Andreas Dresen

Gundermann

Gerhard Gundermann (Alexander Scheer) auf der Bühne. Foto: © Peter Hartwig / Pandora Film
(Kinostart: 23.8.) Liedermacher, Baggerfahrer, Stasi-Spitzel: Die Biografie von Gerhard Gundermann hält einige Fallstricke bereit. Regisseur Andreas Dresen verfilmt äußerst differenziert das Leben eines DDR-Idealisten mit großen Träumen.

Gerhard Gundermann hatte im Osten Deutschlands lange Zeit den Status eines Geheimtipps. Rockstar-Attitüde wäre dem schlaksigen Mann mit den dünnen Haaren und der dicken Brille ohnehin nicht zu attestieren gewesen. Seine mit ungeschliffener Stimme vorgetragenen Lieder kommen beim ersten Hören sperrig daher. Die Texte entfalten jedoch eine sehr eigenwillige Lyrik, die ihresgleichen sucht.

 

Info

 

Gundermann

 

Regie: Andreas Dresen,

128 Min., Deutchland 2018;

mit: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl

 

Website zum Film

 

20 Jahre nach Gundermanns Tod widmet Regisseur Andreas Dresen („Halbe Treppe“, „Als wir träumten“) dem Sänger nun einen fulminanten Spielfilm. Wie kein anderer Regisseur versteht es der gebürtige Thüringer, speziell ostdeutsche Seelenlagen in Kinogeschichten zu übersetzen. Mit „Gundermann“ gelingt ihm ein Schlüsselfilm zum tieferen Verständnis der DDR.

 

Bananenrepublik ohne Bananen

 

Dresen vermeidet Simplifizierungen: Bei ihm ist die untergegangene DDR weder eine putzige Bananenrepublik ohne Bananen noch ein grauer Hort des Bösen, aus dem nur eine gefahrvolle Flucht führt. Stattdessen zeigt er anhand der ebenso komplexen wie ambivalenten Biografie dieses Künstlers exemplarisch die Verstrickungen eines Menschen in den Machtapparat der DDR.

Offizieller Filmtrailer


 

Von der Schicht zum Konzert

 

Gerhard Gundermann meinte es ernst mit dem Sozialismus. Gerade deshalb eckte er überall an – im Tagebau bei Hoyerswerda genauso wie in der SED und bei seinen übrigen Mitmenschen. Denen ging er mit seiner unbändigen Energie und der Angewohnheit, stets alles zu hinterfragen, oft gehörig auf die Nerven. Beruflich steuerte der Lausitzer einen jener riesigen Tagebaubagger, die an Urzeitgiganten aus Stahl erinnern.

 

In der Monotonie und Einsamkeit dieser Arbeit fand er zu seinen Texten, die er mit zunehmendem Erfolg auch öffentlich vortrug. Doch Gundermann wollte nie von der Musik leben –  auch nicht, als es später durchaus gekonnt hätte. Von der Schicht ging es auf das Konzert und umgekehrt. Der Preis war hoch: Mit nur 43 Jahren verstarb er plötzlich an einem Hirnschlag.

 

Künstlerische Freiheiten

 

Wie wird man einem solchen Lebenslauf gerecht? Dresen und seine langjährige Drehbuchautorin Laila Stieler konzentrieren sich auf die frühen 1980er Jahre und die Nachwendezeit, die sie in einer kunstvollen, nicht-linearen Erzählweise miteinander verschränken, um die Bezüge zwischen zwei entscheidenden Lebensphasen zu verdeutlichen.

 

Orientierung bei den zahlreichen Zeitsprüngen bieten Details wie Gundermanns Brillengestell oder die veränderten Alltagsgegenstände. Und weil ein Leben sich nicht an die Dramaturgie eines Filmes hält, nehmen sich Dresen und Stieler in ihrer Erzählung einige künstlerische Freiheiten, während sie bei entscheidenden Eckpunkten den Fakten treu bleiben.

 

Stasi-Mitarbeit verdrängt

 

Der junge Gundermann (Alexander Scheer) ärgert sich über sinnlose Vorschriften im Tagebau und legt sich wiederholt mit der Betriebs- und Parteileitung an. Nach Feierabend probt er unermüdlich mit der „Brigade Feuerstein“, einem Gesangs- und Theaterkreis aus ambitionierten Laien, die mit ihren Auftritten das Kulturleben in Hoyerswerda bereichern. Insbesondere auf seine Mitstreiterin Conny (Anna Unterberger) hat er ein Auge geworfen, doch sie ist zunächst mit einem anderen Mann zusammen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Als wir träumten" - Teenager-Drama zur Nachwendezeit von Andreas Dresen

 

und lesen Sie hier ein Interview mit Andreas Dresen über den Film  "Als wir träumten".

 

und hier einen Bericht über den Film Halt auf freier Strecke – Porträt eines Krebskranken von Andreas Dresen

 

und hier einen Beitrag über die Dokumentation Herr Wichmann aus der dritten Reihe über einen Lokalpolitiker in Brandenburg von Andreas Dresen

 

Das nonkonforme Verhalten des Genossen Gundermann ruft schließlich die Stasi auf den Plan. Ein Führungsoffizier (Axel Prahl) überzeugt ihn von einer inoffiziellen Mitarbeit. Nach der Wende hat Gundermann diese wenig ruhmreiche Episode verdrängt. Er setzt sich erst damit auseinander, als die Geschichte öffentlich zu werden droht. Er habe ja nichts Schlimmes berichtet und sei selbst auch bespitzelt worden, wiegelt er zunächst ab. Die zwiespältige Haltung Gundermanns zur eigenen Biografie lässt die Widersprüchlichkeit, aber auch die Vielschichtigkeit der DDR deutlich werden.

 

Musik und Rhythmus

 

Eine weitere Hauptrolle im Film spielt die Musik. Mit Gundermann-Songs unterlegte Szenen werden clipartig ineinander geschnitten und erzeugen einen fließenden Rhythmus. Darsteller Alexander Scheer stellt erneut seine Musikalität unter Beweis, er spielt und singt alle Lieder selbst. Deren Texte spiegeln die zerrissene Seelenlage der Ostdeutschen zur verworrenen Wendezeit wider.

 

Wirklich zu Hause war der Künstler in keinem der beiden deutschen Systeme – eine Haltung, die viele Menschen im Osten Deutschlands teilen. Nicht zuletzt deshalb ist „Gundermann“ auch ein Türöffner für jene Menschen, die das heutige Deutschland – fast 30 Jahre nach dem Mauerfall – verstehen wollen.