Wim Wenders

Grenzenlos

Danny (Alicia Vikander) und James (James McAvoy) haben sich verliebt. Foto: ©Submergence SARL. Fotoquelle: Warner Bros. Pictures Germany
(Kinostart: 2.8.) Die große Liebe und die Miseren dieser Welt: Eine Biomathematikerin und ein Agent verzehren sich nach einander und können nicht zusammenkommen. Wim Wenders verfilmt einen Roman von J.M. Ledgard als prätentiöses Belehrungskino.

Die Dramaturgie des Zufalls spielt in den Filmen von Wim Wenders eine wichtige Rolle. Ob in „Der Himmel über Berlin“ oder in „Paris, Texas“, das scheinbar wahllose Aufeinandertreffen der Protagonisten ist die eigentliche Geschichte. Auch in Wenders‘ jüngstem Spielfilm „Grenzenlos“ waltet erneut der Zufall. Es finden sich zwei Liebende, die eigentlich nichts gemeinsam haben.

 

Info

 

Grenzenlos

 

Regie: Wim Wenders,

112 Min., USA 2017;

mit: James McAvoy, Alicia Vikander, Alexander Siddig

 

Website zum Film

 

Danielle Flinders (Alicia Wikander) ist als Biomathematikerin dem Ursprung des Lebens in der Tiefsee auf der Spur und möchte vor einem Tauchgang noch einmal Kraft tanken. Kraft hat auch der schottische Agent James More (James McAvoy) für seinen nächsten gefährlichen Einsatz in Afrika nötig. 

 

Weltverbesserungsmission

 

Das erste Treffen in einem exklusiven Hotel an der Atlantikküste der Normandie verspricht zumindest einen Flirt zwischen dem Draufgänger und der spröden Wissenschaftlerin. Wie sich beide erst umkreisen und dann in kurzer Zeit aufeinander einlassen und ineinander verlieben, ist der schönste und eindrucksvollste Teil des Films. Denn es finden sich nicht nur zwei attraktive und kluge Menschen. Die beiden verbindet zudem eine wichtige Sache: der Glaube, dass jeder einzelne Mensch die Welt besser machen kann. Natürlich auch Danny mit ihrer mathematisch basierten Grundlagenforschung in der unbekannten Tiefsee. Und James, indem er Dschihadisten bekämpft, was er ihr aber nicht erzählen kann.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Ozean der Sehnsucht

 

In ihren wenigen gemeinsamen Tagen sprechen sie über sich und die essentiellen Dinge des Lebens, ganz als gäbe es kein Danach. Die abgeschirmte Nobelherberge mit ihren stilvoll fotografierten Interieurs und die wildromantischen Küstenlandschaft scheinen dies noch zu forcieren. Wenders inszeniert dicht und geradezu traumwandlerisch – bis zu einem Grundsatzdialog, der den Fahrplan für den weiteren Verlauf der Geschichte vorgibt.

 

Denn nach dem tränenreichen Abschied des Paares im Luxuskokon des Hotels geht es für beide zurück in ihren jeweiligen Alltag, den „Grenzenlos“ in der Folge als Parallelhandlung erzählt. Zweifellos hätte der Film, der auf einem Roman von J.M. Ledgard basiert, eine Meditation über eine buchstäblich Ozeane überwindende Sehnsucht und echte Liebe werden können. Doch Wenders will lieber große gesellschaftliche Themen verhandeln: den internationalen Terrorismus und die Frage nach der Entstehung des Lebens. So laviert die Geschichte fortan unentschieden zwischen Liebes-, Ökofilm und Agententhriller herum.

 

Mysteriöses Dunkel

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Every Thing Will Be Fine " - beeindruckendes Schuld-Sühne-Drama von Wim Wenders

 

und hier einen Bericht über den Film "Die schönen Tage von Aranjuez (3D)" – Verfilmung eines Theaterstücks von Peter Handke durch Wim Wenders

 

und hier eine Besprechung des Films "Captain Phillips" - Dokudrama über den Kampf der US-Armee gegen Piraten in Somalia von Paul Greengrass mit Tom Hanks

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Light between Oceans" - elegisches Liebes-Drama von Derek Cianfrance mit Alicia Vikander

 

Darüber hinaus verschiebt sich die Gewichtung der beiden Figuren immer stärker zugunsten von James. Das mag der höheren Brisanz seines Erzählstrangs geschuldet sein: Nach einer fehlgeschlagenen Mission wird er von Dschihadisten in Somalia entführt und festgesetzt, was Wenders in allen Einzelheiten und seltsam farbenfroh in Szene setzt.

 

Unangenehm fällt demgegenüber auf, dass die anfangs so unabhängige und in sich ruhende Danny kurz vor der Realisation ihres größten Traums zu einer entnervten, bemitleidenswerten Person mutiert. Unablässig starrt sie auf ihr Telefon und wartet passiv auf eine Nachricht des Geliebten. Dessen Leiden als Gefangener schildert Wenders eingehend und mit zweifellos auch belehrender Intention. Das zeigt sich in den Dialogen und manifestiert sich in der Zeichnung der Figuren – etwa bei einem Arzt, der weiter an den Dschihad glaubt, obwohl er selbst ein Gefangener ist.

 

Leben im Ungewissen

 

Die ebenfalls gefährliche und mysteriöse Dunkelheit des Meeres, in das Danny hinabtaucht, verblasst dagegen zusehends. Die Sehnsucht der Liebenden bleibt eine treibende Kraft, nicht zuletzt, weil sie stets im Ungewissen verharren muss. Dieses Gefühl transportiert „Grenzenlos“ dank der hervorragenden Darsteller sehr gut. Darüber hinaus noch die Miseren der Welt erklären zu wollen, kann allerdings nur scheitern.