Shirin Neshat

Auf der Suche nach Oum Kulthum

Oum Kulthum (Najia Skalli) auf dem Weg zu General Nasser. Foto: © RazorFilm. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 7.6.) Maria Callas des Orients: Oum Kulthum gilt als größter Star der arabischen Welt; ihr Gesangsstil war absolut einzigartig. Der Diva widmet die iranische Künstlerin Shirin Neshat einen Film, der ihre Stimme feiert, aber den Mythos nicht recht fassen kann.

Als hätten sich die Verleiher abgesprochen: Im Abstand von nur drei Wochen kommen zwei Filme über die beiden berühmtesten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts ins Kino. „Maria by Callas“ dokumentiert ihr Leben nur aus Selbstzeugnissen. „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ ist dagegen ein Spielfilm – über die Unmöglichkeit, ihr mit einem Spielfilm gerecht zu werden.

 

Info

 

Auf der Suche nach Oum Kulthum

 

Regie: Shirin Neshat und Shoja Azari, 90 Min., Deutschland/Österreich/ Italien/ Marokko 2017;

mit: Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh

 

Website zum Film

 

Kein Wunder bei dieser überlebensgroßen Erscheinung: Oum Kulthum (sprich: Umm Kalsum; ca. 1900-1975) gilt als „Maria Callas des Orients“ – mit einem Unterschied: Sie war und ist in der arabischen Welt noch viel berühmter als die Callas im Westen. Zwischen Tanger und Bagdad dürfte es kaum jemand geben, der ihre Stimme nicht kennt; als sie starb, gaben ihr auf Kairos Straßen vier Millionen Menschen das letzte Geleit. Mehr als 40 Jahre später ist ihre Popularität ungebrochen: Allein auf der Berliner Sonnenallee sind ein Großraum-Café und eine Bäckerei nach ihr benannt.

 

Sechs Jahre Vorbereitungszeit

 

Grund genug für die exiliranische Künstlerin Shirin Neshat, dem größten muslimischen Star einen Film zu widmen – was bislang noch kein männlicher Kollege gewagt hat. Wie schon bei ihrem Debütfilm „Women without men“ (2009) über den Sturz des iranischen Premiers Mossadegh 1953 und die folgende Schah-Diktatur hat Neshat sechs Jahre lang daran gearbeitet. Ihre Sorgfalt sieht man dem Ergebnis an: Abermals gerät die Komposition makellos elegant. Alle Einstellungen sind von opulenter Pracht, in der jedes Detail stimmt – dieser ausgefeilte Ästhetizismus ist zugleich Stärke und Schwäche des Films.

Offizieller Filmtrailer


 

Karriere-Kontrolle einer Kinderlosen

 

Neshat, deren vielfach prämiertes Werk vor allem um die Stellung von Frauen in der islamischen Welt kreist, wollte sich nicht mit einem schlichten Biopic begnügen. Oum Kulthum hatte maximalen Erfolg, weil sie ihre Karriere völlig kontrollierte, ihre Verträge selbst aushandelte, ihr Bühnenrepertoire allein bestimmte und die Nähe zu Ägyptens Staatschefs suchte: erst zu König Faruk, später zu Präsident Nasser. Um den Preis von Einsamkeit an der Spitze: Sie blieb unverheiratet und kinderlos.

 

Im Film quält sich die Regisseurin Mitra (Neda Rahmanian) mit einem dürftigen Privatleben, die sich unschwer als Alter Ego von Shirin Neshat deuten lässt. Mitra will eine Filmbiographie über Oum Kulthum drehen, mit Ghada (Yasmin Raeis) in der Hauptrolle. Doch das Projekt kommt nicht recht voran, weil Mitra von Zweifeln und Ängsten heimgesucht wird. Zudem plagen sie Schuldgefühle gegenüber ihrem kleinen Sohn, der während der Dreharbeiten plötzlich verschwindet; warum, bleibt unklar.

 

Eine Diva für alle + alle für eine Diva

 

Solche Film-im-Film-Reflexionen waren während der 1970/80er Jahre in Mode, dann verschwanden sie weitgehend – weil die Selbstbespiegelung von Regisseuren nur selten zu fesseln vermag. Auch hier würde die Aufmerksamkeit rasch erlahmen, wäre das Sujet nicht so einmalig. Der Film beschränkt sich auf wenige Re-Inszenierungen von Momenten aus Oum Kulthums fast 60-jähriger Laufbahn. Doch ihr einzigartiger Gesangsstil beeindruckt jedes Mal: von ihren Anfängen im Nildelta als Mädchen in bäuerlicher Jungenkluft bis zu triumphalen Auftritten vor der Elite von Kairo.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Shirin Neshat über ihren Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum"

 

und hier einen Bericht über den Film "Maria by Callas" – Doku aus Selbstzeugnissen der berühmten Opernsängerin von Tom Volf

 

und hier eine Besprechung des Films "In den letzten Tagen der Stadt" – komplexer Kairo-Film von Ramer El Said

 

und hier einen Beitrag über den Film "Art War" – fulminante Doku über Street Artists in Kairo als Teil der Arabellion von Marco Wilms mit dem Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad.

 

Gerade weil sie sich kaum verändern: Im Lauf der Jahrzehnte mögen Fahne und Staatswappen wechseln, ebenso Kleidung und Kopfbedeckungen der Anwesenden – doch sobald Oum Kulthum die Bühne betritt, schallt ihr frenetischer Applaus entgegen. Dann beginnt eine Art Call-and-Response-Spiel mit dem Publikum: Die Sängerin improvisiert kraftvoll und zerdehnt ihre Verse, ihre Zuhörer singen laut mit, schluchzen oder jubeln begeistert. Eine Diva für alle, und alle für eine Diva – für die Liebe, Gott und Vaterland.

 

Lieder dauerten bis zu einer Stunde

 

Ihre Rolle als nationales Symbol, das für Frömmigkeit und konservative Werte stand, thematisiert der Film nur ansatzweise. Vielleicht, weil die Regisseurin wenig damit anfangen kann; vielleicht, weil orientalische Zuschauer ohnehin darum wissen und westliche davon nichts wissen wollen. Das Gleiche gilt für ihren Einfluss auf arabische Kunstmusik, der sie ein neues, heute kanonisches Gepräge gab – ihre Lieder konnten bis zu einer Stunde dauern.

 

Für diese divergenten Elemente findet Shirin Neshat keine gemeinsame Form. Ihr Drehbuch zerfällt in Powerfrauen-Räsonnement,  Schlaglichter auf Ägyptens Geschichte und kurze Rückblicke auf Sternstunden einer Ausnahme-Interpretin; all das steht kaum verbunden nebeneinander. So bekommt der Film den Mythos Oum Kulthum kaum zu fassen – doch als exquisit gestaltete Einführung in den Klangkosmos einer gewaltigen Stimme taugt er allemal.