Alejandro Jodorowsky

Endless Poetry

Karneval. Foto: ©Pascale Montandon-Jodorowsky . Fotoquelle: Wolf Kinos Steppenwolf
(Kinostart: 19.7) Im surrealen Bilderrausch: Der exzentrische chilenische Filmemacher Alejandro Jodorowsky fasziniert mit einem autobiographischen Spielfilm, der vor allem einer poetischen Logik folgt – ein wildes Fest der Farben und der Fantasie.

Er war einer der Helden des Autorenkinos der 1970er Jahre: Alejandro Jodorowsky, chilenischer Regisseur, Autor, Schauspieler, Mystiker und Poet. Ein Universalkünstler, der nun, im hohen Alter, eine Art filmische Autobiographie vorlegt. Selbst wenn man wenig über Jodorowskys Leben und Kunst weiß, ist „Endless Poetry“ ein faszinierender Rausch an Bildern und exzentrischen Motiven: mehr Märchen als Realität.

 

Info

 

Endless Poetry

 

Regie: Alejandro Jodorowsky,

128 Min., Chile/ Frankreich 2016;

mit: Adan Jodorowsky, Brontis Jodorowsky, Leandro Taub

 

engl. Website zum Film

 

Vor allem zwei Filme sind es, für die Alejandro Jodorowsky als Regisseur berühmt ist: der Western „El Topo“ (1970)  und der drei Jahre später entstandene „Montana Sacra – Der heilige Berg“. Beide Filme waren surreale Trips, voll von Motiven und Bezügen zu Kunst und Poesie, Mystizismus und Esoterik. Aufgrund ihrer surrealen, gleichermaßen traum- wie alptraumhaften Bilder avancierten sie schnell zu Kultfilmen, die insbesondere dank der seinerzeit weit verbreiteten halluzinogenen Rauschmitteln ihre Wirkung entfalteten und jahrelang in den Mitternachtsvorstellungen einschlägiger Kinos ihr Publikum fanden.

 

Präziser Blick in die Zukunft

 

Anschließend hatte Jodorowsky jedoch große Schwierigkeiten, seine Filme zu finanzieren: Bis 1989 entstanden lediglich drei weniger beachtete Werke. In jener Zeit verarbeitete Jodorowsky seine spirituellen Gedanken in anderen Medien: Zusammen mit dem Comic-Genie Moebius schuf er den „Incal“-Zyklus (auf Deutsch bekannt als „John Difool“), und schrieb esoterische Ratgeber mit Titeln wie „Praxisbuch der Psychomagie“. In seiner Pariser Wahlheimat hielt er regelmäßig mystische Tarot-Sitzungen ab, bei denen er, wie berichtet wird, erstaunlich präzise in die Zukunft blickte. Und schließlich scheiterte er an einem Projekt, das wohl sein Opus Magnum geworden wäre: einer epischen Verfilmung von Frank Herberts „Dune“. Spuren des Projekts hallen – insbesondere beim Design – noch in David Lynchs Version von „Dune“ nach.

Offizieller Filmtrailer OV mit engl. Untertiteln


 

Ein poetischer Zirkus

 

Seit Anfang der 2010er Jahre arbeitet der Chilene nun wieder an Filmen:  2013 entstand „The Dance of Reality“, drei Jahre später „Endless Poetry“, der jetzt doch noch einen kleinen Start in den deutschen Kinos erlebt. Beides sind autobiographische Werke, die sich thematisch immer wieder überschneiden. Wobei man den Begriff Autobiographie bei einem dem Surrealen zugeneigten Künstler wie Jodorowsky nicht zu wörtlich nehmen sollte.

 

Als lose Erzähllinie dient der Wunsch des jungen Alejandro (zunächst gespielt von Jodorowskys Sohn Adan, später von Jeremias Herskovits) Poet zu werden. Obwohl sein Vater Jaime (Brontis Jodorowsky, ebenfalls ein Sohn) Künstler für verweichlicht und schwul hält, zieht Alejandro in die Welt hinaus, um sich seinen Traum zu erfüllen. Er schließt sich einem Zirkus an und begegnet dabei mehr oder weniger merkwürdigen Gestalten: Clowns und Akrobaten, Zwergen und Riesen, aber auch bekannten chilenischen Poeten wie Nicanor Parra und Stella Diaz.

 

Beobachtung des eigenen Ichs

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Neruda" - Biopic über den chilenischen Nationaldichter Pablo Neruda von Pablo Larraín

 

und hier einen Bericht über den Film "Gloria" hinreißendes Porträt einer 58-jährigen Chilenin von Sebastián Lelio, prämiert mit Silbernem Bären 2013

 

und hier eine Besprechung des Films „¡No!“ – packendes Polit-Drama über das Ende der Pinochet-Diktatur in Chile mit Gael García Bernal von Pablo Larraín

 

Schließlich lernt Alejandro Enrique Lihn (Leandro Taub) kennen, mit dem ihn fortan eine innige Freundschaft verbindet. Gemeinsam führt das Duo anarchische Performances durch: wie etwa, ungeachtet jeglicher Hindernisse auf einer geraden Linie die Stadt zu durchqueren. Was dazu führt, dass sie die Wohnung einer älteren Dame durchqueren und über ihr Bett steigen müssen, um das Projekt konsequent zu Ende zu bringen.

 

Es wird viel gesungen und getanzt in „Endless Poetry“: Melancholische Lieder und rauschhafte Feste konturieren den bunten Reigen, der weniger einer narrativen, als eher einer poetischen Logik folgt. Dass Jodorowsky – der selbst immer wieder auftaucht und die Erlebnisse seiner jüngeren Ichs beobachtet und kommentiert – bei den Dreharbeiten bereits 86 Jahre alt war, macht das Ergebnis noch erstaunlicher. Denn „Endless Poetry“ ist alles andere als ein ruhiger, nachdenklicher Film, sondern ein wildes Fest.

 

Farbgetränkter Bilderrausch

 

Ein Rausch der Bilder, gefilmt von Kameramann Christopher Doyle, dessen grelle und farbgetränkte Bilder – die einst dazu betrugen, den Hongkong-Regisseur Wong Kar-Wai berühmt zu machen – sich ideal zur überbordenden Fantasie Jodorowskys fügen. Idiosynkratische Filme, die nicht nur eindeutig die Handschrift ihres Autors tragen, sondern geradezu sein Wesen verkörpern, werden heute kaum noch gedreht. Dem Multitalent Alejandro Jodorowsky ist im hohen Alter noch einmal ein ungewöhnliches und äußerst bemerkenswertes Exemplar gelungen.