Frida: Ein feines, sensibles Gesichtchen mit großen braunen Augen, das von dunklen Locken umrahmt wird. Das eigentlich lebenslustige Mädchen (Laia Artigas) wird durch den Tod seiner Mutter in ein neues Leben geworfen und kämpft mit seiner großen Traurigkeit. Onkel Esteve (David Verdaguer), Tante Marga (Bruna Cusí) und ihre kleine Cousine Anna (Paula Robles) sollen nun Fridas neue Familie werden.
Info
Fridas Sommer
Regie: Carla Simón,
96 Min., Spanien 2016;
mit: Laia Artigas, Paula Robles, Bruno Cusí
Zigaretten im Himmel
Einer Madonnenstatue bringt das Mädchen häufig Zigaretten. Die Heilige soll sie ihrer Mutter im Himmel übergeben. In einer anderen Szene kostümiert sich Frida mit Schminke, Federboa und Stiefeln und schlüpft dabei offensichtlich in die Rolle der Verstorbenen. Und Anna zeigt sie ihre vielen Puppen, die sie bekommen hat, „weil alle mich so lieb haben“.
Offizieller Filmtrailer OmU
Ringen um das Alltägliche
„Fridas Sommer“ besticht durch seine genau beobachteten Szenen, die ausschließlich Alltagssituationen zeigen. Doch es ist ein Alltag, um den alle Beteiligten ringen: Wie geht man mit einem Kind um, das gerade seine Mutter verloren hat? Wie setzt man ihm Grenzen? Wie gibt man ihm Sicherheit und Liebe? Und wo nimmt man die überhaupt her?
Der Tod ihrer Eltern – der Vater war bereits vor der Mutter gestorben – bringt die 6-Jährige automatisch in eine Sonderrolle. Die nutzt sie durchaus auch zu ihrem Vorteil, indem sie sich vor altersgemäßen Aufgaben drückt oder kleine Privilegien aushandelt. Dass ihre Situation sie nicht von Verantwortung entbindet, muss Frida erst lernen. Die Überfürsorge der Erwachsenen hilft ihr dabei nicht.
Spannungen in der Familie
Marga und Esteve haben unglaublich viel Geduld, aber ihre auf so tragische Weise vergrößerte Familie muss sich erst neu finden. Das geht bei allem guten Willen nicht von heute auf morgen. Vor allem Marga ringt mit ihrer Rolle als Fridas neue Mutter. Spannungen im Verhältnis zu den Großeltern belasten die Situation zusätzlich. Es ist eine Nagelprobe für alle Beteiligten.
Erst nach und nach kommt zwischen den Zeilen heraus, dass die Eltern des Mädchens an Aids gestorben sind. Anfang der 1990er Jahre hatte Spanien eine der höchsten Infektionsraten in Europa, etwa 21.000 Menschen starben an der Krankheit bevor die antiretroviralen Medikamente zur Verfügung standen. Dass sie ebenfalls infiziert sein könnte, lastet wie ein Stigma auf Frida.
Nur vorübergehend im Gleichgewicht
Hintergrund
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Quasi nebenbei erzählt Simóns Werk auch etwas über die universellen Funktionsmechanismen von Familien. Mit genauem Blick lotet der Film das fein austarierte Beziehungsgefüge zwischen den einzelnen Familienmitgliedern aus, das sich bestenfalls temporär im Gleichgewicht befindet.
Der Tod als neuer Anfang
Der Film funktioniert sowohl für Erwachsene als auch für etwas ältere Kinder. Schließlich setzen sich schon Kinder mit den elementaren Fragen von Leben und Tod auseinander – meist viel unmittelbarer als Erwachsene dies tun. Da ist es sehr hoffnungsvoll, dass Fridas Beispiel bei aller mitschwingenden Traurigkeit Mut macht, dass der Tod der Eltern nicht nur das Ende, sondern auch einen Neubeginn bedeutet.
Die Filmemacherin zeigt den Schmerz über den unwiederbringlichen Verlust, aber auch die Stärke ihrer Protagonistin. Beides braucht Frida, um sich zaghaft auf ihr neues Leben einzulassen. Ihr dabei zuzusehen, ist in höchstem Maße berührend. „Fridas Sommer“ ist ein leichter Film über ein schweres Thema.