Hans Block + Moritz Riesewieck

The Cleaners

Eine so genannte "Content"-Moderatorin blickt an ihrem Arbeitsplatz auf die Skyline von Manila. Foto: © gebrueder beetz filmproduktion; Fotoquelle: farbfilm verleih
(Kinostart: 17.5.) Löschen im Sekundentakt: So genannte "Content-Moderatoren" entscheiden über die Inhalte sozialer Medien. Der spannende Dokumentarfilm beleuchtet ihre komplexe Tätigkeit – und die weitreichenden Folgen ihrer heillosen Überforderung.

„Delete“ – oder doch lieber „Ignore“? Mit dieser Frage sehen sich jene Menschen, die im Auftrag von Facebook, Youtube und Co. im Internet aufräumen, etwa 25.000 Mal am Tag konfrontiert. Die Aufgabe dieser so genannten „Content-Moderatoren“ besteht darin, binnen Sekunden zu entscheiden, welche Inhalte die Internetnutzer überhaupt zu Gesicht bekommen. Nur drei Fehlentscheidungen pro Monat sind erlaubt.

 

Info

 

The Cleaners

 

Regie: Hans Block + Moritz Riesewieck

88 Min., Deutschland/ Brasilien 2018;

 

Website zum Film

 

Vornehmlich filtern sie ausgesprochen krasses Material heraus, das tatsächlich niemand sehen will. Doch manches, was hier gelöscht wird, möchten viele User durchaus sehen. Oft wird ein Internet-Beitrag nämlich deshalb zensiert, weil er gegen das Regelwerk der jeweiligen Auftraggeber – also der sozialen Netzwerke – verstößt. Und die folgen bekanntlich ihrer eigenen Logik: Sie wollen möglichst auf allen Märkten der Welt präsent sein und versuchen, es sich mit keinem Machthaber zu verscherzen.

 

Fragwürdige Richtlinien

 

Anfang 2016 fiel etwa ein Gemälde der Künstlerin Illma Gore der Zensur zum Opfer; zudem wurden alle ihre Nutzerkonten gesperrt. Später hing das Bild, auf dem Donald Trump mit Micro-Penis zu sehen ist, dann in der renommierten Maddox Gallery in London.  Ein Fall von vielen, in dem sich die Richtlinien der „Social-Media“-Unternehmen als fragwürdig erwiesen.

Offizieller Filmtrailer


 

Dystopisches Paralleluniversum

 

Ein Großteil der Schattenindustrie, die sich mit derartigen Entscheidungen befasst, ist in Manila angesiedelt. Zehntausende Filipinos arbeiten hier in Löschzentren und beschäftigen sich mit europäischen und US-amerikanischen Netzinhalten. Trotz der Verpflichtung zur Verschwiegenheit gewähren einige von ihnen im Dokumentarfilm „The Cleaners“ ebenso spannende wie verstörende Einblicke in ihre Arbeit.

 

Schlimme Bilder bleiben dem Zuschauer weitgehend erspart. Doch man sieht die Verstörung in den Gesichtern der Moderatoren, die in Hochhaus-Etagen über der Stadt ihrer Arbeit nachgehen. Weil der Film bildsprachlich eher an ein Science-Fiction-Drama erinnert als an eine Doku über ein Schlechte-Laune-Thema, entwickelt er trotz der abstrakten Materie einen erheblichen Sog. Der Moloch der philippinischen Metropole wirkt wie eine perfekte Noir-Kulisse für dieses dystopische und doch sehr gegenwärtige Paralleluniversum, das die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck präsentieren.

