Berlin

Die Schönheit der großen Stadt: Berliner Bilder von Gaertner bis Fetting

Rainer Fetting: Potsdamer Platz, 1993/95, Öl auf Leinwand, 200 cm x 300 cm, © Rainer Fetting, Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Oliver Ziebe. Fotoquelle: Stadtmuseum Berlin
Von der grünen Wiese bis zur Baustelle Potsdamer Platz: Das Ephraim-Palais zeigt Berliner Ansichten aus 150 Jahren Metropolen-Malerei. Dem abwechslungsreichen Stadtrundgang durch Gemälde und Grafik würden etwas mehr Trennschärfe und Gegenwartsbezug gut tun.

Berlin kann so wunderbar hässlich sein. Aber schön? Das ist eine Eigenschaft, die man eher anderen Großstädten andichtet. Vielleicht Paris, Amsterdam oder Rom. Die graue Spree-Metropole überzeugt dagegen mit Sprödigkeit, rauem Charme und gepflegter Ungepflegtheit. Doch ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt entdeckte der Schriftsteller und Architekt August Endell Eigenschaften, die ihn dazu bewogen, „Die Schönheit der großen Stadt“ zu bejubeln. Was er in seiner 1908 veröffentlichten Schrift dem Publikum als Wahrnehmungs- und Flanierphänomen empfahl, hat das Berliner Stadtmuseum jetzt als Leitfaden genommen, um 150 Jahre Großstadtmalerei neu zu sichten.

 

Info

 

Die Schönheit der großen Stadt: Berliner Bilder von Gaertner bis Fetting

 

23.02.2018 - 28.10.2018

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

mittwochs 12 bis 20 Uhr

im Ephraim-Palais, Poststraße 16, Berlin

 

Katalog 29,90 €

 

Weitere Informationen

 

Was kommt heraus beim Streifzug durch die reich bestückten Depots der Sammlung? Menzel, Beckmann, Meidner, Feininger, Kirchner und andere große Namen sind im Ephraim-Palais der Hauptstadt vertreten, vor allem aber weniger bekannte Künstler. Die Berliner schlagen den Kragen hoch, rücken den Hut tief ins Gesicht, vergraben sich blasiert hinter ihrer Zeitung oder lassen die blanken Muskeln spielen. Diese Spezies, die in der Abteilung „Der Mensch und die Stadt“ ihren Auftritt hat, wirkt nicht sehr sympathisch.

 

Rhythmische Ordnungen

 

Über weite Strecken machen sich die Berliner aber in dieser Schau rar. Die große Metropole zeigt sich hier verblüffenderweise nicht als Stadt ihrer Bewohner, sondern als Stadt der Mauern. Auf vielen Gemälden sind die Straßenzüge nahezu menschenleer. Bisweilen herrscht gespenstische Ruhe, Passanten tauchen nur als Staffagefiguren auf. Mit breitem Pinsel und vehementem Zugriff arbeiten die Maler (und auch einige wenige Malerinnen) lieber geometrische Strukturen heraus und schachteln die Häuserfassaden in rhythmischen Ordnungen, als sich mitten ins Gewühl zu begeben.

Impressionen der Ausstellung


 

Meistermaler von Spree-Athen

 

In 17 knappen Kapiteln durchmisst Kurator Dominik Bartmann das Spektrum nicht chronologisch, sondern in thematischen Gruppen. Seitdem Berlin sich in den 1830er Jahren stolz selbst zu bespiegeln begann, sind dazu viele Gemälde entstanden. Eduard Gaertner stieg 1835 mit seinen Malutensilien auf das Dach der Friedrichwerderschen Kirche; damals ein gerade erst eingeweihter Neubau, von Karl Friedrich Schinkel im aktuellen Stil der Backstein-Neogotik entworfen.

 

Auf dem schrägen Blechdach hat ein Maurer seinen Arbeitstisch aufgebockt. Sein Werkzeug liegt herum: Die Geschichte der Berliner Großstadtmalerei beginnt mit einer Baustelle. Von der Stadt selbst zeigt der präzise Realist Gaertner in perfekt konstruierter Perspektive nur ein Wirrwarr von Dächern, Kuppeln und Straßengrün; das sieht heute noch ganz ähnlich aus. Dem bewährten Meistermaler des biedermeierlichen Spree-Athen räumt die Ausstellung in einer gesonderten Abteilung im Obergeschoss breiten Raum ein. 

 

Ebenso zu Beginn des Rundgangs: Baugerüste, wohin man blickt. Eine furiose Zusammenstellung von Baustellenbildern quer durch alle Stile und Zeiten lässt im Zeitraffer die spekulationsgetriebene Aufbauwut der Gründerzeitjahre Revue passieren. Daneben wächst 1930 das Shell-Haus am Landwehrkanal als Ikone der Moderne empor. 65 Jahre später drehen sich auf einem halbabstraktem Großformat von Stefanie Bürckle die Kräne am Potsdamer Platz. Diese pointierte Motivgruppe macht Lust auf mehr.

