Gleich zum Auftakt macht Chilly Gonzales klar, wer hier das Sagen hat – selbst wenn sich das Gesagte gegen ihn selbst richtet. Allzu viel Liebe sei selbst für das Genie, das er zweifelsohne sei, nicht gesund, erklärt er direkt in die Kamera. Ein bisschen Hass müsse sein. Und wenn der sich nicht von selbst einstellt, dann flüstere er ihn eben seinen Fans mit einer kleinen Hypnosesitzung ein.
Info
Shut Up And Play The Piano
Regie: Philipp Jedicke,
82 Min., Deutschland/ Großbritannien 2018;
mit: Chilly Gonzales, Peaches, Leslie Feist
Konstruierte Künstlerpersona
Regisseur Philipp Jedicke macht in seinem Film nicht viel mehr, als Chilly Gonzales jenen Selbstdarsteller und Entertainer sein zu lassen, der er ist. Zumindest langjährige Fans dieses außergewöhnlichen Künstlers werden wenig erfahren, was sie nicht schon wissen. Den Rahmen für das kurzweilige, anfangs fast stakkatoartig präsentierte Archivmaterial liefert ein Interview, das die eigentlich scharfzüngige Schriftstellerin Sibylle Berg eher brav mit ihm führt. Auch die schelmisch inszenierte Nebenhandlung, in der Gonzales Bewerber castet, auf dass sie ihn – zur Veranschaulichung, wie konstruiert eine Künstlerpersona ist – auf der Bühne vertreten, funktioniert nur halb.
Offizieller Filmtrailer
Neue Richtung
Darüber hinaus wird das bisherige Leben und die Karriere des 46-jährigen Gonzales, der mit bürgerlichem Namen Jason Beck heißt, relativ chronologisch abgehandelt. Leider gibt es einige frustrierende Lücken. So kommen die Popalben, die er aufgenommen hat, seit er 2004 mit „Solo Piano“ (gerade erschien der dritte und letzte Teil dieser Reihe) seiner Karriere einen neuen Spin gab, nur am Rande vor.
Wobei etwa die Frage durchaus interessant wäre, warum ausgerechnet beim tollen, aber etwas untergegangenen Seventies-Popalbum „Soft Power“ (2008) die Kommunikation mit dem Publikum nicht ganz so gut geklappt hat. Schließlich behandelte er dort mehr denn je die für Gonzales‘ Schaffen zentrale Frage, wie „authentisch“ ein Entertainer sein kann oder darf. Ein über weite Strecken unterhaltsamer Ritt ist das Porträt trotz dieser Schwachpunkte geworden.
Sehr spezieller Humor
Aufgewachsen ist Gonzales als Sohn eines erfolgreichen Bauunternehmers im kanadischen Montreal. Sein Großvater brachte ihm das Klavierspielen bei, mit seinem Bruder Christophe, der später ein Soundtrack-Komponist in Hollywood wurde, spielte er in Bands. Dennoch hatten die beiden ein eher kompetitives Verhältnis – was hier eher küchenpsychologisch als Erklärung für Gonzales‘ bemerkenswerten Ehrgeiz und Arbeitseifer angeführt wird.
Hintergrund
Lesen Sie hier ein Interview mit Philipp Jedicke über "Shut Up and Play the Piano"
und hier eine Rezension des Films "It Must Schwing! – The Blue Note Story" - Dokumentation über das legendäre Jazz-Label von Eric Feidler
und hier einen Bericht über den Film "Django – Ein Leben für die Musik" - über die Jazzlegende Django Reinhardt von Étienne Comar
und hier einen Bericht über den Film "Born to be Blue" - Biopic über die Jazz-Legende Chet Baker mit Ethan Hawke von Robert Budreau.
Nichts Privates
Davon gibt es hier eine Menge, bisweilen wirkt der Film wie ein überlanger Gonzales-Clip. Neben dem Meister kommt fast ausschließlich der innere Kreis seiner Mitstreiter zu Wort, etwa die mit ihm nach Berlin umgezogene Electroclash-Performancekünstlerin Peaches und die Songwriterin Leslie Feist. Private Situationen bleiben ganz außen vor. Das war auch Gonzales‘ Vorbedingung für seine Beteiligung an diesem Projekt, das er koproduzierte.
Einen wirklich eigenen Blick auf das Phänomen Chilly Gonzales entwickelt der Regisseur jedenfalls nicht. Aber das macht nicht wirklich etwas. „Why break the illusion?“ schmettert Gonazles an einer Stelle einem Journalisten entgegen. Und hat ja recht damit. Man schätzt ihn schließlich für das, was er auf der Bühne darstellt, und nicht dafür, was er zum Frühstück isst. Auch wenn ein etwas weniger von Chilly Gonzales kontrollierter, vor allem aber weniger küchenpsychologisch erzählter Einblick in das, was ihn antreibt, durchaus spannend gewesen wäre.