Juliana Rojas + Marco Dutra

Gute Manieren

Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 26.7.) Eine fleischliche Beziehung: Die Krankenschwester Clara zieht das Werwolf-Kind ihrer Geliebten groß. Komplexes brasilianisches Horror-Drama, das in seinem ständigen Wechsel von Stilen und Genres etwas mehr verspricht als es einlösen kann.

Märchen? Horrorfilm? Liebesgeschichte? Sozialdrama? Es ist nicht leicht, „Gute Manieren“ einem Genre zuzuordnen. Doch das brasilianische Regie-Duo Juliana Rojas und Marco Dutra will sich auch gar nicht festlegen: Ihr Film vereint viele Elemente und spielt selbstbewusst mit Filmzitaten und unseren Sehgewohnheiten.

 

Info

 

Gute Manieren

 

Regie: Juliana Rojas und Marco Dutra

135 Min., Brasilien/ Frankreich 2017;

mit: Isabél Zuaa, Marjorie Estiano, Miguel Lobo;

 

Website zum Film

 

Mehrfach wechselt der Film Fokus, Perspektive und Machart: Märchenhafte Romantik wechselt sich hier mit kühlem Realismus ab, Trash trifft auf Sozialdrama. Einmal sehen die Bilder altmodisch verspielt aus, dann wieder artifiziell futuristisch. Eine gewagte Mischung, die mitunter allzu explosiv und experimentell geraten ist, aber durchaus fasziniert.

 

Ungenierter Reichtum

 

Die junge Krankenschwester Clara (Isabél Zuaa) hat ein Vorstellungsgespräch in einem Apartmentkomplex in Downtown São Paulo. Nach Anmeldung und Überprüfung werden der jungen schwarzen Frau nach und nach die mehrfach gesicherten Türen geöffnet. Wer hier wohnt, der braucht Schutz von außen, denn der Reichtum, der hier ungeniert zur Schau gestellt wird, steht in krassem Kontrast zu anderen Vierteln der Millionenmetropole, in der viele Einwohner in ärmlichen Verhältnissen leben müssen.

Offizieller Filmtrailer


 

Das andere Ende der Gesellschaft

 

Mit dem Personalaufzug darf Clara schließlich nach oben fahren und wartet in dem schicken Apartment von Dona Ana (Marjorie Estiano), bis sie empfangen werden kann. Mit ruhigem, festen Blick nimmt Clara die große Wohnung und den atemberaubenden Ausblick auf São Paulo auf. Sie wohnt am Ende der Aussicht, in der Peripherie: am anderen Ende der Gesellschaft.

 

Es wird deutlich, dass hier zwei extreme Gegenpole aufeinandertreffen: Ana und Clara stehen für zwei Vertreterinnen der brasilianischen Gesellschaft, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Soziale Klassenunterschiede sind in Brasilien immer noch allgegenwärtig und bestimmen Alltag und Miteinander auf Schritt und Tritt.

 

Von der Familie verstoßen

 

Dona Ana benötigt Hilfe. Die junge Frau vom Land ist nach einem One Night Stand mittlerweile hochschwanger und wurde von ihrer Familie verstoßen. Die Tochter aus gutem Hause taucht in der Großstadt unter und will noch einmal von vorne anfangen. Doch mit einem selbständigen Leben tut Ana sich schwer. Sie, die stets Bedienstete hatte, kann eigentlich nichts und benötigt für alle Dinge des Lebens Rat und Unterstützung.

 

Clara erweist sich als geduldig und patent und lässt sich von Anas Launen und ihrer herrischen Art nicht abschrecken. Die beiden Frauen nähern einander an, lernen sich verstehen. Ganz langsam entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Ana verändert sich mit voranschreitender Schwangerschaft allerdings immer mehr: Etwas Animalisches bricht in ihr durch, sie wird immer wilder. Ana entwickelt einen rasenden Heißhunger auf Fleisch und beginnt bei Vollmond zu Schlafwandeln. Wie in Trance streift sie durch die nächtliche Stadt und trinkt Blut von streunenden Tieren. Clara weiß genug von Werwölfen, um zu begreifen, dass Ana kein normales Baby erwartet.

 

Eine monströse Geburt

 

„Gute Manieren“ ist wunderschön fotografiert und zieht den Zuschauer in seiner ersten Hälfte zunehmend in seinen Bann. Plot, Atmosphäre und Stimmung erzeugen die prickelnde Spannung eines guten Thrillers. Das moderne Thema bettet sich hervorragend in die märchenhafte Fabel ein und bewirkt eine reizvolle Verfremdung. Eine gezeichnete Comic-Rückblende ergänzt den Film auf fantasievolle Weise. Das kreative Konzept geht auf.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mother!" - alptraumhafter Horrortrip von Darren Aronofsky

 

und hier einen Bericht über den Film "A Cure for Wellness" - glänzend gruseliger Mystery-Horror-Thriller von Gore Verbinski

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sieben Minuten nach Mitternacht" - bewegendes Melodram über Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Monster von  Juan Antonio Bayona

 

Doch dann folgt ein Bruch: Eine gewaltsame und blutige Geburt, bei der Ana ums Leben kommt,  lässt den Film ins Horror-Genre wechseln. Das Monster, das Ana geboren hat, wirkt allerdings ziemlich trashig – mit der Ästhetik und der Schönheit des bisherigen Films ist es nun vorbei. Noch bevor man sich an diesen Stilbruch gewöhnt hat, wechselt „Gute Manieren“ ein weiteres Mal die Perspektive: Nun zeigt der Film den Alltag einer alleinerziehenden Frau, die in einfachen Verhältnissen lebt und damit zurechtkommen muss, dass ihr Kind anders ist als alle anderen.

 

Die Probleme wachsen

 

Clara, die sich aus Liebe zu Ana des kleinen Monsters angenommen hat, kümmert sich liebevoll und sorgfältig um das fremdartige Kind. Doch je älter der kleine Joel wird, umso größer werden die Probleme, die Clara bewältigen und verheimlichen muss. Als Joel schließlich das Geheimnis seiner Herkunft lösen will, gerät die Situation außer Kontrolle.

 

So stark die erste Hälfte des Filmes ist, so befremdlich mutet der Teil um den heranwachsenden Werwolf an. Da der Spannungsbogen der Geschichte bereits erschöpft ist, zieht sie sich nun in die Länge. Was bisher reizvoll war, geht nicht mehr auf: Soll der junge Werwolf nun gruselig oder eher anmutig sein? Diese Unentschiedenheit lässt den Film immer trashiger wirken. Juliana Rojas und Marco Dutra wollten wohl doch etwas zu viel in einen einzigen Film packen.