Philipp Jedicke

Virtuelles Skype-Essen mit Leslie Feist

Philipp Jedicke. Foto: Bartosz Mrozowski
Private Szenen wollte der Musiker Chilly Gonzales nicht mit sich drehen lassen. Doch Philipp Jedicke findet, das habe seinem Dokuporträt nur gut getan. "Wir finden über die Kunst die Privatperson und nicht umgekehrt", sagt der Regisseur im Interview.

Wie haben Sie Ihren Protagonisten Chilly Gonzales kennengelernt?

Ich bin Journalist und habe ihn für die Kulturredaktion der Deutschen Welle interviewt. Ich wusste, dass er in Köln wohnt und wollte ihn immer mal interviewen. Damals ging es um sein Piano-Lehrbuch „Re-Introduction Etudes“. Es waren nur einige Minuten vorgesehen, aber wir unterhielten uns über eine Stunde lang über Gott und die Welt, über kulturelle Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland und auch über Kanada, wo ich selbst ein Jahr gelebt habe. Ich hatte so ein Gefühl dafür, wo er herkommt. Ich spürte einen inneren Drang, ihn zu fragen, ob ich einen Film über ihn machen darf. Ein Musik-Dokumentarfilm war immer mein Traum. Er hat direkt ja gesagt – das ist meine Version. In seiner hat er zwar ja gesagt, die Zusage aber am nächsten Tag wieder vergessen.

 

Info

 

Shut Up And Play The Piano

 

Regie: Philipp Jedicke,

82 Min., Deutschland/ Großbritannien 2018;

mit: Chilly Gonzales, Peaches, Leslie Feist

 

Website zum Film

 

War Ihnen damals bewusst, wie die Figur Chilly Gonzales und der Mensch Jason Beck koexistieren?

Aufgrund seines Outputs vermutete ich, dass die Bühnen-Persona weiter von seinem privaten Charakter entfernt ist. Ich war überrascht, wie viel seine Raps über ihn erzählen. Vor allem auf dem Album „The Unspeakable Chilly Gonzales“, auf dem sich auch „Shut Up and Play the Piano“ befindet, nachdem der Film benannt ist. Darauf finden sich so viele persönliche Texte, die seine Unsicherheit darüber thematisieren, wie er bei Leuten ankommt. Das ist ihm total wichtig. Er braucht dieses Feedback, braucht live diese Lacher. Mir fällt kein anderer Künstler ein, der selbstreflexiv über die eigene Unsicherheit rappt.

 

Dicke Freunde

 

Wie nah kommt man an ihn ran?

Anfangs beging ich einen Denkfehler: Als Journalist gilt es neutral zu sein und eine objektive Perspektive einzunehmen. Als Filmemacher lernte ich sehr schnell, dass ich für mein filmisches Porträt der Person auf ganz andere Art sehr nahe kommen muss. Erst als wir uns anfreundeten, entwickelte der Film die richtige Dynamik. Inzwischen sind wir dicke Freunde und treffen uns privat.

Offizieller Filmtrailer


 

Das Werk ernst nehmen

 

War nicht vor Beginn der Dreharbeiten seine Auflage, nichts Privates zu verwenden?

 

Ganz genau. 

 

Wie verzweifelt waren Sie, als er das sagte?

Ich fragte mich, wie ich den Dokumentarfilm machen soll, wenn nicht den ganzen Tag die Kamera mitlaufen kann. Die meisten Dokus gehen da sehr nah ran, arbeiten mit vielen Close-Ups. Man sieht jemanden Zuhause und bei Tätigkeiten, die nichts mit dessen Kunst zu tun haben. Diese Schnittbilder braucht man eigentlich, aber die hat er uns komplett verweigert. Wir mussten einen anderen Zugang finden – und das hat dem Film gut getan. Einigen Zuschauern, die ihn auf seiner Couch lümmeln sehen wollen, mag das fehlen. Wir hatten dadurch aber die Möglichkeit, seinen Output so ernst wie möglich zu nehmen. Das, was er nach außen bereit ist, zu präsentieren. Das macht den Film besonders. Wir finden über die Kunst die Privatperson und nicht umgekehrt.  

 

Der Schatten des Vaters

 

Dem Menschen Jason Beck nähern Sie sich über seine Familie, also indirekt. Wie war das für ihn? Und wie für die Familie?

Sein Bruder ist ja noch viel bekannter und erfolgreicher als er. Er lebt in L.A. und arbeitet als Komponist für die ganz großen Hollywoodfilme. Sein Vater ist ein Immobilienmagnat. Die Motivation, zu Chilly Gonzales zu werden, bestand darin,  aus dem Schatten seines Vaters zu treten und sich aus dem ewigen Bruderkampf zu lösen. Ich wusste, dass ich mit dem Bruder kein Interview bekomme, und Chilly wollte das auch nicht. Wir waren froh, dass es im Archiv den Film „Ivory Tower“ gibt. Den hat Gonzales ja schon gemacht – und zwar genau über diesen Bruderkrieg. Dieses Material haben wir im Schnitt eingewoben, da er in dem langen Interview mit Sibylle Berg auch über seinen Bruder erzählt. Das hat funktioniert.

 

Wie kam Sibylle Berg als Interviewerin zu dem Film?