 

Zickzacklauf durch urbane Szenerie

 

Der nächste Raum ist dem Berliner Himmel gewidmet. Und welche Farbe hat er? Natürlich grau; mal bleiern, mal silbrig, aber niemals wolkenlos. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat diese Stadt, so scheint es, keine strahlend blauen Himmel mehr erlebt. Mit echtem Blattsilber riegelte Karl Horst Hödicke 1974 den klaustrophoben Blick in einen engen Hinterhofhimmel über der Großgörschenstraße flächendeckend ab. Dann wird es Nacht über der Stadt. Nun hat der Impressionist Lesser Ury seinen großen Auftritt: Er lässt künstliches Licht der Straßenlaternen auf regennassem Pflaster glitzern.

 

Grobere Malerei lieferten die „Neuen Wilden“ der 1980er Jahre. Dass auch sie die Stadt letztlich nur ästhetisieren, zeigt Rainer Fettings großformatiges Gemälde der Berliner Mauer von 1980: Ihr wilder Zickzacklauf durch die radikal vereinfachte urbane Szenerie beeindruckt als brachiale Kraftmeierei. Nüchtern dagegen dokumentierte der Ostberliner Maler Konrad Knebel 1977 die abgeriegelte Strelitzer Straße im Bezirk Mitte. Und Wolf Vostell, Westberliner Urgestein, klebte sogar eine echte Betonmanschette ins fotografische Bild. Für die Öffnung und das Verschwinden der Mauer haben Künstler keine vergleichbar starken Bilder gefunden.

 

Kratzen an der Oberfläche

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lesser Ury und das Licht" – Maler der impressionistischen Berliner Secession im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden Baden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung  "Tanz auf dem Vulkan" über "Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste" im Ephraim-Palais, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Beckmann und Berlin" – facettenreiche Retrospektive in der Berlinischen Galerie

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Radikal Modern: Planen und Bauen im Berlin der 1960er-Jahre" – umfassende Überblicks-Schau in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Rainer Fetting - Berlin" – große Werkschau des "Neuen Wilden" an zwei Standorten in Berlin.

 

Wie malt man eigentlich eine Großstadt? Wie bekommt man das ganze Riesending bloß in den Griff? Wie viel Abstraktion ist nötig, wie viel Realität muss hinein? Die Künstler nutzten diverse Strategien. Oskar Kokoschka bestieg 1966 im Auftrag Axel Springers dessen Verlagshochhaus und lieferte eine Ansicht der geteilten Stadt, die wie ein Regenbogen schillert. Im Osten probte Harald Metzges ebenfalls den luftigen Blick von hoch oben, allerdings in einem rein fiktiven Höhenflug des Malerauges.

 

Schon Adolph Menzel wich ins Grüne aus und sondierte die Ränder der wuchernden Metropole: Er brauchte in den 1840er Jahren nur auf den Kreuzberg zu wandern – damit entrückte er die noch überschaubare Hohenzollern-Residenz zur fernen Silhouette am Horizont. Ansonsten ist auf seinem Gemälde alles naturbelassen.

 

Baumeister August Endell entwarf in Berlin den ersten der „Hackesche Höfe“, heute eine Touristen-Attraktion. Er empfahl, die Stadt ganz einfach als optisches Phänomen zu erkunden, sich ihren wechselnden Lichtstimmungen und Oberflächenreizen hinzugeben. Genau dieser ästhetisierenden Richtschnur folgt Kurator Bartmann. Seine Bilderschau kratzt nur an der sichtbaren Oberfläche des Phänomens Berlin. Analytische Tiefenbohrungen der sozialen, politischen und alltäglichen Realität darf man nicht erwarten.

 

Rückwarts gewandter Eindruck

 

Wenn im Abschnitt „Stadt als Metapher“ die Ansichten von U-, S- und Straßenbahn-Trassen urbane Nervosität und den guten alten Mythos von Geschwindigkeit als Signum der Großstadt verkörpern sollen, wirkt das eher bemüht. Die „Stille Stadt“ dagegen scheint in unzähligen Varianten als ein motivisch weites Feld. Menschenleere Straßen oder meditative Blicke aus dem Atelierfenster suchten nicht nur die Maler der Neuen Sachlichkeit und der bleiernen 1950er Nachkriegsjahre.

 

Ansonsten mangelt es vielen Themenblöcken etwas an Trennschärfe; oft ließen sich die ausgesuchten Werke ebenso gut hier wie da einsortieren. Den Anspruch, das Lebensgefühl Berlins einzufangen, kann die Ausstellung nicht einlösen; dafür gibt sie sich viel zu retrospektiv. Kaum eine Arbeit überschreitet die Schwelle zum 21. Jahrhundert. Je näher die Werkauswahl der Gegenwart rückt, desto spärlicher wird der Strom der gemalten Bilder.

 

So entsteht ein eigentümlich rückwärtsgewandter Eindruck der Metropole: Das große Berlin zeigt sich hier eher als ein Gefäß für Erinnerungen, nicht als Lebensraum der Gegenwart. Und die allzu enge Beschränkung auf das Medium der Malerei schließt weite Bereiche der neueren Berlin-Bilderproduktion einfach aus.