 

Geoblocking in autoritären Staaten

 

In der Arbeit der Moderatoren offenbaren sich scheinbar endlose Abgründe. Zu ihrer täglichen Kost gehören kinderpornographisches Material ebenso wie Terrorpropaganda. Doch es sind eben nicht nur Enthauptungen und Vergewaltigungen, die von ihnen herausgefiltert werden. Bei ihrer Arbeit werden auch Fragen der Kunstfreiheit und der politischen Zensur berührt. Viele Internetfirmen praktizieren – vor allem in autoritär regierten Ländern – das so genannte „Geoblocking“: die regionale Sperrung von Inhalten durch den Anbieter, um nicht verboten zu werden oder etwa aus lizenzrechtlichen Gründen. Die Türkei, erfährt man, ist das Land mit den meisten Sperrungen weltweit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Pre-Crime" – Doku über präventive Verbrechens-Bekämpfung mit Big Data und ihre Nebenfolgen von Monika Hielscher+ Matthias Heede

 

und hier eine Besprechung des Films "The Circle" – Adaption des Bestseller-Romans von Dave Eggers über totale soziale Kontrolle bei einem Internet-Monopolisten durch James Ponsoldt

 

und hier einen Bericht über den Film "Citizenfour" – beeindruckende, Oscar-prämierte Doku von Laura Poitras über den Abhörskandal-Enthüller Edward Snowden

 

und hier einen Beitrag über die "Transmediale 2015 – Capture All" – facettenreiches Digitalkunst-Festival im Haus der Kulturen der Welt, Berlin.

 

Ein weiteres Problem: Die Bilder werden von Menschen aus einem anderen kulturellen Kontext beurteilt als jenem, in dem sie entstanden sind. Auch wenn die Moderatoren einem strikten Regelwerk folgen, fließt unweigerlich eine ganz eigene Gemengelage aus politischen und religiösen Überzeugungen in ihre Arbeit ein. Ein Mitarbeiter vergleicht seine Tätigkeit mit der eines Polizisten, ein anderer bekundet seine Bewunderung für den philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Und der vergleicht sich gerne mit Adolf Hitler: im Hinblick auf seinen brutalen Krieg gegen jene Gruppen der Bevölkerung, die vermeintlich oder tatsächlich mit Drogen zu tun haben.

 

Überforderung der Demokratien

 

Das Thema ist unüberschaubar und oft in sich widersprüchlich: auch ein Mitschnitt von Gräueltaten kann ja durchaus der Aufklärung dienen. So behauptet der Film gar nicht erst, dass es einfache Lösungen für die mannigfaltigen Probleme gebe. Etliche Aspekte werden nur kurz angeschnitten; allein über die psychischen Folgen für die Mitarbeiter ließe sich ein eigener Film drehen. Und obwohl mancher Hintergrund-Aspekt offen bleibt – etwa die Frage, weshalb diese Zensoren-Arbeit überwiegend auf den Philippinen angesiedelt ist – wird aus dem Wirrwarr doch ein erstaunlich kohärentes Ganzes.

 

Block und Riesewieck machen deutlich, wie komplex und politisch weitreichend die Entscheidungen sind, die von den Content-Moderatoren getroffen werden, und wie wenig sie darauf vorbereitet sind. Das Hauptproblem ist jedoch ein anderes: Demokratisch legitimierte Regierungen treten aus Überforderung und Inkompetenz freiwillig politische Entscheidungen an soziale Netzwerke ab. Diese besitzen mittlerweile zwar eine unglaubliche Medienmacht, aber keine Medienkompetenz – und verstehen sich auch gar nicht als Medienunternehmen mit entsprechender Verantwortung.

 

Digitale Müllsammler

 

Das ist hierzulande, etwa in den Löschzentren der Bertelsmann-Firma Arvato, nicht wesentlich anders. Auch hier erscheint intransparent, wie der Kriterienkatalog erstellt wurde; viele Mitarbeiter fühlen sich überfordert und alleine gelassen. Die meisten Niederlassungen dieser Branche sind jedoch auf den Philippinen angesiedelt; der Film stellt sowohl die dortige Situation als auch ihre globalen Auswirkungen anschaulich dar. Im Interview erzählt eine Frau, dass ihre Mutter sie einst zu Fleiß in der Schule antrieb: mit der Drohung, sie werde sonst als Müllsammlerin enden. Trotz guter Bildung ist sie jetzt genau da gelandet.