 

Gonzales und ich waren uns einig, dass wir ein langes Interview brauchen, in dem er über sein Leben erzählt. Wir beiden hatten ein solches noch nicht geführt, waren aber schon eng miteinander, vielleicht zu eng. Das wäre für uns beide komisch gewesen. Ich bereitete eine Liste mit Kulturjournalisten vor, aber niemand überzeugte ihn. So kamen wir zu Künstlern und schließlich zu Sibylle Berg. Die sehr drastisch und sarkastisch ist und kein Blatt vor den Mund nimmt. Er beschäftigte sich mit ihrem Werk und war total begeistert. Also fragte ich sie an, und sie sagte sofort zu. Das Gespräch lief in vielen Punkten ganz anders als ich erwartete, aber das tat dem Film wirklich gut.  

 

Auch ein Berlin-Film

 

Der Film findet seinen Ursprung in Berlin, wie auch die Karriere von Chilly Gonzales. Ist „Shut Up and Play the Piano“ ein Berlin-Film?

Ich war ab 1995 oft in Berlin, da hat ein Freund von mir die Puppetmastaz-Puppen mit-designt. Mr. Maloke stand in seinem WG-Zimmer rum. Ich erlebte die rauen Berlin-Jahre mit den Brikett und den Öl-Öfen mit. Das konnte ich in den Berlin-Part einbauen. Eine romantisierende Außensicht auf Berlin wäre Kitsch. Nina Rohde war da sehr hilfreich, sie ist langjährige Mitarbeiterin von Gonzales, hat seinen Look mitentwickelt und seine Albumcover gemacht. Mit ihr über diese Zeit in Berlin zu sprechen half mir unheimlich, obwohl dieses Gespräch nicht im Film ist. Es ist definitiv ein Berlin-Film! Der Paris-Part ist auch deutlich kürzer, obwohl Paris für ihn eine ebenso große Rolle spielt. Dort hat er „Solo Piano“ geschrieben, seinen allergrößten Erfolg. Aber ohne Berlin hätte es das nicht gegeben. Er brauchte diesen radikalen Wechsel.

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Shut Up and Play the Piano" von Philipp Jedicke

 

und hier eine Besprechung des Films "It Must Schwing! – The Blue Note Story" - Dokumentation über das legendäre Jazz-Label von Eric Feidler

 

und hier einen Beitrag über den Film "Django – Ein Leben für die Musik" - über die Jazzlegende Django Reinhardt von Étienne Comar

 

und hier einen Bericht über den Film "Born to be Blue" - Biopic über die Jazz-Legende Chet Baker mit Ethan Hawke von Robert Budreau.

 

Die Episode des Films, in der sich Gonzales mit Leslie Feist künstlerisch überwirft, bleibt als tragischer Moment hängen. Haben die beiden wieder ein freundschaftliches Verhältnis

 

Ja, es gab kein Zerwürfnis. Er war allerdings wirklich sauer auf Feist, als sie mit einem anderen Produzenten „1234“ gemacht hat. Das wurde ihr größter Erfolg. Das ist natürlich schräg, dass er genau den Song nicht gut fand. Es war interessant zu sehen, wie er im Rohschnitt die Szenen dieses Interviews geguckt hat. Sie ist seine allerbeste Freundin. Die beiden skypen mindestens dreimal die Woche, manchmal sogar fast jeden Tag. Sie treffen sich virtuell zum Essen. Sie spielt für seine Werdung eine Riesenrolle, weil er ihr erstes und zweites Album produziert hat. An allem was sie macht, war er beteiligt, außer bei ihrem letzten Album. Umgekehrt hat sie auf seinem ersten Album gesungen und ist mit ihm getourt. Ich finde es faszinierend, dass aus dieser Keimzelle Peaches, Feist und Gonzales drei erfolgreiche Künstler geworden sind. Aus drei Freunden. 

 

Scheiß-Authentizität

 

Haben Sie Träume bei Gonzales entdeckt, die er sich erfüllen konnte?

Gonzo verwirklicht gerade seinen größten Traum mit seiner eigenen Musikschule, dem Gonzervatory in Paris. Wir haben das beim Dreh schon gespürt. Er will dieses Wissen in ihm teilen. Dieses Freigiebige ist ein neuer Teil von ihm. Sonst war er eher der aufbrausende Typ. Man darf das nicht mit Altersmilde verwechseln, da wird sicher Erstaunliches passieren. Den „Musicprofessor“, von dem er schon früh gerappt hat, den setzt er jetzt um, das ist sein Herzensprojekt.

Wo enden bei dieser Clique die Figuren und wo beginnen die Personen dahinter? Lassen sich Parallelen entdecken?

Dadurch, dass sie all diese Tiefen und Höhen einer Künstlerwerdung gemeinsam erlebt und durchschritten haben, kann ich mir vorstellen, dass sie sich ausgetauscht haben. Sie spielen mit den Medien, drehen den Spieß auch mal um. Leslie Feist ist für die drei eher eine Ausnahme, da sie versucht, jene Authentizität rüberzubringen, die von Singer-Songwritern erwartet wird. Dieses: Hier bin ich und erzähle von mir. Gonzo behauptet das exakte Gegenteil. Er sagt: „Sobald du auf der Bühne bist, bist du nicht mehr du selbst.“ Das ist seine Theorie. Er singt: „Authenticity is often shitty.“ Damit meint er nicht Feist, die macht das auf ihre ganz eigene Art genau richtig für ihn. Ihn nervt, wenn Leute so tun als wären sie authentisch, sich aber dabei anders präsentieren.