Basel

The Music of Color: Sam Gilliam, 1967–1973

Sam Gilliam: Autumn Surf, Ausstellungsansicht, «Works in Spaces» im San Francisco Museum of Modern Art, 1973. Foto: Art Frisch, Courtesy San Francisco Chronicle. ©2018, ProLitteris, Zurich. Fotoquelle: © 2018 Kunstmuseum Basel
Freischwingende Leinwände in sattem Farbenglühen: Das Kunstmuseum präsentiert in einer großen Einzelschau die spannendsten Werke des afroamerikanischen Malers Sam Gilliam, der in den 1960er Jahren die abstrakte Malerei vom Keilrahmen befreite.

In Europa ist er kaum bekannt. Doch in den USA erlebt der 84jährige Sam Gilliam gerade eine phänomenale Wiederentdeckung. Das Kunstmuseum Basel zieht jetzt nach und stellt den afroamerikanischen Maler in einer großen Einzelschau vor. Sie konzentriert sich auf seine spannendsten, radikalsten Jahre: In den späten 1960ern beschloss Gilliam, seine abstrakten Leinwände freischwingend in den Raum zu hängen. Keilrahmen adé!

 

Info

 

The Music of Color: Sam Gilliam, 1967–1973

 

09.06.2018 - 30.09.2018

täglich 10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Kunstmuseum Basel, Neubau, St. Alban-Graben 8, Basel

 

Weitere Informationen

 

Die scheinbar spielerische Geste war ein revolutionärer Akt. Sie eröffnete der Malerei neue Dimensionen – frei improvisierend wie Jazzmusik. Von deren Rhythmen ließ Sam Gilliam sich inspirieren. „The Music of Color“ ist seine erste Soloschau in Europa. Überraschend dabei: Gilliams abstrakte Malerei ist nicht so unpolitisch, wie es auf den ersten Blick scheint.

 

Verfließende Farben

 

Mit dem Frühwerk des 1933 geborenen Sam Gilliam hält die Basler Schau sich nicht lange auf. Er startete seine Karriere im Fahrwasser des strikt geometrischen „Color Field Painting“ in Washington. Doch seine kühl konstruierten Streifenbilder waren für Gilliam nur ein Sprungbrett zum freien Experimentieren. „Skeletal Curl“ von 1966 im ersten Raum führt gleich mitten hinein in seine entscheidende Aufbruchphase. Violett, Grün, Rot und Blau fächern sich auf wie Regenbogentöne in einem Prisma. Aber die Farben hält es nicht mehr in ihren klaren Grenzen. Sie greifen ineinander und verfließen.

Doppel-Feature über die Austellung; © Sotheby's


 

Der Zufall gestaltet mit

 

Diese „Soak Stain“-Technik hatte Gilliam von Helen Frankenthaler übernommen, die in den 1950er Jahren erstmals flüssige Farbe über ungrundierte Leinwände laufen ließ, inspiriert von Jackson Pollock. Gilliam ging weiter. Er faltete die noch feuchte Leinwand und ließ den ganzen Stoffhaufen oft über Nacht trocknen. Erst am nächsten Morgen kehrte der Künstler zurück, entfaltete das vom Zufall mitgestaltete Resultat und zog es auf einen Keilrahmen auf. Aber braucht ein Bild überhaupt einen Keilrahmen?

 

Als Gilliam 1969 die Chance erhielt, im neun Meter hohen Atrium der renommierten Corcoran Galerie in Washington auszustellen, wagte er den entscheidenden Schritt. Er ließ den Keilrahmen weg. Als 22 Meter lange Stoffmasse schwingt sich „Light Depth“ in den Raum – wie Wäsche auf der Leine. Jahrhundertelang war der rechteckige Keilrahmen die Norm abendländischer Malerei. Leichter transportabel als das mittelalterliche Holztafelbild und im Barock zu imponierender Größe angewachsen, startete das Leinwandbild seinen Siegeszug bis in die Gegenwart.

 

Variationen eines Prinzips

 

Gilliam scherte aus der Tradition aus. Er gab dem textilen Bildträger die Freiheit, sich so zu verhalten, wie Stoff es eben tut: Falten schlagen, der Schwerkraft nachgeben und locker durchhängen. Eine eindrucksvolle Folge riesiger „Drape Paintings“ in der Ausstellung führt vor, wie der Künstler sein einmal entdecktes Prinzip gründlich variierte. Mal in zurückhaltenden Pastelltönen, mal in sattem Farbenglühen erweist er sich als ein Mann mit echtem Gespür fürs Kolorit. Dass ihn Claude Monets monumentale Seerosengemälde in Paris begeisterten, glaubt man sofort. Auch der Impressionist befreite die Farbe ja bereits weitgehend von ihrer Abbildfunktion.

 

Wer die hierzulande bekannteren Großmeister der Abstraktion wie Gerhard Richter oder Katharina Grosse schätzt, sollte sich Sam Gilliam nicht entgehen lassen. Allen anderen gibt die Basler Ausstellung immerhin die Chance, ihren kunsthistorischen Kanon politisch korrekt zu komplettieren. Die „Black Art“-Bewegung in den USA forderte schon in den 1960er Jahren mit Stolz und Selbstbewusstsein Gleichberechtigung ein.

 

Freiheit der Kunst

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Sculpture on the Move 1946–2016" – Eröffnungs-Schau im Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Turner – Monet – Twombly: Later Paintings" - anschauliche Themenschau zur Entwicklung abstrakter Farbmalerei mit Werken von Cy Twombly in der Staatsgalerie Stuttgart

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Panorama" - große Retrospektive des Werks von Gerhard Richter mit etlichen abstrakten Farbbildern in der Neuen Nationalgalerie, Berlin.

 

Sam Gilliam allerdings geriet damals in die Kritik: Viele Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung waren der Ansicht, ein schwarzer Künstler müsse sich für die gemeinsame Sache einsetzen – mit figurativen Werken und klarer Botschaft. Für Gilliam hingegen bestand auf der Freiheit, schrankenlos abstrakt zu arbeiten: auch dies ein Akt der Emanzipation von Festschreibungen, Einschränkungen und kulturellen Grenzen.

 

Wie viel an gedanklichen Inhalten in Gilliams gegenstandslosen Farbimprovisationen mitschwingt, deuten oft nur die Titel an. „Lady Day“ zitiert den Spitznamen der schwarzen Jazzsängerin Billie Holiday. Das ätherisch-lichte Großformat „Green April“ ist eine Hommage an den 1968 ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King. Bei dessen berühmter Rede „I have a dream“ 1963 in Washington war der junge Maler unter den 200.000 Zuhörern.

 

Zurück im Rampenlicht

 

1972 vertrat Sam Gilliam als erster schwarzer Künstler die USA auf der Biennale in Venedig. Seine drei damals gezeigten Werke sind jetzt in Basel zu sehen. Im vergangenen Jahr kehrte Gilliam auf die Biennale in Venedig zurück – mit einer riesigen freischwingenden Leinwand, leuchtend blau, am Hauptpavillon in den Giardini. Mehr als dreißig Jahre lang war der Künstler zwischenzeitlich aus dem Visier der Kunstszene geraten. Nun ist er zurück.