Bonn

Nasca: Im Zeichen der Götter – Archäologische Entdeckungen aus der Wüste Perus

Keramikplastik einer Prozession, Späte Nasca-Phase, 450 – 650 n. Chr., Ton, modelliert und bemalt, gebrannt. Museo Nacional de Arqueología, Antropología e Historia del Perú. Foto: © Bundeskunsthalle Bonn
Vor 2000 Jahren zogen die Nasca monumentale Linien in Südperus Wüstenboden – jüngst wurden sie entschlüsselt. Sie zeugen von morbide drogenlastigen Ritualen; die faszinierende Bilderwelt ihrer Kultur stellt die Bundeskunsthalle grandios gelungen vor.

Diese Kultur lässt sich eigentlich gar nicht ausstellen: Ihre wichtigsten Zeugnisse sind so unverrückbar wie die Berge, Wüsten und Flüsse im Süden Perus, wo sie um 200 v. Chr. entstand und etwa 650 n. Chr. wieder verschwand. Rund 850 Jahre lang bedeckten die Nasca ein Gebiet von wenigen 100 Quadratkilometern mit weltweit einzigartigen Bodenzeichnungen; mehr als 1000 dieser so genannten Geoglyphen sind bekannt.

 

Info

 

Nasca: Im Zeichen der Götter - Archäologische Entdeckungen aus der Wüste Perus

 

10.05.2018 - 16.09.2018

täglich außer montags

10 bis 19 Uhr, dienstags +

mittwochs bis 21 Uhr

in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn

 

Katalog 48 €

 

Weitere Informationen

 

Teils bilden sie leicht erkennbare Tierfiguren, etwa Spinnen, Affen oder Hunde – deren Umrisse stets aus einer einzigen Linie bestehen. Meist zeigen sie aber geometrische Formen wie Zickzacks, Spiralen und vor allem Trapeze; bis zu zwei Kilometer lang. Als die Nasca-Linien – die am besten aus der Luft sichtbar sind – vor rund 100 Jahren entdeckt wurden, gaben sie einige Rätsel auf: Wozu haben sie einst gedient? Man deutete sie etwas willkürlich als Bewässerungs- oder Kalendersysteme sowie als Orte von Fruchtbarkeitskulten.

 

Erst Hanglagen, dann Hochebenen

 

Erst jüngste Forschungen ergaben eine plausiblere Erklärung. Die Nasca-Linien haben Vorläufer aus der Epoche der Paracas-Kultur (800 bis 200 v. Chr.): Damals wurden kleine, figürliche Geoglyphen in Hanglagen angefertigt. Sie sollten offenkundig gesehen werden, aber nicht benutzt. Dagegen entstanden die Nasca-Linien auf trockenen, staubigen Hochebenen (pampas) zwischen fruchtbaren Flusstälern, in denen die Siedlungen lagen: Außer Vögeln – und vielleicht höheren Mächten – konnte sie niemand überblicken.

Feature über die Ausstellung; © Bundeskunsthalle


 

Aufmarschplätze für Regen-Kulte

 

Auf den pampas lag dunkles Geröll auf hellem Sedimentboden. Es genügte, die Steine beiseite zu räumen, um Formen zu markieren. Manchmal mit einfachen Hilfsmitteln: Ein Seil, das um einen Pfahl erst ein- und dann wieder abgewickelt wurde, beschrieb eine Doppelspirale. Zudem errichtete man an den Stirnseiten von Rechtecken und Trapezen steinerne Altäre, auf denen Opfer dargebracht wurden.

 

Der Boden dazwischen ist von unzähligen Fußtritten stark verdichtet: Solche Gelände dienten als Aufmarschplätze für Prozessionen. Ihre Kulte waren wohl dem Wasser als Quell allen Lebens gewidmet; dafür sprechen Muschelschalen als Weihgaben. Sowie der Umstand, dass gegen Ende der Nasca-Zeit immer mehr Geoglyphen angelegt wurden, weil der Regen immer öfter ausblieb. Wegen anhaltender Dürre wurde die Region vor 1300 Jahren verlassen; sie blieb danach Jahrhunderte lang unbewohnt.

 

Altamerikas schönste Keramiken + Textilien

 

Diese Zusammenhänge veranschaulicht ein enormes dreidimensionales Modell der beiden Gegenden, in denen die meisten Geoglyphen zu finden sind: Auf eine Nachbildung des Terrains werden animierte Luftaufnahmen projiziert. Eine spektakuläre Methode in Kooperation mit dem Züricher Museum Rietberg, um Unverrückbares dennoch in diese Ausstellung zu transportieren – als Auftakt für eine Auswahl von 200 erlesenen Exponaten aus peruanischen Museen. Die meisten waren noch nie in Europa zu sehen; manche werden zum allerersten Mal öffentlich gezeigt.

