Eric Friedler

It Must Schwing! – The Blue Note Story

Herbie Hancock am Klavier. Foto: ©NDR/Studio Hamburg Enterprises GmbH
(Kinostart: 6.9.) Vom Standard zur Avantgarde: In einem facettenreichen Dokumentarfilm erzählt Regisseur Eric Friedler die Geschichte der Berliner Juden Alfred Lion und Francis Wolff, die mit ihrem Plattenlabel Blue Note Records den Jazz revolutionierten.

Das Jazz-Plattenlabel Blue Note Records war zweifellos legendär. Aber hat die Musik, die hier erschien, sogar die politischen Entwicklungen in den USA beeinflusst? Zumindest der Jazzmusiker Herbie Hancock glaubt: Die Labelchefs Alfred Lion und Francis Wolff haben die Bürgerrechtsbewegung vorangebracht. Hancock ist einer der Interviewpartner, die in diesem umfänglichen und facettenreichen Dokumentarfilm des Hamburger Filmemachers Eric Friedler anschaulich vermitteln, warum dieses Label wirklich wie kein anderes war.

 

Info

 

It Must Schwing! – The Blue Note Story

 

Regie: Eric Friedler,

115 Min., Deutschland 2018;

mit: Herbie Hancock, Sonny Rollins, Quincy Jones

 

Website zum Film

 

Gegründet wurde Blue Note Records 1939 von den jüdischen Immigranten Lion (eigentlich: Löw) und Wolff,  die als Jugendliche in ihrer Berliner Heimat ihre gemeinsame Liebe zum Jazz und Swing entdeckt hatten. Lion wanderte 1933 nach New York aus und schlug sich zunächst unter prekären Bedingungen durch. Der in Berlin als Fotograf arbeitende Wolff folgte seinem Jugendfreund 1939 auf dem letzten Schiff, mit dem man Nazi-Deutschland verlassen konnte.

 

Respekt für schwarze Musiker

 

Mit der Gründung von Blue Note Records stießen die Freunde in ein Vakuum. „Race“ war seinerzeit eine Art Genre-Bezeichnung für afroamerikanische Musik. Und was in der Schublade „race records“ landete, blieb auch ökonomisch marginalisiert. Lion und Wolff sorgten für bessere Lebensverhältnisse für ihre Künstler und brachten ihnen zudem Respekt und Bewunderung entgegen – anders als der Rest der damaligen Musikbranche.

Offizieller Filmtrailer OV


 

An der Speerspitze der Entwicklung

 

Allein der Umstand, dass sie Porträtfotos afroamerikanischer Musiker auf die Plattencover drucken ließen, galt seinerzeit als ein radikales Statement. Lion und Wolff waren selbst keine Musiker, aber sie hatten ein untrügliches Gespür dafür, was groovte. Geschäftssinn besaßen sie nur insoweit, wie sie es zum Überleben ihres Plattenlabels nötig war. Doch sie hatten ein Händchen für die richtige Präsentation ihrer Musik. Ikonisch wurden etwa die Albumcover, die Wolffs Fotografien mit den minimalistisch-kühlen Designs des Graphikers Reid Miles verbanden.

 

Einen ersten Hit hatte das Label mit dem Standard „Summertime“, eingespielt vom Sopran-Saxofonisten Sidney Bechet. Mit den Jahren wurden die Veröffentlichungen dann mutiger und avantgardistischer. Jazz-Ikonen wie Herbie Hancock, Quincy Jones, Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk veröffentlichten bei Blue Note Records – oftmals am Anfang ihrer Karriere. Der Output des Labels war in den 1950er und 60er -Jahren prägend für die Entwicklung des Modern Jazz.

 

Eine besondere Freundschaft

 

Das Jahrzehnt vor 1965, ehe das Label an die Plattenfirma Liberty verkauft wurde, wird in „It Must Schwing!“ allerdings etwas stiefmütterlich abgehandelt. Das ist insofern bedauerlich, als das Label zu dieser Zeit besonders stilprägend war. Davon abgesehen, liefert der chronologisch angelegte Film jedoch einen guten Einblick in den Beitrag von Blue Note Records zur Geschichte des Jazz. Ein schlüssige, wenn auch hier etwas überstrapazierte These lautet, dass die Diskriminierung, welche die Labelgründer in Nazi-Deutschland erfahren hatten, Grund für ihre empathisch-unterstützende Haltung gegenüber den schwarzen Künstlern war.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Django – Ein Leben für die Musik" - über die Jazzlegende Django Reinhardt von Étienne Comar

 

und hier einen Bericht über den Film "Born to be Blue" - Biopic über die Jazz-Legende Chet Baker mit Ethan Hawke von Robert Budreau

 

und hier einen Beitrag über die Dokumentation “BB King – The Life of Riley“ – Porträt der Blues-Legende von Jon Brewer.

 

Dass die Beziehung zwischen den Künstlern und ihrer Plattenfirma ganz  besonders war, wird immer wieder erörtert. Nebenbei bleibt Raum für erzählerische Schlenker, etwa zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jener Tage, oder auch für Anekdoten über Lion und Wolff und ihre besondere Freundschaft (auf dem Grabstein des 1971 verstorbenen Wolff stand „Friend of Alfred Lion“).

 

Extrem klarer Sound

 

Unter anderem plaudern Herbie Hancock, Wayne Shorter, Ron Carter und Quincy Jones auf charmante, wenn auch bisweilen etwas redundante Weise aus dem Nähkästchen. Erhellende Einblicke gibt es auch zur Arbeitsweise des Labels. So gab etwa der für seine kristallinen Sound bewunderte Toningenieur Rudy Van Gelder, der 2016 verstarb, für den Film sein letztes Interview.

 

Seinen Film nennt Regisseur Friedler selbst ein Doku-Drama. An die Stelle von Nachinszenierungen historischer Szenen mit Schauspielern setzt er jedoch schwarz-weiße, atmosphärische Animationssequenzen, die in ihrer monochromen Ästhetik die nostalgische Anmutung des Films noch verstärken. Eindrückliches Archivmaterial und intensive Live-Performances runden den Film ab und machen noch einmal deutlich: Es war tatsächlich etwas ganz Besonderes, was Lion und Wolff mit ihrem Jazz-Label geschaffen haben.