre damit, möglichst viel Material über sie zusammenzutragen.

 

Drei Bücher, eine Schau + ein Film

 

Seiner Sammelleidenschaft frönt Volf vor aller Augen: Er hat drei Bücher mit Briefen und anderen Selbstzeugnissen der Diva veröffentlicht, über sie eine Ausstellung in Paris ausgerichtet und nun einen Dokumentarfilm zusammengestellt. Der beleuchtet das Phänomen Callas allein mit historischen Archiv-Aufnahmen und – abgesehen von wenigen Bemerkungen ihrer spanischen Gesangslehrerin Elvira de Hidalgo (1888-1980) – ihren eigenen Worten: öffentlichen Statements und Zitaten aus Briefen.

Offizieller Filmtrailer


 

Schwarzweiß-Aufnahmen nachkoloriert

 

Das ist für Callas-Fans ein Augen- und Ohrenschmaus. Zwar sind viele der Opern, die zwischen 1950 und 1964 für die EMI eingespielt wurden, inzwischen in nachbearbeiteten Fassungen mit wesentlich besserem Klang verfügbar. Aber diese Doku liefert dazu Original-Bilder: etwa zur Arie „Casta Diva“ aus Bellinis „Norma“ 1958 in Paris oder zu „L’amour est un oiseau rebelle“ aus Bizets „Carmen“ 1962 in London. Beide Filmaufnahmen waren ursprünglich schwarzweiß; Regisseur Volf ließ sie aufwändig nachkolorieren.

 

Insgesamt bietet er zehn Arien in voller Länge – und lässt Nachgeborene verstehen, warum das Publikum von ihrer Ausdrucksstärke so begeistert war. Groß, schlank, mit femininen Kurven und stark geschminkt, hatte die Callas rein gar nichts vom geläufigen Klischee der Opernsängerin als Matrone. Ihr Spiel war elegant geschmeidig und voller Grazie, ihre Mimik expressiv, aber nie übertrieben melodramatisch; das wirkte fesselnd bis in die letzten Parkettreihen.

 

Diva-Kosmos ohne Kontext

 

Quicklebendig gab sie sich ebenso bei freimütigen Interviews vor laufenden Kameras. Insbesondere bei einem langen TV-Gespräch, das sie 1970 mit dem britischen Starjournalisten David Frost führte; es hält diesen Bilderbogen gleichsam als roten Faden zusammen. Darin lässt die gebürtige New Yorkerin griechischer Abstammung kein Thema aus: von ihrer entbehrungsreichen Kindheit aus Gesangsstunden und -übungen bis zum Rückzug von der Bühne 1965 oder ihrer epischen Amour Fou mit dem wankelmütigen Onassis.

 

So erhält man Einblick in den Kosmos einer Diva aus der Innenansicht. Der Preis dafür ist: keinerlei Kontext. Was die Eigenart ihrer Gesangstechnik und die Einzigartigkeit ihrer Stimme ausmachte; wie es ihr erging, als sie mit 15 Jahren nach Griechenland auswanderte, wo sie den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Besatzung erlebte; wie sie in die USA zurückkehrte und dort rasch zur Primadonna aufstieg – all das bleibt offen.

 

Pasolini drehte mit Callas „Medea“-Film

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bolschoi Babylon" – Doku über Wirren und Korruption an Russlands bedeutendstem Opernhaus von Nick Read

 

und hier eine Besprechung des Films "Florence Foster Jenkins" – schön schräges Biopic über die schlechteste Opersängerin der Welt von Stephen Frears

 

und hier einen Bericht über den Film "Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne" – Komödie über eine Möchtegern-Operndiva von Xavier Giannoli

 

und hier einen Beitrag über den Film "Lilien im Winter – La Bohème am Kap" – eindrucksvolle Verfilmung von Puccinis Opern-Klassiker in südafrikanischen Townships von Mark Dornford-May.

 

Die Archivbilder suggerieren endloses Eilen von Triumph zu Triumph, das bald monoton erscheint: Landung auf dem Flughafen, Blumen für die Diva und Autogramme für Fans, Premierenbesucher strömen ins Foyer, Callas badet auf der Bühne in Applaus – Schnitt und nächster Auftritt. Entscheidendes bleibt ungesagt: Ihr Aufstieg verlief parallel zum Siegeszug der Langspielplatte. Erstmals konnten nicht nur betuchte Metropolenbewohner, sondern Hunderttausende von Opernfans gefeierte Stimmen in guter Klangqualität hören.

 

Markante Einschnitte werden nur angetippt. 1958 feuerte Rudolf Bing, Direktor der Metropolitan Opera, sie wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen – natürlich zu Unrecht, meinte Callas. Doch fortan wurden ihr launische Allüren nachgesagt. Elf Jahre später engagierte Regisseur Pier Paolo Pasolini sie für die Hauptrolle seines „Medea“-Films. Daran erinnert sein Kollege Volf mit körnigen Making-Of-Aufnahmen – warum der italienische Avantgardist auf die Sängerin verfiel und wie die Dreharbeiten verliefen, bleibt außen vor.

 

Fanveranstaltung in Gegenwelt

 

Diese Doku ist eben eine reine Fanveranstaltung und will nichts anderes sein. Das passt zur klassischen Oper, die sich oft zur Gegenwelt stilisiert, nach perfekter Schönheit strebt und mit schnödem Alltag nichts zu tun haben will. Dadurch hat sie in den letzten 15 Jahren eine strahlende Renaissance erlebt: mitreißender Gesang über große Gefühle als sentimentaler Ausgleich für den lautlosen Terror der Digitalökonomie. Aber auch entrückte Opernstars haben eine Geschichte in der Realgeschichte; darüber würde man gern mehr erfahren.