Laura Bispuri

Meine Tochter – Figlia Mia

Vittoria (Sara Casu) mit ihren beiden Müttern Angelica (Alba Rohrwacher) und Tina (Valeria Golino). Foto: Real Fiction Filmverleih
(Kinostart: 31.5.) Zwischen Glucke und Schlampe: Die zehnjährige Vittoria hat plötzlich zwei Mütter. Das Familiendrama von Regisseurin Laura Bispuri spiegelt eine unverstellte Lebensrealität wider – so wild und rau wie die Landschaft Sardiniens.

Von Müttern wird wie selbstverständlich erwartet, dass sie sich stets richtig und selbstlos verhalten. Ganz anders als bei Vätern, deren Abwesenheit oder Desinteresse an ihren Nachkommen oft achselzuckend als unabänderlich hingenommen wird, gelten für Mütter unausgesprochene Regeln, auf die sich die verschiedensten Kulturkreise einigen können. Im katholischen Italien gilt die Institution la mamma als besonders unantastbar. Mit einer vermeintlich schlechten Mutter hat die Gesellschaft wenig Sympathie.

 

Info

 

Meine Tochter –
Figlia Mia

 

Regie: Laura Bispuri,

98 Min., Deutschland/ Italien/ Schweiz 2018;

mit: Valeria Golino, Alba Rohrwacher, Sara Casu, Udo Kier

 

Weitere Informationen

 

Mit diesem sensiblen, von vielerlei Vorurteilen geprägten Thema spielt die italienische Regisseurin Laura Bispuri in ihrem Drama „Meine Tochter“ ganz unverkrampft und provokant. Dabei schont sie ihr Publikum nicht. Gibt es doch eigentlich unausgesprochene Regeln, was man Kindern in Filmen zumuten darf: Minderjährige mit Sex, Alkoholmissbrauch oder Verwahrlosung zu konfrontieren, gilt bis heute als gewagt. Genau davor schreckt die Regisseurin in ihrem ungeschönten Film jedoch nicht zurück; sie mutet ihrer zehnjährigen Protagonistin einiges zu.

 

Spiegelbild des eigenen Ichs

 

Vittoria (Sara Casu) wächst behütet in einfachen Verhältnissen auf der Insel Sardinien auf. Ihre Mutter Tina (Valeria Golino) ist eine echte Glucke, die das Mädchen umsorgt, verwöhnt und ein wenig zu sehr bewacht. Die enge Bindung zwischen Mutter und Tochter verändert sich schlagartig, als Vittoria auf einem Rummelplatz plötzlich ihrem erwachsenen Spiegelbild gegenübersteht. Die fremde Frau ist zwar stark betrunken und lässt sich gerade von einem fetten Mann betatschen – doch Vittoria hat etwas von sich selbst gesehen und kann diese Erkenntnis nicht vergessen.

Offizieller Filmtrailer


 

Zerbrechliche Beziehung zur leiblichen Mutter

 

Das schüchterne und folgsame Mädchen ahnt, dass ihre bisher so geordnete Welt auf einer Lüge fußt. Sie hinterfragt plötzlich ihre Herkunft und wird aufmüpfig. Die fremde Frau vom Rummel heißt Angelica (Alba Rohrwacher); sie stellt sich als leibliche Mutter von Vittoria heraus. Angelica ist alkoholkrank und meistert ihr Leben mehr schlecht als recht. Tina kümmert sich so gut sie kann um die junge, ungezügelte Frau, die allein mit ihren Tieren auf einem verwahrlosten Hof haust.

 

Quasi als Gegenleistung hat Angelica ihr in aller Heimlichkeit die ungewollte Tochter überlassen. Eine Vereinbarung, die beide Frauen lieber verdrängen; erst Vittoria stellt diese stillschweigende Abmachung infrage. Gegen Tinas Willen entsteht eine fragile Beziehung zwischen Vittoria und Angelica: Die launische junge Frau nutzt das Kind mal als Druckmittel, mal als Spielgefährtin und spürt – anfangs noch gegen ihren Willen – längst verloren geglaubte Gefühle.

 

Schonungslos auf verfahrene Lage blicken

 

Tina bangt ihrerseits um Vittorias Liebe: In einer der drastischsten Szenen des Filmes lässt sie Vittoria zusehen, wie Angelica sich für den Preis von einem Schnaps an einen Freier verkauft. Doch je mehr Tina interveniert, desto mehr verliert sie Vittoria, die umso vehementer auf eine Tochter-Mutter-Beziehung zu Angelica pocht. Die Situation spitzt sich immer weiter zu; das Mädchen gerät zwischen die Fronten und droht am Egoismus der beiden Frauen zu zerbrechen. Wird Vittoria die Verliererin zwischen ihren beiden Müttern sein?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Julieta" – ergreifendes Melodram über die Suche einer Mutter nach ihrer Tochter von Pedro Almodóvar

 

und hier eine Besprechung des Films "Missverstanden – Incompresa" – Künstlerfamilien-Drama eines vernachlässigten Mädchens in Rom von Asia Argento mit Charlotte Gainsbourg

 

und hier einen Bericht über den Film "Jackie – wer braucht schon eine Mutter" – warmherziges Roadmovie über die Suche nach leiblicher Mutter von Antoinette Beumer.

 

Regisseurin Bispuri spart nicht an eindrücklichen Bildern: Ihr Film wirkt unsentimental und schonungslos, der Blick auf die Protagonistinnen ist ungeschminkt. Zwar sind Angelica und Tina stark überzeichnete Figuren, doch sie funktionieren innerhalb der Dramaturgie als Beispiele für gegensätzliche Spielarten von mütterlicher Energie tadellos.

 

Tochter gibt Richtung vor

 

Die Landschaft Sardiniens fungiert als weitere Hauptdarstellerin: Wild und rau spiegelt sie eine ursprüngliche und unverstellte Lebensrealität wider. Nichts an „Meine Tochter“ ist lieblich oder mild. Die direkte Machart äußert sich auch in den Dialogen und Gleichnissen aus der Tierwelt, die Regisseurin Bispuri häufig zitiert. Die läufige Hündin muss da genauso herhalten wie der rastlose Aal: Er laicht in fernen Gewässern, verlässt die Brut, und dem Nachwuchs obliegt es ganz alleine, den Weg „nach Hause“ zu finden.

 

Zwar durchlaufen auch die beiden Mütter eine Entwicklung, doch vor allem erzählt der Film eine „Coming of Age“Geschichte. Dem Mädchen Vittoria gilt dann auch die letzte Einstellung: Selbstbewusst geht das Kind voran und gibt die Richtung vor, der die beiden Erwachsenen folgen.