Warwick Thornton

Sweet Country

Lizzie (Natasha Gorey Furber) und ihr Ehemann Sam Kelly (Hamilton Morris). Foto: Grandfilm GmbH
(Kinostart: 27.9.) Flucht ins Outback: Der australische Regisseur Warwick Thornton inszeniert die Jagd auf zwei Aborigines als minimalistische Melange aus Western, Justiz- und Beziehungsdrama. Eine klassische Geschichte, gesehen aus anderem Blickwinkel.

Vor neun Jahren erzählte der australische Regisseur Warwick Thornton in seinem eindrucksvollem Regiedebüt „Samson & Delilah“ von einem jungen Aborigines-Paar aus der Pampa nahe Alice Springs. In dem Gegenwartsdrama fliehen die beiden vor desolaten Lebensbedingungen. Auf der Flucht sind auch die Aborigines-Protagonisten seines neuen Films „Sweet Country“ – wenngleich in einem ganz anderen Kontext.

 

Info

 

Sweet Country

 

Regie: Warwick Thornton,

113 Min., Australien 2017;

mit: Hamilton Morris, Bryan Brown, Sam Neill

 

Website zum Film

 

1929 in Mittelaustralien: Sam Kelly (Hamilton Morris) arbeitet für den Prediger Fred Smith (Sam Neill). Dessen neuer Nachbar Harry Marsh, ein bitterer, alkoholkranker und offenbar kriegstraumatisierter Mann, bittet den freundlichen Fred um handwerkliche Unterstützung. Der zeigt sich eher skeptisch, „leiht“ ihm jedoch Sam aus. Bald passiert allerhand Fieses. Die Situation eskaliert, und Sam erschießt Harry. In Notwehr zwar, doch auf ein faires Verfahren vertraut Sam nicht. Schließlich ist er Aborigine und hat einen weißen Mann getötet. 

 

Unbarmherzige Landschaft

 

Er flieht mit seiner Frau Lizzy (Natassia Gorey Furber) ins Outback. Der in die Jahre gekommene Sergeant Fletcher (Bryan Brown) organisiert eine Truppe, um die beiden aufzuspüren. Über weite Teile spielt der Film in der unbarmherzigen und zugleich epischen Landschaft des Outbacks. Von der Verfolgungsjagd erzählt Warwick langsam und bedächtig. Und doch reißt die Spannung nie ab, in dieser eigenwilligen, minimalistisch inszenierten Mischung aus Western, Justiz- und Beziehungsdrama.

Offizieller Filmtrailer


 

Eine Form der Beinahe-Sklaverei

 

Die überwältigende und zugleich gnadenlose Natur, mit der die Figuren konfrontiert sind, zwingt beide Seiten, sich neu zu definieren. Im Suchtrupp hat man bald jedenfalls unterschiedliche Vorstellungen, ob das Ganze die Mühe wert ist. Sam und seine Frau sind in dem Terrain zwar versierter unterwegs, doch auch sie geben schließlich auf – nicht zuletzt, weil Lizzy schwanger ist.

 

In die Filmgeschichte eingegangen sind zahllose Geschichten aus Nordamerika, die das an den Ureinwohnern begangene Unrecht oder die Verbrechen der Sklaverei thematisieren. Letztere gab es in Australien offiziell nicht, auch wenn die Realität bisweilen ähnlich war. Auch hier arbeitete die schwarze Bevölkerung oft fast ohne Entlohnung für weiße Grundbesitzer. Legitimiert wurde dies durch den Native Affairs Act.

 

Volksheld oder kein Volksheld?

 

Harry Marsh jedenfalls macht gleich in der Eingangsszene klar, wie er zur indigenen Bevölkerung steht, wenn er sie als „black stock“ bezeichnet – und damit auf eine Stufe mit Nutztieren stellt. Die australische Variante von Ausbeutung und Rassismus ist nicht annähernd so auserzählt wie das nordamerikanische Pendant, insofern füllt der Film eine Lücke. Und beschreibt zugleich die Vorgeschichte einer Gegenwart, wie Warwick sie in „Samson & Delilah“ schildert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Samson und Delilah"  - der erste Spielfilm von und mit Australiens Ureinwohnern von Warwick Thornton 

 

und hier einen Beitrag über die Austellung "Indigenous Australia: Masterworks from the National Gallery of Australia" - im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Spinifex Arts Project: Aboriginal Art aus der Great Victoria Desert Australiens" - über Aborigines-Kunst aus dem Südwesten Australiens in München, Hamburg, Überlingen

 

hier einen Bericht über das Gespräch mit Warwick Thornton  - über die Modernisierung der Aborigines-Kultur auf den "Künstler-Kongressen" der documenta 13

 

Manche Referenz ist für den hiesigen Zuschauer jedoch nicht ganz einfach einzuordnen. Etwa die Frontier-Legende, auf die angespielt wird, als im improvisierten Dorfkino „The Story of the Kelly Gang“ läuft. Ned Kelly war ein Outlaw und australischer Volksheld. Das für diesen Ned johlende Publikum bringt dem furchtlosen Kelly aus ihren eigenen Reihen, dem gejagten Sam, jedoch alles andere als Bewunderung entgegen. Eine Ironie, auf die Thornton subtil verweist, die man sich als Nicht-Australier aber erschließen muss.

 

Fatalistische Sichtweise

 

Dennoch  ist „Sweet Country“ ein bemerkenswerte Erweiterung des Western-Kanons. Der Aborigine-Hintergrund des Regisseurs sorgt für eine frische Perspektive. Das Soziotop dieses verlassenen Außenpostens wird nuanciert geschildert. Nicht alle Weißen sind tumbe Rassisten. Zugleich ist Thornton Realist genug, seine Figuren Kinder ihrer Zeit sein zu lassen. Fred etwa glaubt zwar, dass „vor Gott alle Menschen gleich sind“ und begegnet Sam mit mehr Respekt als die anderen Leute. Trotzdem bewegen sich die beiden nicht auf Augenhöhe. Auch der von außerhalb gesandte Richter bemüht sich um ein Verfahren jenseits rassistischer Vorverurteilung. Sogar Sergeant Fletcher muss seine Reflexe und Impulse überdenken – auch wenn er in dem skizzierten Szenario die alte Garde repräsentiert.

 

„Sweet Country“ erzählt eine recht klassische Geschichte, auch wenn sie ohne Helden und Bösewichte auskommt. Zugleich gibt Thornton ihr einen neuen Dreh: Unterschwellig schwingt bei diesem nüchtern erzählten Drama immer die Frage mit, ob Zivilisation überhaupt möglich ist, wenn Diskriminierung so tief verankert ist. Und auch wenn Sam zumindest im Punkt der Anklage am Schluss Gerechtigkeit erfährt, bleibt Thorntons Sicht fatalistisch. Ein Happy End kann es in einer solchen Welt einfach nicht geben.