Sergei Loznitsa

Donbass

Ein Soldat kontrolliert den Pass von Michael Walter (Thorsten Merten) . Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 30.8.) Knietief in einem Sumpf aus Korruption und Verbrechen: Der in Deutschland lebende Regisseur Sergei Loznitsa beschreibt in seinem episodischen Spielfilm die Dehumanisierung der Gesellschaft in der Ost-Ukraine – kraftvoll und bewegend.

Zwischen 2014 und 2017 existierte im Osten der Ukraine ein allgemein nicht anerkannter Staat: Neurussland nannte sich das Gebilde, das von Separatisten ins Leben gerufen wurde, die sich gegen den gewählten Präsidenten stellten. Dass die separatistischen Soldaten von Russland unterstützt wurden, ist kein Geheimnis. Doch wie weit der Einfluss von Putins Regierung wirklich ging, ist kaum klar zu beantworten – nicht zuletzt, weil die Ost-Ukraine für unabhängige Berichterstatter nicht frei zugänglich ist.

 

Info

 

Donbass

 

Regie: Sergei Loznitsa,

121 Min.,

Ukraine/ Deutschland/ Frankreich 2018;

mit: Thorsten Merten, Boris Kamorzin, Valeriu Andriuta

 

Website zum Film

 

In dieser Region, die historisch als Donbass bezeichnet wird (abgeleitet vom Fluss Donez und dem Donezbecken), spielt der vierte Spielfilm des aus der Ukraine stammenden Regisseurs Sergei Loznitsa, der seit langem in Deutschland lebt. 13 Episoden, die sich in den letzten Jahren im Donbass zugetragen haben, hat Loznitsa zu einem losen Geflecht geformt, das weniger durch eine klare Narration als durch ein Thema und einen Ort zusammengehalten wird.

 

Zwischen Realität und Fiktion

 

Mehr als die früheren Spielfilme Loznitsas bewegt sich „Donbass“ deshalb auf der Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktivem. Zwar filmt Loznitsa erneut vor allem in langen Plansequenzen – die Kamera führte wie bei „Mein Glück“, „Im Nebel“ und „Die Sanfte“ wieder  der große rumänische Kameramann Oleg Mutu, der etliche der wichtigsten Filme des neuen rumänischen Kinos fotografierte –, doch stilistisch driften die Episoden weit auseinander.

Offizieller Filmtrailer


 

Verfall einer Gesellschaft

 

Manche, etwa der Beinahe-Lynchmord an einem ukrainischen Soldaten, der beschuldigt wird, freiwillig bei einem Erschießungskommando mitgewirkt zu haben, muten vollständig dokumentarisch an. Andere Sequenzen wirken hingegen wie burleskes Theater: etwa, wenn eine Frau in eine Redaktionskonferenz platzt und den Chefredakteur aus Ärger über einen Artikel im Wortsinn mit Scheiße überschüttet. Oder wenn eine anfangs noch zivilisierte Hochzeitsfeier in grotesk anmutende Exzesse ausartet.

 

Die Vielzahl der Episoden, die Menge an Figuren und Schauplätzen lässt „Donbass“ zerfahrener wirken als Losnitsas vorherigen Film „Die Sanfte“, in dem er konzentriert und dicht das Schicksal einer Frau schildert, die in einen Strudel aus Korruption und Machtmissbrauch gerät. Hier springt er hingegen durch eine Vielzahl von Episoden, die meist nur lose miteinander verbunden sind, thematisch jedoch stets ein Bild des gesellschaftlichen Verfalls zeichnen.

 

Reflexion des Mediums

 

Dabei mag es zur osteuropäischen Erzähltradition gehören, bisweilen ordentlich dick aufzutragen und mit dem Grotesken zu flirten. Subtil ist hier kaum etwas. Im Gegenteil: Loznitsas offensichtliche Wut über die Zustände in einem Teil seiner Heimat lässt ihn scheinbar immer wieder in Zynismus abdriften. Das geht teilweise so weit, dass er den Menschen des Donbass kaum noch menschliche Gefühle zuzugestehen scheint.

 

Doch natürlich ist sich Losnitsa der Komplexität der Situation bewusst: Gleich die erste Szene zeigt eine Maskenbildnerin, die eine Laiendarstellerin für eine Filmszene schminkt, in der ein Angriff auf einen Bus nachgestellt wird. Immer wieder wird Loznitsa mit kleinen selbstreflexiven Momenten den Filmapparat andeuten: Mal erscheint ein Kameramann im Bild, mal filmen sich Figuren selbst mit dem Handy. Sehen wir einen Krieg? Oder einen Film? Einen Film über Krieg? Oder einen Krieg nach Drehbuch?

 

Wuchtig und berührend

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Sanfte (Krotkaya)" - Parabel über Russland als Gefängnis von Sergei Loznitsa

 

und hier einen Bericht über den Film "Leviathan" – vernichtende Film-Abrechnung mit Russland unter Putin von Andrej Swjaginzew

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "The Ukrainians" - aktuelle ukrainische Protest-Kunst in der daadgalerie, Berlin

 

All diese Fragen scheint Loznitsa zu stellen und damit anzudeuten, dass dieser undurchschaubar wirkende Konflikt vielleicht sogar nach einem losen Drehbuch geplant wurde, um Unruhe und Unordnung in der Region zu stiften. Welche Ziele damit verbunden sein mögen, lässt der Regisseur offen. In „Donbass“ beschreibt er eine Welt des Chaos, die durch die Wirren des Krieges in Korruption und Anarchie abzudriften droht, und in der die Menschen zunehmend ihre Humanität verlieren.

 

Ob dafür Putin und Russland verantwortlich zeichnen oder die Oligarchen, die sich gerade in ostukrainischen Industriestädten wie Donezk extrem bereichert haben, wird ebenfalls nicht geklärt. Am Ende spielt es auch nicht die entscheidende Rolle. Selbst für einen mit der Region und ihren Begebenheiten halbwegs vertrauten Zuschauer bleibt in Sergei Loznitsas bemerkenswertem Film manches Detail unverständlich. Trotzdem ist „Donbass“ ein wuchtiges, kraftvolles und oft exzessives Kino. Das manchmal auch über das Ziel hinausschießt und gerade deshalb so bewegt.