Frau Neshat, Sie sind iranische Künstlerin und leben seit Jahrzehnten in den USA. Was hat Sie veranlasst, einen Film über die ägyptische Diva Oum Kulthum zu drehen?
Es gibt verschiedene Gründe, warum ich die letzten sechs Jahre mit ihr verbracht habe. Ich fing aus einer feministischen Haltung heraus an, einen Film über diese ikonische Künstlerin machen zu wollen – als einen Gegenentwurf zu den im Westen kursierenden Klischees von Gewalt, Fanatismus und Terrorismus. Schließlich war Oum Kulthum die bedeutendste Künstlerin des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten; als sie 1975 starb, gaben ihr auf den Straßen vier Millionen Menschen das letzte Geleit.
Info
Auf der Suche nach Oum Kulthum
Regie: Shirin Neshat und Shoja Azari, 90 Min., Deutschland/ Österreich/ Italien/ Marokko 2017;
mit: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh
Stets im Magnetfeld der Politik
Außerdem war und bin ich wie Oum Kulthum als Künstlerin stets von Männern umgeben – obwohl ich immer den Hut auf habe. Dazu kommt, dass Politik stets unser beider Arbeit in ihrem Kern beeinflusst und definiert hat. Oum Kulthum war bei ihren Landsleuten immer sehr beliebt und hat nie im Exil gelebt. Doch sie stand auch den Mächtigen sehr nahe; beide Seiten haben einander benutzt. Dagegen wurde ich früher von der Regierung meiner Nation politisch an den Rand gedrängt – und nun lebe ich in einem Land, das Moslems an den Rand drängt. Daher habe ich das Gefühl, dass ich der Politik nie entfliehen konnte. All das sind Faktoren, die mich an Oum Kulthum und ihrem Leben anziehen.
Auszug aus dem Interview auf Englisch mit Shirin Neshat
Zwischen Nahost + West
Erstaunlicherweise gab es bislang noch kein Biopic über Oum Kulthum. Wollen Sie mit ihrem Film den größten Star der arabischen Welt fürs dortige Publikum porträtieren, oder umgekehrt die Sängerin einem westlichen Publikum nahe bringen?
Ich denke nicht zuerst ans Publikum, wenn ich ein Projekt anfange, sondern verfolge einfach impulsiv meine Idee. Dieser Film ist auf der Schwelle zwischen arabischer und westlicher Kultur angesiedelt; er soll auf Ägypter möglichst authentisch wirken und zugleich Westler mit dem Phänomen Oum Kulthum vertraut machen.
Kritik aus Nahost + West
Mir ist klar, dass man mich auf beiden Seiten kritisieren kann. Im Nahen Osten wird man mir vorhalten, wie ich als Iranerin es wagen könne, mir eine ägyptische Ikone vorzunehmen, der kein ägyptischer Regisseur zu nähern sich getraut hat. Wobei mein Drehbuch fiktiv ist; es nimmt nur einige Ereignisse aus ihrem Leben auf. Im Westen könnte mir passieren, dass der Film ignoriert wird, weil den Leuten schlicht ihre Musik nicht gefällt – das habe ich mehrfach gehört. Manche machen sich nichts aus ihrer Stimme; andere sind zu Tränen gerührt.
Daher sage ich einfach: Meine gesamte Arbeit findet ihr eigenes Publikum – es ist übrigens ein sehr gespaltenes Publikum. Nicht nur im Hinblick auf seinen kulturellen Hintergrund, sondern auch in seiner Wahrnehmung. Besonders, was Erzählstrukturen auf verschiedenen Ebenen angeht: Einige Leute empfinden sie als verwirrend, andere schätzen das sehr. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass meine bikulturelle Lebensweise und die Resultate meiner Arbeit teils gefeiert und teils abgelehnt werden – auf allen Seiten.
Der Mythos bleibt unangetastet
Warum haben Sie nicht einfach ein klassisches Biopic über Oum Kulthum gedreht, sondern ein komplexes Doppelporträt – mit einer Regisseurin, die im Film einen Film über sie machen will?
Das ist eine interessante Frage. Die Geschichte ist so aufgebaut, dass wir gleichzeitig zwei verschiedene Charaktere parallel entwickeln – die Filmregisseurin Mitra und Oum Kulthum. Dadurch ist der Film kein lineares Biopic: Wir konzentrieren uns auf ihre Musik und entscheidende Momente in ihrer Laufbahn. Als Bauernmädchen singt sie – als Junge verkleidet – religiöse Lieder; in Kairo wird sie entdeckt, gefördert und zum künstlerischen Aushängeschild der Monarchie. Erst steht sie loyal zu König Faruk, nach der Revolution in den 1950/60er Jahren zu General Nasser.
In gewisser Weise nähern wir uns ihr aus impressionistischer und mythischer Perspektive; so wirkt auch der Film, den Mitra über sie dreht. Nur einmal wird Oum Kulthum von einem Kritiker besucht. Sie fordert ihn auf, Lieder für sie zu schreiben – was er wegen ihres Egoismus ablehnt und sie damit in Rage bringt; sie konnte auch ein Monster sein. Genauso trifft Mitra auf einen scharfen Kritiker in ihrem Filmteam.
Manche bemängeln, dass Mitras familiärer Hintergrund unklar bleibt; doch Oum Kulthum bleibt ebenfalls ein Mythos. Den Mitra nicht antastet, bis sie einen Nervenzusammenbruch erleidet und daraufhin ihr Skript umschreibt – wobei sie die Sängerin auf der Bühne ihre Stimme verlieren lässt. Es ist der einzige Augenblick, in dem der Film das menschliche Wesen hinter dem Mythos zeigt; das mochten die Produzenten gar nicht. Kurzum: Wir mussten entscheiden, welche Aspekte beider Personen wir in gebotener Kürze zeigen wollten – daher musste vieles draußen bleiben.
Keine Drehgenehmigung vor Ort
Warum haben Sie nicht in Ägypten gedreht?
Hintergrund
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Kalter Fels auf der Bühne
Was bedeutet Ihnen Oum Kulthum persönlich?
Am Anfang nahm ich das Projekt aus zwei Gründen in Angriff. Erstens wollte ich gegen meine iranische Herkunft und meinen soziokulturellen Kontext rebellieren; ich fand es sehr aufregend, mich mit einer anderen Kultur zu beschäftigen. Außerdem bin ich von Musik und Frauen geradezu besessen – da schien diese Themenwahl sehr sinnvoll. Einen Sommer lang habe ich nur Musik von Oum Kulthum gehört, um mich ganz in ihre Stimme und Emotionen zu vertiefen. Nun habe ich Lieblingslieder, zu denen ich weinen könnte, aber das war nicht von Anfang an so.
Als Persönlichkeit finde ich sie kalt – und damit das Gegenteil von mir; ich bin sehr verletzlich, nervös und zeige dem Publikum meine Gefühle. Sie wirkte jedoch auf der Bühne wie ein Fels; an diesem Image hat sie ihr Leben lang gearbeitet. Sie kontrollierte ihre Karriere, was ich nicht tue – ich lasse mich treiben und gehe Risiken ein.
Sie band erfolgreich ihr Publikum an ihre Person, und wurde von ihm innig geliebt. Hingegen wechsele ich die Disziplinen von Kunst über Film zur Oper und springe von Land zu Land – auf die Gefahr hin, zu scheitern. Alles in allem sind wir sehr unterschiedlich: Sie war ein Mythos, was ich nie sein werde – und es gibt nur sehr wenige Menschen, die zu Lebzeiten zu einem Mythos werden, wie etwa auch Frida Kahlo oder Bob Dylan.