
Vor neun Jahren erzählte der australische Regisseur Warwick Thornton in seinem eindrucksvollem Regiedebüt „Samson & Delilah“ von einem jungen Aborigines-Paar aus der Pampa nahe Alice Springs. In dem Gegenwartsdrama fliehen die beiden vor desolaten Lebensbedingungen. Auf der Flucht sind auch die Aborigines-Protagonisten seines neuen Films „Sweet Country“ – wenngleich in einem ganz anderen Kontext.
Info
Sweet Country
Regie: Warwick Thornton,
113 Min., Australien 2017;
mit: Hamilton Morris, Bryan Brown, Sam Neill
Unbarmherzige Landschaft
Er flieht mit seiner Frau Lizzy (Natassia Gorey Furber) ins Outback. Der in die Jahre gekommene Sergeant Fletcher (Bryan Brown) organisiert eine Truppe, um die beiden aufzuspüren. Über weite Teile spielt der Film in der unbarmherzigen und zugleich epischen Landschaft des Outbacks. Von der Verfolgungsjagd erzählt Warwick langsam und bedächtig. Und doch reißt die Spannung nie ab, in dieser eigenwilligen, minimalistisch inszenierten Mischung aus Western, Justiz- und Beziehungsdrama.
Offizieller Filmtrailer
Eine Form der Beinahe-Sklaverei
Die überwältigende und zugleich gnadenlose Natur, mit der die Figuren konfrontiert sind, zwingt beide Seiten, sich neu zu definieren. Im Suchtrupp hat man bald jedenfalls unterschiedliche Vorstellungen, ob das Ganze die Mühe wert ist. Sam und seine Frau sind in dem Terrain zwar versierter unterwegs, doch auch sie geben schließlich auf – nicht zuletzt, weil Lizzy schwanger ist.
In die Filmgeschichte eingegangen sind zahllose Geschichten aus Nordamerika, die das an den Ureinwohnern begangene Unrecht oder die Verbrechen der Sklaverei thematisieren. Letztere gab es in Australien offiziell nicht, auch wenn die Realität bisweilen ähnlich war. Auch hier arbeitete die schwarze Bevölkerung oft fast ohne Entlohnung für weiße Grundbesitzer. Legitimiert wurde dies durch den Native Affairs Act.
Volksheld oder kein Volksheld?
Harry Marsh jedenfalls macht gleich in der Eingangsszene klar, wie er zur indigenen Bevölkerung steht, wenn er sie als „black stock“ bezeichnet – und damit auf eine Stufe mit Nutztieren stellt. Die australische Variante von Ausbeutung und Rassismus ist nicht annähernd so auserzählt wie das nordamerikanische Pendant, insofern füllt der Film eine Lücke. Und beschreibt zugleich die Vorgeschichte einer Gegenwart, wie Warwick sie in „Samson & Delilah“ schildert.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Samson und Delilah" - der erste Spielfilm von und mit Australiens Ureinwohnern von Warwick Thornton
und hier einen Beitrag über die Austellung "Indigenous Australia: Masterworks from the National Gallery of Australia" - im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Spinifex Arts Project: Aboriginal Art aus der Great Victoria Desert Australiens" - über Aborigines-Kunst aus dem Südwesten Australiens in München, Hamburg, Überlingen
hier einen Bericht über das Gespräch mit Warwick Thornton - über die Modernisierung der Aborigines-Kultur auf den "Künstler-Kongressen" der documenta 13
Fatalistische Sichtweise
Dennoch ist „Sweet Country“ ein bemerkenswerte Erweiterung des Western-Kanons. Der Aborigine-Hintergrund des Regisseurs sorgt für eine frische Perspektive. Das Soziotop dieses verlassenen Außenpostens wird nuanciert geschildert. Nicht alle Weißen sind tumbe Rassisten. Zugleich ist Thornton Realist genug, seine Figuren Kinder ihrer Zeit sein zu lassen. Fred etwa glaubt zwar, dass „vor Gott alle Menschen gleich sind“ und begegnet Sam mit mehr Respekt als die anderen Leute. Trotzdem bewegen sich die beiden nicht auf Augenhöhe. Auch der von außerhalb gesandte Richter bemüht sich um ein Verfahren jenseits rassistischer Vorverurteilung. Sogar Sergeant Fletcher muss seine Reflexe und Impulse überdenken – auch wenn er in dem skizzierten Szenario die alte Garde repräsentiert.
„Sweet Country“ erzählt eine recht klassische Geschichte, auch wenn sie ohne Helden und Bösewichte auskommt. Zugleich gibt Thornton ihr einen neuen Dreh: Unterschwellig schwingt bei diesem nüchtern erzählten Drama immer die Frage mit, ob Zivilisation überhaupt möglich ist, wenn Diskriminierung so tief verankert ist. Und auch wenn Sam zumindest im Punkt der Anklage am Schluss Gerechtigkeit erfährt, bleibt Thorntons Sicht fatalistisch. Ein Happy End kann es in einer solchen Welt einfach nicht geben.