 

Obwohl bereits die frühesten Ausgrabungsfunde Ende des 19. Jahrhunderts Aufsehen erregten: Die Nasca stellten die schönsten und expressivsten Keramiken und Textilien im prähispanischen Lateinamerika her. Dank des trockenen Klimas in Südperu blieben Grabbeigaben bestens erhalten: Derart leuchtende Farben und konservierte Gewebe finden Archäologen in Europa oder Asien kaum.

 

Huayo-Kult mit Menschenschädeln

 

Mit dem paradoxen Ergebnis, dass man heute zwar Formen- und Bilderwelt dieser Kultur gut rekonstruieren kann – aber nicht weiß, was sie bedeuten. Die Nasca kannten keine Schrift, andere Quellen gibt es ebenso wenig: Kein einziges Wort ihrer Sprache ist überliefert, nicht einmal die Namen ihrer Götter. So behilft man sich mit Notbezeichnungen wie „Anthropomorphes Mythisches Wesen“. Sein Antlitz taucht überall auf: mit einer Mundmaske samt Schnurrhaaren wie bei Katzen, einem Diadem im Haar und grausigen Attributen wie abgeschlagenen Menschenköpfen, die es an Schnüren mit sich führt.

 

Diese Köpfe waren keine Trophäen; stattdessen scheinen sie einem ähnlichen Zweck gedient zu haben wie beim huayo-Kult, den spanische Eroberer noch um 1600 in der Andenregion vorfanden. Menschenschädel wurden sorgsam präpariert, indem man das Hirn entfernte, dazu die Augen und Lippen mit Dornen verschloss. Solche Objekte wurden zu rituellen Anlässen vorgeführt; sie sollten wahrscheinlich verehrte Ahnen repräsentieren und Lebenskraft garantieren.

 

Virtuos getöpferte Tiergefäße

 

Dieses Phänomen spielt die Ausstellung ein wenig herunter, aber die Allgegenwart abgetrennter Köpfe in der Nasca-Ikonographie wirkt recht unheimlich – ebenso die Ströme von Blut aus den Mäulern mythischer Tierwesen, die originell stilisiert auf Krügen und Schalen abgebildet sind. Die Fantasie ihrer Handwerker kannte keine Grenzen: Sie töpferten Gefäße in Form von sich windenden Schlangen, Orca-Walen, Schildkröten oder Meerschweinchen. Ihre Weber hüllten teure Verstorbene in kostbare Tücher, die mit komplizierten Mustern und unfassbar kleinteilig gestickten Borten verziert waren.

 

Hintergrund

 

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Das spricht – anders als der morbide Köpfe-Kult – für Freude an der Vielfalt irdischen Daseins. Wie die Vielzahl von Früchten und Gemüse aus intensiver Landwirtschaft: Der Speiseplan war nahrhaft und abwechslungsreich, Nutztiere wie Lamas lieferten Fleisch und Wolle, aus dem nahen Pazifik kamen Fische und Meerestiere. Zudem musizierten die Nasca offenbar mit Hingabe: Sie hinterließen etliche Instrumente. Besonders populär waren tönerne Panflöten (antaras), aber auch Trommeln, Pfeifen und aufwändig gestaltete Ritualtrommeln werden häufig ausgegraben.

 

Ausstellung animierter Trancezustände

 

Rituale spielten offenbar eine überragende Rolle im Leben dieses Volkes. Die Schau legt nahe, sie als synästhetisches Gesamterlebnis aufzufassen: Unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen wie Meskalin schritt man in langen Reihen die Geoglyphen ab; derweil verstärkte musikalische Begleitung den Rhythmus, bis ein Trancezustand erreicht wurde. Kein Wunder, dass viele Darstellungen Gestalten – ob Priester oder höhere Wesen – zeigen, die scheinbar mühelos zwischen der irdischen und anderen Sphären hin- und her fliegen.

 

Eine archaische Kultur auf kollektivem Drogentrip: Das wirkt in unserer rationalen Gegenwart, die Narkotika nur als Privatvergnügen kennt, arg befremdlich. Es ist ein Verdienst dieser famosen Schau, dass sie solches Befremden nicht kaschiert, sondern mit bewegten Film-Animationen von Nasca-Motiven ebenfalls ausstellt. Sie lassen erahnen, welche Vorstellungen ihre Schöpfer vor zwei Jahrtausenden beseelt haben mögen.

 

Fluss-Fäden in Mondlandschaft

 

Als I-Tüpfelchen einer grandiosen Präsentation, der es gelingt, eine weit entfernte Vergangenheit so verständlich wie möglich zu machen – und ihr gleichzeitig ihre Fremdheit zu belassen. So surreal wie Panorama-Aufnahmen von Südperu mit saftig grünen, aber fadendünnen Flusstälern in staubgrauen, sonnenverbrannten Mond-Gebirgslandschaften.