
Was macht man, wenn man seinen Lebensinhalt verliert und erst Anfang 20 ist? Ein Reitunfall beendet die vielversprechende Rodeo-Karriere des jungen Brady Blackburn (Brady Jandreau). Er trägt nun eine Metallplatte im Kopf und hat seine rechte Hand nur noch unzureichend unter Kontrolle. Auch seine Arbeit als Pferdetrainer kann er in den Wind schreiben. Und reiten sollte er auf ärztlichen Rat hin schon gleich gar nicht mehr.
Info
The Rider
Regie: Chloé Zhao,
104 Min., USA 2017;
mit: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau
Verloren im Supermarkt
Die Möglichkeiten, die sich ihm im Reservat bieten, sind begrenzt. Wohl oder übel nimmt Brady einen Job im Supermarkt an und wirkt dort genauso traurig wie völlig deplatziert. Mit aller Macht zieht es ihn zu den Pferden zurück, trotz der Lebensgefahr, die sie für ihn bedeuten.
Offizieller Filmtrailer
Gefühle nur am Lagerfeuer
Regisseurin Chloé Zhao zeigt in „The Rider“ das Cowboy-Dasein aus der Binnenperspektive und ohne jegliches Westerndekor. Zweifellos handelt es sich um eine taffe Männerwelt, die Protagonisten wechseln nur sparsame Worte miteinander. Offene Gefühle erlaubt man sich allenfalls am Lagerfeuer. Bradys Vater (Tim Jandreau) verkauft ohne Zögern das geliebte Pferd seines Sohnes, um die Schulden für den Trailer zu begleichen. „Du wirst ja eh nicht mehr reiten“, lautet seine knappe Rechtfertigung.
Und doch stehen die Menschen füreinander ein. Regelmäßig besucht Brady seinen Kumpel Lane (Lane Scott), der nach einem Rodeo-Unfall gelähmt und sprachunfähig in einem Pflegeheim lebt. Diesem Schicksal ist Brady gerade noch entgangen. Auch kümmert er sich fürsorglich und zärtlich um seine eigenwillige kleine Schwester Lilly (Lilly Jandreau).
Genaue Einblicke in eine fremde Welt
Wie an den Namen der Darstellerinnen und Darsteller ersichtlich ist, beruht der Film auf dem wahren Leben seiner Protagonisten. Aus dramaturgischen Gründen wurden lediglich einige Details geändert. Die Narben, die man anfangs auf Bradys Kopf sieht, stammen von einem echten Unfall.
Diese Mischung aus dokumentarischen und fiktionalen Erzählformen ist derzeit im Independent-Kino recht verbreitet, sie ermöglicht es, tief in eine fremde Lebenswelt einzutauchen. Es ist erstaunlich, wie präzise die in Beijing geborene Regisseurin hier eine Geschichte aus dem amerikanischen „Heartland“ erzählt. Bereits in ihrem Langfilm-Debüt „Songs My Brother Taught Me“ (2015) widmete sich Chloé Zhao dieser Gegend.
Der kargen Prärie verbunden
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über den Film "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" - schwarzhumoriges US-Outsider-Drama von Martin McDonagh, mit zwei Oscars prämiert.
Trotz der offenkundigen Faszination Zhaos für diesen Ort ist ihr Film alles andere als verklärend. Sie zeigt die ärmlichen Verhältnisse, aber auch das, was die Menschen dort hält. Es ist die starke Verbindung zur weiten, kargen Prärie und zu den Tieren. Kameramann Joshua James Richards fängt diese Motive meist während des intensiven Abendlichtes ein.
Greifbare Verzweiflung
In der Weite der Landschaft erlaubt sich Zhao nur wenige elegische Szenen mit Pferd und Reiter. Eine mit dem Hufgetrappel und Schnauben der Pferde unterlegte elektronische Filmmusik bewahrt das schon so oft verwendete Stimmungsbild davor, in Kitsch abzudriften.
Neben der Landschaft beeindruckt vor allem Hauptdarsteller Brady Jandreau mit seiner starken Leinwandpräsenz. Sein Schmerz über das verlorene Leben und die Verzweiflung angesichts seiner Perspektivlosigkeit ist förmlich greifbar. In den Szenen, die ihn bei der Arbeit mit den Tieren zeigen, offenbart sich eine große Sensibilität. Welchen Ausweg sein Alter Ego letztlich aus seinem Lebensproblem finden wird, lässt der Film klugerweise offen.