
Am 14. Juli 2018 hätte Ingmar Bergman seinen 100. Geburtstag gefeiert – ein passender Anlass also für eine neue dokumentarische Würdigung des großen schwedischen Regisseurs. Die kommt in diesem Fall aus überraschender Richtung: Noch nie hatte die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta in ihrer langen Karriere eine Dokumentation gedreht. „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“ entstand nun als Auftragsarbeit, bei der von Trotta zusammen mit ihrem Sohn Felix Moeller und ihrer Schnittmeisterin Bettina Böhler Regie führte.
Info
Auf der Suche nach Ingmar Bergman
Regie: Margarethe von Trotta,
97 Min., Deutschland 2018;
mit: Daniel Bergman, Liv Ullmann, Olivier Assayas
Schach am Strand
Minutiös beschreibt sie zu Beginn ihrer Dokumentation die ersten Szenen von Bergmans Films, in denen der nach Hause kommende Ritter vom Tod überrascht wird. Schach werden die beiden spielen, am von Wellen umtobten Steinstrand: ein Spiel auf Leben und Tod – denn so lange der Ritter nicht verliert, schiebt der Tod sein finsteres Werk noch auf. Auch wenn nicht dort gedreht wurde, führt der karge, wilde Strand doch nahtlos nach Fårö, einer vor Stockholm gelegenen Insel, auf der Bergman oft drehte, später lebte und 2007 verstarb.
Offizieller Filmtrailer
Die eigene Kindheit als Thema
Hier leben einige seiner zahlreichen Kinder – neun sind es insgesamt, von sechs Frauen – die von Trotta interviewt und zu ihrem nicht immer einfachen Verhältnis zu ihrem berühmten Vater befragt. Er vermisse ihn nie, berichtet da etwa Daniel Bergman, ebenso wenig wie seine ebenfalls schon verstorbene Mutter Käbi Laretei, eine Pianistin. Was so einiges über das Verhältnis von Bergman zu seinen eigenen Kindern erzählt.
Vielleicht aber auch einfach über die Zeit, in der Bergman lebte. Eine Zeit, in der Kinder eben einfach da waren, ohne dass viel Aufhebens um sie gemacht wurde. Viel näher als seine Kinder scheint Bergman dann auch seine eigene Kindheit gewesen zu sein, die die Grundlage für zahlreiche autobiographische, oft psychoanalytisch geprägte Filme bildete.
Einfluss auf die moderne Filmsprache
Gerade die Bedeutung der Psychoanalyse, die insbesondere aus vielen der frühen Filme Bergmans spricht, lassen sie oft ein wenig altmodisch wirken: ganz einer Zeit verhaftet, in der schwermütige, sich selbst und die sie umgebende Welt analysierende Filmfiguren noch weitaus beliebter waren als in der Gegenwart. Was moderne Regisseure dennoch auch heute an Bergman begeistert und welchen Einfluss er auf ihre Filmsprache hatte, erläutern kurz und prägnant Filmemacher wie Olivier Assayas und Mia Hansen-Løve, Stig Björkman und Ruben Östlund.
Ausschnitte aus einigen der bekannteren Bergman-Filmen vervollständigen das Bild. Doch von Trotta legt es nicht darauf an, die Karriere Bergmans umfassend darzustellen. Zum Glück – gibt es doch schon genügend Dokumentationen, die sich mit Leben und Werk Bergmans beschäftigen. Leitfaden scheint stattdessen gewesen zu sein, welche ehemaligen Wegbegleiter des Regisseurs sie vor die Kamera bekommen konnte.
Unausgewogen persönlich
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Kunstbeitrags "Ingmar Bergman - Von Lüge und Wahrheit" - umfassende Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen, Berlin
und hier einen Bericht über das nordische Familien-Drama "Bessere Zeiten" - von Ex-Bergman-Darstellerin Penilla August
und hier einen Beitrag über den Film "Nader und Simin- eine Trennung" über ein Mittelklasse-Paar in Teheran von Ashgar Farhadi, dem Ingmar Bergman des Iran und Berlinale-Sieger 2011
Was schließlich zum zweiten Bezug zwischen Bergman und von Trotta führt: Als Bergman Mitte der 90er-Jahre nach seinen zehn Lieblingsfilmen gefragt wurde, nannte er neben Großklassikern wie Akira Kurosawas „Rashomon“, Andrei Tarkowskis „Andrej Rubljow“ und Federico Fellinis „La Strada“ auch von Trottas 1981 entstandenen RAF-Film „Die bleierne Zeit“. Als einzigen Film einer Frau und als einzigen einer lebenden Person.
Augenblicke der Eitelkeit
Verständlicherweise ist von Trotta unübersehbar stolz auf diese Nennung. Aber gerade solche Momente der Eitelkeit, in denen von Trotta mehr über sich verrät, als über Bergman zu erzählen, sorgen dafür, dass aus „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“ kein Jubel-Porträt geworden ist. Sondern eine Würdigung von Künstler zu Künstler.