Elwira Niewiera + P. Rosołowski

Der Prinz und der Dybbuk

Sophie Loren und Filmproduzent Michał Waszyński trinken Kaffee, um 1960. Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 7.6.) Sich völlig neu erfinden: Diese PR-Floskel nahm Michał Waszyński existentiell ernst. Der russische Jude wurde Erfolgsregisseur in Polen und später Produzenten-Prinz in Italien – seinen faszinierenden Lebensweg zeichnet eine Doku kongenial nach.

Was für ein Leben! Genauer gesagt: drei Leben – mit drei verschiedenen Namen und Identitäten in drei unterschiedlichen Ländern. Moshe Waks kam 1904 als Sohn eines armen jüdischen Schmieds in der Kleinstadt Kowel in Wolhynien zur Welt. Diese Region gehörte damals zum Russischen Kaiserreich, in der Zwischenkriegszeit zu Polen und bildet heute den Nordwesten der Ukraine; von Kowel sind es nur 150 Kilometer bis ins polnische Lublin.

 

Info

 

Der Prinz und der Dybbuk

 

Regie: Elwira Niewiera + Piotr Rosołowski,

82 Min., Polen/ Deutschland 2017

 

Website zum Film

 

Das Milieu, in das er hineingeboren wurde, war das des verschwundenen orthodoxen Judentums in Osteuropa; geprägt von chassidischen Ritualen, Wunderglauben und Legenden. Eine davon sollte ihn später noch sehr beschäftigen: die vom Dybbuk, der als Geist eines Toten in den Körper eines Lebenden einfährt und sein Verhalten beherrscht. Ähnlich wie Schemen auf der Leinwand zuweilen Zuschauer derart beeindrucken, dass sie ganz aufgewühlt aus dem Kino kommen.

 

Für Kino-Karriere katholisch werden

 

Nach dem Ersten Weltkrieg verließ Moshe Waks die provinzielle Enge seiner Herkunft. Er lebte erst in Kiew, dann in Warschau, wo er den Namen Michał Waszyński annahm und zum Katholizismus konvertierte. Sein Konfessionswechsel war eher ein Akt der Anpassung, denn als Jude konnte er im klerikalnationalistischen Polen kaum aufsteigen. In der liberalen Hauptstadt war Religion allerdings nicht so wichtig; dort musste er auch seine Homosexualität nicht verstecken.

Offizieller Filmtrailer


 

Erfolgreichster Film auf Jiddisch

 

Rasch machte Waszyński Karriere in der Kinobranche. Mit nur 25 Jahren drehte er seinen ersten Film unter eigener Regie; in den folgenden zehn Jahren sollten rund 40 folgen – damit wurde er einer der produktivsten Regisseure Polens. Darunter waren etliche seichte Komödien mit Titeln wie „Ich liebe ein wenig, von Herzen, mit Schmerzen“ oder „Was treibt mein Mann nachts“. Aber auch „Der Dybbuk“ von 1937 als Adaption des gleichnamigen Theaterstücks: Der wohl erfolgreichste Film in jiddischer Sprache brachte mit Untertiteln dem polnischen Publikum die Kultur der jüdischen Minderheit nahe.

 

Mit Kriegsausbruch verliert sich Waszyńskis Spur. Dann taucht er 1941 als Mitglied der so genannten „Anders-Armee“ wieder auf: Sie wurde aus deportierten polnischen Gefangenen in der Sowjetunion aufgestellt und kämpfte für die Alliierten im Nahen Osten und Italien – das hielt er in Dokumentarfilmen etwa über die viermonatige Schlacht um Monte Cassino 1944 fest.

 

Herr der Sandalen- und Bibelfilme

 

Nach dem Krieg blieb Waszyński in Italien – und adelte sich selbst. Fortan gab er sich als von den Kommunisten enteigneter polnischer Prinz aus; so gewann er die Gunst einer reichen Gräfin. Bald konnte er in der dortigen Filmindustrie Fuß fassen. Drei eigene Regiearbeiten zwischen 1946 und 1948 wurden allerdings Flops: Seine Inszenierungen galten als zu düster und schwermütig. Mehr Zuspruch fand er als Filmproduzent von Sandalen- und Bibelfilmen mit enormen Budgets und Heerscharen von Statisten; dabei arbeitete er mit namhaften Regisseuren wie Joseph L. Mankiewicz und Nicholas Ray sowie Stars wie Sophia Loren und Claudia Cardinale zusammen.

 

Waszyński war ein reicher Mann, als er 1965 an einem Herzinfarkt starb. Und seine Freunde und Verehrer in Italien hatten keine Ahnung vom Vorleben des vermeintlichen Prinzen. Das enthüllt nun das in Berlin lebende polnische Regie-Duo Elwira Niewiera und Piotr Rosołowski in einem Dokumentarfilm, der es an Spannung und überraschenden Wendungen mit jedem Krimi aufnehmen kann.

 

Nur Ukrainer können Widmung lesen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Pasolini Roma" – exzellente Retrospektive über Leben + Werk von Pier Paolo Pasolini im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

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und hier eine Kritik des Films "Roman Polanski: A Film Memoir" – Doku über die Biographie des polnischen Regisseurs zwischen Ost + West von Laurent Bouzerau.

 

Ihre Suche gleicht einer Schnitzeljagd. Waszyński hatte seine Spuren stets gut verwischt: Von seiner Jugendzeit in Kowel gibt es praktisch keine Zeugnisse mehr. Außer einem Studio-Foto mit einer unbekannten Dame, das seine italienischen Erben aufbewahrt haben – ohne die rückseitige Widmung auf Kyrillisch lesen zu können. Das gelingt erst ukrainischen Rentnern in seiner Geburtsstadt: Das Lichtbild zeigt einen Herrn Waks. Nachfahren seiner Familie leben heute in Tel Aviv; sie können in ihrem Stammbaum den Vermissten verorten.

 

Durch solche Gespräche und Ortstermine setzen Niewiera und Rosołowski ein Indiz nach dem anderen wie Puzzleteile zusammen: So nimmt das Phantom, dem sie nachforschen, langsam Gestalt an. Und wird als Figur fassbar durch eingestreutes Archivmaterial: von polnischen Vorkriegsstreifen, alten Wochenschauen oder körnigen Super-Acht-Filmen, auf denen Italiens Kino-Jetset der 1950/60er Jahre sein Dolce Vita festhielt – alles sorgsam ausgewählt und ökonomisch eingesetzt. Nie dienen diese Bilder als bloßes Augenpulver.

 

Dämonen unerfüllter Liebe

 

Für das Porträt einer Biographie, die quer zu den geläufigen Kultur-Grenzen verläuft: Sie führt von der Ukraine über Polen, die Levante und Italien bis nach Israel. Stets gelang es dem proteischen Helden, sich rechtzeitig abzusetzen; nur manche Dämonen konnte er nicht abschütteln.

 

Sein Tagebuch führte er auf Jiddisch; darin ist von Erinnerungen an unerfüllte Liebe die Rede, die ihn einem Dybbuk gleich immer wieder heimsuchten. Dieses Geheimnis wollte der Verwandlungskünstler mit ins Grab nehmen; mehr als ein halbes Jahrhundert später wird es von dieser Doku so raffiniert wie subtil entschlüsselt.