Jessica Chastain

Die Frau, die vorausgeht

Der legendäre Sioux-Häuptling Sitting Bull (Michael Greyeyes) und die Malerin Catherine Weldon (Jessica Chastain). Foto: © Tobis
(Kinostart: 5.7.) Ein Porträt des Häuptlings: Die Witwe Catherine Weldon reist ins Reservat, um den Sioux-Anführer Sitting Bull zu malen. Das Westerndrama von Regisseurin Susanna White bemüht sich um "political correctness", kann aber nicht jedem Klischee entrinnen.

Mutige Menschen, die in der Prärie auf der Suche nach einem Abenteuer sind, haben bereits Stoff für viele Western geliefert. Meist aber bietet der „wilde Westen“ darin lediglich eine sehenswerte Kulisse, und die historischen Fakten bleiben – vor allem auf Kosten der amerikanischen Ureinwohner – auf der Strecke. Der Spielfilm „Die Frau, die vorausgeht“ besitzt einen anderen Anspruch und bemüht sich insbesondere um das, was man heute „political correctness“ nennt.

 

Info

 

Die Frau, die vorausgeht

 

Regie: Susanna White,

102 Min., USA 2018;

mit: Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell

 

Website zum Film

 

Die aus Großbritannien stammende Regisseurin Susanna White hat sich dafür Begebenheiten aus dem Leben historischer Figuren als Vorlage gesucht. Mit einer Frau und einem amerikanischen Ureinwohner nimmt sie sich zwei für einen Western eher unüblicher Helden an: Im Jahr 1889 reist die wohlhabende Witwe Catherine Weldon (Jessica Chastain) nach North Dakota. Die 40-jährige Malerin hat sich in ihren eigenwilligen Kopf gesetzt, den berühmten Sioux-Häuptling Sitting Bull (Michael Greyeyes) zu porträtieren.

 

Krieg gegen die Ureinwohner

 

Es wirkt zunächst recht naiv, wenn die elegante Frau mit Hütchen, Korsett, Absatzschuhen und Handschuhen in ihrem Erste-Klasse-Abteil von den stolzen Indianern träumt. Catherine scheint nicht zu wissen, dass sich die US-Regierung im Krieg gegen die Ureinwohner befindet. Die Niederlage in der Schlacht am Little Bighorn, die unter anderem auch von Sitting Bull angeführt wurde, steckt den Befehlshabern noch in den Knochen.

Offizieller Filmtrailer


 

Im Reisekostüm ins Reservat

 

In der damaligen Wahrnehmung gelten Indianer als gewalttätige Rebellen, die die Siedlungspolitik der Regierung sabotieren und weiße Amerikaner brutal und hinterhältig abschlachten. Zwar gibt es im späten 19. Jahrhundert bereits liberalere und fortschrittlichere Stimmen. Doch die Sympathisanten der Indianer, die sich zur National Indian Defense Association (NIDA) formiert haben, sitzen vor allem an der Ostküste. Sie bekommen vom Spannungsfeld zwischen Militär, Siedlern und Ureinwohnern wenig mit.

 

Die Realität lässt dann auch nicht lange auf sich warten: Im Speisewagen des Zuges lernt Catherine Colonel Groves (Sam Rockwell) kennen. Der US-Soldat, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen „Indianer-Sympathisanten“ macht, verdächtigt sie, eine Spionin für die NIDA zu sein. Er rät ihr zur sofortigen Umkehr. Catherine ignoriert seinen Rat und wird, kaum dass sie angekommen ist, bespuckt, beleidigt und ausgeraubt. Man weiß nicht, ob man die halsstarrige Frau im weißen Reisekostüm ob ihrer Kühnheit bewundern oder wegen ihrer Naivität bemitleiden soll.

 

Kartoffelanbau statt Rebellion

 

Doch Catherine erweist sich als zäher und entschiedener als gedacht. Allen Widerständen zum Trotz  erreicht sie tatsächlich das Reservat Standing Rock, in dem Sitting Bull lebt und den Widerstand scheinbar aufgegeben hat. Als Catherine den Indianer kennenlernt, ist er gerade dabei, Kartoffeln anzubauen. Sitting Bull willigt schließlich ein, von Catherine gemalt zu werden, nachdem er stolz und selbstbewusst ein Honorar von 1000 Dollar ausgehandelt hat.

 

Ganz langsam nähern sich die beiden unterschiedlichen Menschen einander an und entdecken in ihrem Drang nach Freiheit die ein oder andere Gemeinsamkeit. Sitting Bull nimmt den Widerstandskampf wieder auf und besinnt sich seiner Stärken. Doch die politische Situation brodelt. Colonel Groves und sein Vorgesetzter General Crook (Bill Camp) beginnen, das Reservat auszuhungern, um die Indianer zu einer Unterschrift zu zwingen: Sie sollen noch mehr Land abgeben und auf die Black Hills verzichten, die ihnen heilig sind. Catherine, die immer noch an Gerechtigkeit und Demokratie glaubt, muss Position beziehen und sich entscheiden, wie stark sie sich für die Rechte der Indianer einsetzt. Doch Sitting Bull hat diese Frage schon beantwortet: Er tauft Catherine „Frau, die vorausgeht“.

 

Die Politik der weißen Frau

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Verräter wie wir" – rasanter Mafia-Agenten-Thriller mit Stellan Skarsgård von Susanna White

 

und hier einen Bericht über den Film "Molly's Game" - Thriller über illegales Pokern mit Jessica Chastain von Aaron Sorkin

 

und hier einen Beitrag über den Film "Wind River" - kühler Neo-Western über Mord im Indianerreservat von Taylor Sheridan.

 

Zwar bemüht sich Regisseurin White um einen differenzierten und modernen Blick auf die unrühmliche amerikanische Politik des 19 Jahrhunderts, doch auch sie bügelt in ihrem Film den ein oder anderen Fakt zugunsten von Westernromantik glatt. Man weiß recht wenig vom echten Leben der Caroline Weldon (wie das historische Vorbild tatsächlich hieß), doch sie war sicher nicht so unbedarft wie der Film sie darstellt. Als unangepasste, geschiedene Frau reiste sie mit ihrem Sohn umher und war durchaus in der NIDA aktiv, bevor sie ihren Weg ins Reservat antrat.

 

So mutet es seltsam an, dass das Drehbuch eine sanfte, ahnungslose Witwe aus der Malerin macht. Auch der charismatische Häuptling Sitting Bull gerät im Film etwas zahm und hilflos. Dass es eine weiße Frau braucht, um dem Oberhaupt der Lakota-Sioux etwas über Politik beizubringen, ist eine der Klischeefallen, in die sich die Regisseurin trotz ihrer guten Absichten begibt.

 

Respekt vor historischen Figuren

 

Die Qualität des Films zeigt sich vor allem in der Darstellungskunst der Schauspieler Jessica Chastain und Michael Greyeyes, die ihre Rollen mit viel Charisma ausfüllen und sie mit großem Respekt vor den historischen Vorbildern spielen. Trotzdem kommt „Die Frau, die vorausgeht“ nicht ganz ohne Liebesgeschichte aus. Allerdings bleibt eine Affäre zwischen Catherine und Sitting Bull nur angedeutet – doch auch die sehnsüchtigen Blicke am Lagerfeuer hätte es nicht gebraucht.

 

Der Wermutstropfen bleibt: Ein Film über das erlittene Unrecht und den Genozid an den Ureinwohnern Amerikas, der sich mit der Wehmut über die verlorene Kultur der Indianer zu einer längst fälligen Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der US-Geschichte verdichtet, sollte nicht durch romantische Anklänge weichgespült werden.