Hans Weingartner

303

Jan (Anton Spieker) und Jule (Mala Emde) on the Road in ihrem Wohnmobil. Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 19.7.) Liebe auf Umwegen: Zwei junge Leute fahren in einem Wohnmobil gen Süden und kommen sich beim Diskutieren über Beziehungsmodelle und das Leben näher. Frisches Roadmovie von Regisseur Hans Weingartner, glaubwürdig und lebendig.

Ein Landstraßen-Trip im Wohnmobil von Berlin bis an den Atlantik: Mit „303“ legt Regisseur Hans Weingartner ein meditatives Roadmovie vor, dessen Protagonisten Jule und Jan im Verlauf ihrer Reise intensiv über Liebe, Nähe und Beziehungsmodelle diskutieren. In die Besetzung dieser Rollen mit Mala Emde und Anton Spieker hat Weingartner nach eigenen Angaben zwei Jahre der Suche investiert. Das hat sich gelohnt, denn vor allem dank ihrer Präsenz und Frische bleibt das Experiment einer allmählichen Annäherung auf engem Raum glaubwürdig und lebendig.

 

Info

 

303

 

Regie: Hans Weingartner,

145 Min., Deutschland 2018;

mit: Mala Emde, Anton Spieker

 

Website zum Film

 

Nach einer nicht bestandenen Prüfung in Biochemie ist Jule auf dem Weg zu ihrem Freund Alex in Portugal, um ihn über ihre ungewollte Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Jan plant, nach Köln zu trampen, um von dort mit dem Bus zu seinem ihm bisher unbekannten leiblichen Vater im Baskenland zu fahren. Mehr Reisekomfort ist für ihn nach der Absage eines Stipendiums durch eine konservative Studienstiftung nicht drin.

 

Raststätte des Schreckens

 

Nachdem ihn seine Mitfahrgelegenheit versetzt hat, trifft es sich für ihn gut, dass er Jule und ihrem eigentümlichen Reisegefährt begegnet. Jule nimmt Jan zunächst mit, setzt ihn jedoch nach einem schnell eskalierenden Streit zum Thema Selbstmord prompt wieder vor die Tür. Nach einigen kleineren und größeren Schrecken finden sie einige Raststätten weiter dann doch wieder zusammen. Gerade rechtzeitig taucht Jan auf, um einen Soldaten in die Flucht zu schlagen, der Jule bedrängt und fast vergewaltigt.

Offizieller Filmtrailer


 

Gegensätzliche Überzeugungen

 

Nach diesem Neustart haben die beiden eine kleine gemeinsame Ewigkeit, um sich über ihre jeweilige Sicht auf die Welt und die Menschheit auszutauschen. Zeit spielt in „303“ auf vielen Ebenen eine Rolle. Das beginnt mit einem vorangestellten Rilke-Zitat – „Dieses ist das erste Vorgefühl der Ewigkeit: Zeit haben für die Liebe“ –, und setzt sich im Erzählrhythmus fort, der sich der Reisegeschwindigkeit von Jules 30 Jahre altem Wohnmobil anpasst.

 

Bei aller gegenseitigen Sympathie stellen die beiden gleichaltrigen Reisenden schnell fest, dass sie in ihren Grundüberzeugungen kaum konträrer sein könnten. Jule geht davon aus, dass Menschen von Natur aus zu Kooperation und Empathie neigen und sich diese Tendenzen auf lange Sicht auch durchsetzen werden. Jan ist hingegen überzeugt, die Gattung sei von Grund auf egoistisch und habe Spaß an der Konkurrenz. Für ihn lassen sich dadurch der Kapitalismus und überhaupt die gesamte blutige Weltgeschichte erklären.

 

Der Realität abgelauscht

 

Hintergrund

 

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Ähnlich gegensätzlich sind ihre Ansichten, wenn es um Liebe und Sexualität geht. Immer stärker fokussieren sich ihre Gespräche auf diese Themen – und immer dringlicher werden ihre Versuche, das Gegenüber von der Richtigkeit der eigenen Standpunkte zu überzeugen. Umso größer wird aber auch die Gefahr, dem anderen an wunden Punkten zu nahe zu kommen und ihn zu verletzen – oder sich doch ineinander zu verlieben. „Aber wir bleiben stark, oder?“, fragt Jule noch, als das kaum mehr zu verhindern ist.

 

Hans Weingartner sieht sich selbst nicht zuletzt als Wissenschaftler, der sich vor allem für die Erforschung der Welt und des Sozialen interessiert. Bereits in seinen vorherigen Filmen hat er seine Protagonisten viel theoretisieren und das eigene Handeln analysieren lassen. Dass er in „303“ unnötigen Ballast abwirft, eröffnet seinem Schaffen eine neue Tiefe. Weil die Kamera überwiegend Positionen einnimmt, die denen der Figuren entsprechen, erscheinen die Reaktionen von Jule und Jan durchweg nachvollziehbar. Jedes ihrer Gespräch könnte so oder so ähnlich einer tatsächlichen Unterhaltung unentschlossen verliebter junger Menschen aus dem Studentenmilieu abgelauscht sein.

 

Nicht bloß pragmatisch

 

Den Naturalismus und die Intimität ihres Spiels haben die Hauptdarsteller gemeinsam mit dem Regisseur in einem Probenzeitraum von einem halben Jahr erarbeitet. Die Umsetzung erfolgte anschließend mit dem kleinstmöglichen Team unter tatsächlichen Reisebedingungen. Gerade dank der weitgehenden Beschränkung auf Innenraum und Umfeld des Wohnmobils (auf Basis des titelgebenden Mercedes LKW 303) gelingt das Porträt einer jungen Generation, die leidenschaftlich über den Ist-Zustand der Gesellschaft hinaus denkt. Das Private dient dabei als Folie für die Aufschlüsselung der Zusammenhänge einer Welt, deren Umrisse mit den gefahrenen Kilometern an Kontur gewinnt – für die Protagonisten wie für den Zuschauer.