Chilly Gonzales

Shut Up And Play The Piano

Chilly Gonzales. Foto: ® Olivier Hoffschir. Fotoquelle: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 20.9.) Klassik-Pop im Bademantel: Regisseur Philipp Jedicke inszeniert ein kurzweiliges, aber distanzloses Doku-Porträt des für seine ironischen Performances berühmten Entertainers Chilly Gonzales, der sich die Fäden nicht aus der Hand nehmen lässt.

Gleich zum Auftakt macht Chilly Gonzales klar, wer hier das Sagen hat – selbst wenn sich das Gesagte gegen ihn selbst richtet. Allzu viel Liebe sei selbst für das Genie, das er zweifelsohne sei, nicht gesund, erklärt er direkt in die Kamera. Ein bisschen Hass müsse sein. Und wenn der sich nicht von selbst einstellt, dann flüstere er ihn eben seinen Fans mit einer kleinen Hypnosesitzung ein.

 

Info

 

Shut Up And Play The Piano

 

Regie: Philipp Jedicke,

82 Min., Deutschland/ Großbritannien 2018;

mit: Chilly Gonzales, Peaches, Leslie Feist

 

Website zum Film

 

Gonzales ist studierter Jazz-Musiker, mit ambienthafter Pop-Klassik à la Eric Satie hatte er 2004 seinen großen Durchbruch. Ein Jahr zuvor inszenierte sich der mittlerweile in Köln lebende Musiker in einer ziemlich durchgeknallten Performance im Bundespresseamt als (verdienter, wenn auch fiktionaler) Präsident des Berliner Undergrounds. Zudem ist er Rapper, passionierter Bademantelträger, Musikerklärer und einiges mehr. Vor allem aber ist Chilly Gonzales ein begnadeter Performer. Selbst seine Großkotzigkeit bringt ihm Sympathiepunkte, ist sie doch ironisch gebrochen – wie fast alles, was er tut.

 

Konstruierte Künstlerpersona

 

Regisseur Philipp Jedicke macht in seinem Film nicht viel mehr, als Chilly Gonzales jenen Selbstdarsteller und Entertainer sein zu lassen, der er ist. Zumindest langjährige Fans dieses außergewöhnlichen Künstlers werden wenig erfahren, was sie nicht schon wissen. Den Rahmen für das kurzweilige, anfangs fast stakkatoartig präsentierte Archivmaterial  liefert ein Interview, das die eigentlich scharfzüngige Schriftstellerin Sibylle Berg eher brav mit ihm führt. Auch die schelmisch inszenierte Nebenhandlung, in der Gonzales Bewerber castet, auf dass sie ihn – zur Veranschaulichung, wie konstruiert eine Künstlerpersona ist – auf der Bühne vertreten, funktioniert nur halb.

Offizieller Filmtrailer


 

Neue Richtung

 

Darüber hinaus wird das bisherige Leben und die Karriere des 46-jährigen Gonzales, der mit bürgerlichem Namen Jason Beck heißt, relativ chronologisch abgehandelt. Leider gibt es einige frustrierende Lücken. So kommen die Popalben, die er aufgenommen hat, seit er 2004 mit „Solo Piano“ (gerade erschien der dritte und letzte Teil dieser Reihe) seiner Karriere einen neuen Spin gab, nur am Rande  vor.

 

Wobei etwa die Frage durchaus interessant wäre, warum ausgerechnet beim tollen, aber etwas untergegangenen Seventies-Popalbum „Soft Power“ (2008) die Kommunikation mit dem Publikum nicht ganz so gut geklappt hat. Schließlich behandelte er dort mehr denn je die für Gonzales‘ Schaffen zentrale Frage, wie „authentisch“ ein Entertainer sein kann oder darf. Ein über weite Strecken unterhaltsamer Ritt ist das Porträt trotz dieser Schwachpunkte geworden.  

 

Sehr spezieller Humor

 

Aufgewachsen ist Gonzales als Sohn eines erfolgreichen Bauunternehmers im kanadischen Montreal. Sein Großvater brachte ihm das Klavierspielen bei, mit seinem Bruder Christophe, der später ein Soundtrack-Komponist in Hollywood wurde, spielte er in Bands. Dennoch hatten die beiden ein eher kompetitives Verhältnis – was hier eher küchenpsychologisch als Erklärung für Gonzales‘ bemerkenswerten Ehrgeiz und Arbeitseifer angeführt wird.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Philipp Jedicke über "Shut Up and Play the Piano"

 

und hier eine Rezension des Films "It Must Schwing! – The Blue Note Story" - Dokumentation über das legendäre Jazz-Label von Eric Feidler

 

und hier einen Bericht über den Film "Django – Ein Leben für die Musik" - über die Jazzlegende Django Reinhardt von Étienne Comar

 

und hier einen Bericht über den Film "Born to be Blue" - Biopic über die Jazz-Legende Chet Baker mit Ethan Hawke von Robert Budreau.

 

Als er 1999 nach Berlin zog, erfand er sich nach mäßig erfolgreichen Jahren auf Indierockterrain als Rapper neu. Welches Genre könnte es für einen bekennenden Hochstapler auch besser passen? Electrobeats verband er mit derb-humorigen Zungendrehern. Fünf Jahre später schlug er mit dem besagten „Solo Piano„-Album wieder einen Haken. Nun erforschte er die Schnittmenge von Klassik und  Pop. Doch mehr als seine Virtuosität an den Tasten – die eher Behauptung als Realität ist, womit er des Öfteren kokettiert – ist es der spezieller Humor, der Chilly Gonzales besonders macht. Und damit seine Live-Auftritte, die großen Unterhaltungswert haben.

 

Nichts Privates

 

Davon gibt es hier eine Menge, bisweilen wirkt der Film wie ein überlanger Gonzales-Clip. Neben dem Meister kommt fast ausschließlich der innere Kreis seiner Mitstreiter zu Wort, etwa die mit ihm nach Berlin umgezogene Electroclash-Performancekünstlerin Peaches und die Songwriterin Leslie Feist. Private Situationen bleiben ganz außen vor. Das war auch Gonzales‘ Vorbedingung für seine Beteiligung an diesem Projekt, das er koproduzierte.

 

Einen wirklich eigenen Blick auf das Phänomen Chilly Gonzales entwickelt der Regisseur jedenfalls nicht. Aber das macht nicht wirklich etwas. „Why break the illusion?“ schmettert Gonazles an einer Stelle einem Journalisten entgegen. Und hat ja recht damit. Man schätzt ihn schließlich für das, was er auf der Bühne darstellt, und nicht dafür, was er zum Frühstück isst. Auch wenn ein etwas weniger von Chilly Gonzales kontrollierter, vor allem aber weniger küchenpsychologisch erzählter Einblick in das, was ihn antreibt, durchaus spannend gewesen wäre.