
Die Dramaturgie des Zufalls spielt in den Filmen von Wim Wenders eine wichtige Rolle. Ob in „Der Himmel über Berlin“ oder in „Paris, Texas“, das scheinbar wahllose Aufeinandertreffen der Protagonisten ist die eigentliche Geschichte. Auch in Wenders‘ jüngstem Spielfilm „Grenzenlos“ waltet erneut der Zufall. Es finden sich zwei Liebende, die eigentlich nichts gemeinsam haben.
Info
Grenzenlos
Regie: Wim Wenders,
112 Min., USA 2017;
mit: James McAvoy, Alicia Vikander, Alexander Siddig
Weltverbesserungsmission
Das erste Treffen in einem exklusiven Hotel an der Atlantikküste der Normandie verspricht zumindest einen Flirt zwischen dem Draufgänger und der spröden Wissenschaftlerin. Wie sich beide erst umkreisen und dann in kurzer Zeit aufeinander einlassen und ineinander verlieben, ist der schönste und eindrucksvollste Teil des Films. Denn es finden sich nicht nur zwei attraktive und kluge Menschen. Die beiden verbindet zudem eine wichtige Sache: der Glaube, dass jeder einzelne Mensch die Welt besser machen kann. Natürlich auch Danny mit ihrer mathematisch basierten Grundlagenforschung in der unbekannten Tiefsee. Und James, indem er Dschihadisten bekämpft, was er ihr aber nicht erzählen kann.
Offizieller Filmtrailer
Ein Ozean der Sehnsucht
In ihren wenigen gemeinsamen Tagen sprechen sie über sich und die essentiellen Dinge des Lebens, ganz als gäbe es kein Danach. Die abgeschirmte Nobelherberge mit ihren stilvoll fotografierten Interieurs und die wildromantischen Küstenlandschaft scheinen dies noch zu forcieren. Wenders inszeniert dicht und geradezu traumwandlerisch – bis zu einem Grundsatzdialog, der den Fahrplan für den weiteren Verlauf der Geschichte vorgibt.
Denn nach dem tränenreichen Abschied des Paares im Luxuskokon des Hotels geht es für beide zurück in ihren jeweiligen Alltag, den „Grenzenlos“ in der Folge als Parallelhandlung erzählt. Zweifellos hätte der Film, der auf einem Roman von J.M. Ledgard basiert, eine Meditation über eine buchstäblich Ozeane überwindende Sehnsucht und echte Liebe werden können. Doch Wenders will lieber große gesellschaftliche Themen verhandeln: den internationalen Terrorismus und die Frage nach der Entstehung des Lebens. So laviert die Geschichte fortan unentschieden zwischen Liebes-, Ökofilm und Agententhriller herum.
Mysteriöses Dunkel
Hintergrund
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Unangenehm fällt demgegenüber auf, dass die anfangs so unabhängige und in sich ruhende Danny kurz vor der Realisation ihres größten Traums zu einer entnervten, bemitleidenswerten Person mutiert. Unablässig starrt sie auf ihr Telefon und wartet passiv auf eine Nachricht des Geliebten. Dessen Leiden als Gefangener schildert Wenders eingehend und mit zweifellos auch belehrender Intention. Das zeigt sich in den Dialogen und manifestiert sich in der Zeichnung der Figuren – etwa bei einem Arzt, der weiter an den Dschihad glaubt, obwohl er selbst ein Gefangener ist.
Leben im Ungewissen
Die ebenfalls gefährliche und mysteriöse Dunkelheit des Meeres, in das Danny hinabtaucht, verblasst dagegen zusehends. Die Sehnsucht der Liebenden bleibt eine treibende Kraft, nicht zuletzt, weil sie stets im Ungewissen verharren muss. Dieses Gefühl transportiert „Grenzenlos“ dank der hervorragenden Darsteller sehr gut. Darüber hinaus noch die Miseren der Welt erklären zu wollen, kann allerdings nur scheitern.